FDP wittert Chance
Vertraute wollen Cassis aus dem EDA befreien

Freisinnige versuchen, Ignazio Cassis zum Departementswechsel zu bewegen. Um ihn aus dem Sperrfeuer zu nehmen, das vor allem von einer Seite kommt.
Publiziert: 06.11.2022 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2022 um 00:07 Uhr
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Seit 2017 steht Ignazio Cassis dem EDA vor.
Foto: Thomas Meier
Reza Rafi

Wer kommt aufs Ticket? Wer hat die besten Chancen? Wen wird die Bundesversammlung am 7. Dezember in die Landesregierung wählen? Auf der politischen Bühne präsentieren sich gerade die Möchtegern-Nachfolger von Simonetta Sommaruga (62) und Ueli Maurer (71).

Während die Pol-Parteien SP und SVP genüsslich das Schaulaufen ihrer Kandidatinnen und Kandidaten bewirtschaften, sind die Freisinnigen in den Backstage-Bereich verdammt. Dort schmieden sie eifrig Planspiele für Aussenminister Ignazio Cassis (61) ihr Sorgenkind in der Regierung. Denn einige in der FDP wittern die anstehende Departementsverteilung als Chance: Raus mit Cassis aus dem Aussendepartement, lautet ihre Mission.

Der Sprengmeister von Brüssel

Der Tessiner belegt bei Beliebtheitsumfragen der Regierungsmitglieder verlässlich einen der hinteren Plätze, bei manchen besorgten Parteifreunden gilt er als ausgebrannt, als politisch Gestrandeter, den vor dem anstehenden Wahljahr nur noch ein Ressortwechsel retten kann.

Für das Gelingen einer solchen Operation gäbe es mehrere Szenarien. Ein häufig genanntes: Würde Alain Berset (50) das Innendepartement abgeben, wäre der Facharzt aus Montagnola TI der naturgegebene Gesundheitsminister. Oder Cassis als Infrastrukturminister? Dieser Fall könnte eintreten, wenn eine Mehrheit im Gremium ein Uvek in SVP-Händen verhindern will. Und wie zufrieden Mitte-Vertreterin Viola Amherd (60) an der VBS-Spitze ist, weiss nur sie selber.

Nach SonntagsBlick-Informationen jedenfalls führten bereits einige FDP-Fraktionsmitglieder entsprechende Gespräche mit ihrem Magistraten. Mit Namen hinstehen möchte freilich keiner. Die Parteispitze hält sich auf Anfrage bedeckt, und ein Parlamentarier findet es sowieso wichtiger, dass sich die populäre Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) um das frei werdende Finanzdepartement bemüht, ein Querschnittsressort und Manöverplatz für bürgerliche Haushaltspolitik.

Der Fairness halber soll erwähnt sein, dass Cassis in seiner bisherigen Amtszeit durchaus auch glanzvolle Momente erlebte. 2017 war er mit seinem unvergessenen Satz über den «Reset-Knopf», den es zu drücken gelte, fulminant als EDA-Vorsteher gestartet. Endlich schien einer die europapolitische Blockade des Vorgängers Didier Burkhalter (62) lösen zu können.

Nach der Beerdigung des Rahmenabkommens mit der EU im Jahr 2021 durfte Cassis zeitweilig auf eine Fangemeinde zählen, die vom rechtskonservativen Lager bis ins gewerkschaftliche Milieu reichte. Plötzlich mutierte der sonst eher als sprunghaft Geltende zum gefeierten Sprengmeister von Brüssel, zum Sieger über das eurokratische Ungetüm, zum Bezwinger von Mordor.

Rivalität mit Keller-Sutter

Mit weltpolitischem Flair umgeben durfte er sich letztes Jahr in Genf als Gastgeber von Wladimir Putin (70) und Joe Biden (79) und vor drei Wochen bei seinem Staatsbesuch in Kiew.

Doch stets lauerten die Gegner. Von Beginn weg. Kurz nach seiner Wahl in die Regierung beschimpfte ihn der damalige SP-Chef und Berset-Intimus Christian Levrat (52) als «Praktikanten» – der Vorwurf übrigens fiel letztes Jahr bitter auf Levrat zurück, als er Postpräsident wurde, fachlich in kaltes Wasser springen musste und erfolglos um einen «Einarbeitungsaufwand» von 12'000 Franken bat.

Die wahren Pharisäer jedoch sitzen mit Cassis im Bundesratszimmer. Giftpfeile und Nadelstiche allenthalben; über die Rivalität mit Parteifreundin Keller-Sutter in der Europapolitik zum Beispiel tratschte das ganze Bundeshaus.

Die heftigsten Attacken aber erfolgten – zumindest berichtet dies das Umfeld des Aussenministers – von links. So sollen vor allem die Sozialdemokraten Berset und Sommaruga Cassis’ letztes Prestigeprojekt, den Neutralitätsbericht, ins Sperrfeuer genommen und schliesslich zum Scheitern gebracht haben.

Wollen SP-Leute leer einlegen?

Die Strategie ergibt aus linker Sicht Sinn: Gemäss Umfragen ist es nicht ausgeschlossen, dass die FDP in den kommenden nationalen Wahlen die SP einholen könnte, zudem sind den Genossen die Grünen auf den Fersen. Also muss Cassis geschwächt werden. Der Freisinnige bildet die Sollbruchstelle des bürgerlichen Blocks.

Dazu passt auch das jüngste Bundesberner Gerücht, wonach in der SP-Fraktion die Idee kursiert, bei Cassis’ Wiederwahl leer einzulegen. Die Hemmungen vor der Abwahl eines Bundesrats allerdings sind immens.

Letztlich ist die Departementsverteilung alleinige Sache der Regierungsmitglieder, die völlig unabhängig entscheiden. Ein Nationalrat gibt zu bedenken, dass die Karten über Nacht wieder neu gemischt wären, falls es nach den neusten sechs Gesprächsrunden mit Brüssel zu einem Durchbruch mit der EU kommen würde.

Auch Bundesräte sind Menschen. Und Menschen, heisst es, sind wie Einkaufstüten: Man sieht nicht in sie hinein.

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