Noch vor einem halben Jahr hatten die Grünen stillgehalten – und dafür Häme und Spott geerntet. Die Partei gab bekannt, keine Kandidatin für die Nachfolge von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (63) aufzustellen. Begründung: Inhaltlich seien sich SP und Grüne zu nahe.
Ein paar Wochen zuvor hatten die Grünen noch mit einem Angriff auf den frei werdenden SVP-Sitz von Finanzminister Ueli Maurer (72) geliebäugelt – obwohl der Anspruch der SVP auf zwei Sitze unbestritten ist. Am Ende entschieden sich die Grünen dagegen. Begründung: Eine Kandidatur wäre chancenlos.
Nettsein bringt uns nicht weiter
Die Reaktion auf diesen Zickzackkurs liess nicht auf sich warten. Die Grünen hätten das Wesen der Konkordanz nicht verstanden, frotzelte die FDP. Den Grünen mangle es an Strategie, tönte es aus den Reihen der SP. Selbst die Grünliberalen, welche die grünen Bundesratsambitionen unterstützen, waren irritiert.
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Bei den grünen Parlamentariern hinterliess dies Spuren. Insbesondere der Spott aus dem linken Lager sorgte für Missmut. Und liess die Partei zur Überzeugung kommen: Nettsein bringt uns nicht weiter. «Das war ein Reifungsprozess», sagt Grünen-Nationalrat Bastien Girod (42). Das Resultat zeigte sich in den letzten Wochen.
Gleich zweimal stellten die Grünen ihre eigenen Interessen über jene der SP. Und überraschten damit die Genossen.
So sicherten sich die Grünen das Vizepräsidium der PUK zum Credit-Suisse-Debakel. Auf Kosten der SP, die denselben Posten angestrebt hatte. Und diese Woche gaben die Grünen nach dem Rücktritt von Alain Berset (51) bekannt, bei den Bundesratswahlen im Dezember alle Optionen zu prüfen. Sprich: Ein Angriff auf den SP-Sitz ist nicht länger tabu.
Keine einfache Rollenfindung für Grüne
Die Grünen machen Machtpolitik. Fast vier Jahre hat die Partei nach ihrem historischen Wahlsieg im Jahr 2019 gebraucht, um sich dazu durchzuringen. Während die Genossen noch nie Skrupel hatten, dank Deals mit dem politischen Gegner ihre Ziele zu erreichen, war den pazifistischen Grünen ein solches Verhalten bisher suspekt. Das ändert sich gerade – und damit auch das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien.
«Es ist eine Emanzipation, die noch nicht abgeschlossen ist», sagt Grünen-Nationalrätin und Fraktionschefin Aline Trede (39). «Die Rollenfindung ist weder für uns noch für die SP einfach.»
In der Tat: Bei der SP ärgert man sich über das Vorgehen der Grünen in Sachen PUK. Sie hätten die Sozialdemokraten im Glauben gelassen, die SP-Kandidatur für das Vizepräsidium zu unterstützen, sagt ein Politiker hinter vorgehaltener Hand. Dass die Grünen mit der Mitte paktierten, um den Posten zu erhalten, kam bei den Genossen schlecht an. Ebenso wie die Aussage, bei den Bundesratswahlen im Dezember «alle Szenarien» zu prüfen.
Schlechter Zeitpunkt für Streit zwischen Grünen und SP
Bei den Grünen wiederum ist man der Meinung, die SP habe bisher auch nur für sich selber geschaut. «Die Sozialdemokraten haben uns nie geholfen, in den Bundesrat zu kommen», sagt eine Politikerin, die sich ebenfalls nur anonym äussern will. «Sie haben nie versucht, die Zauberformel aufzubrechen.»
Von Grünen-Fraktionschefin Trede sind keine solch angriffigen Töne zu hören. Sie weiss: Ein Gerangel zwischen SP und Grünen käme im Wahljahr bei den vielen Wechselwählerinnen schlecht an. Dementsprechend wollen die Grünen den Bundesratssitz nicht zum «prioritären Wahlkampfthema» machen, sagt Trede. «Unser Ziel ist es, zusammen mit der SP genug Wähleranteile für drei Bundesratssitze zu erobern.»
Allerdings ist ein solches Ergebnis kaum zu erwarten. Und so fügt Nationalrat Bastien Girod (42) an: Die Grünen seien eine «eigene Partei mit eigenen Prioritäten wie Klimaschutz, Biodiversität, Gleichberechtigung». «Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Wählern, ihre Interessen zu vertreten – auch im Bundesrat», so Girods Fazit.
Mit anderen Worten: So schnell geben die Grünen ihren neu entdeckten Machtanspruch nicht wieder auf.
Für Diskussionsstoff im links-grünen Lager ist gesorgt.