Zerrüttetes Verhältnis mit Brüssel
Nun beginnt es, wehzutun

Mittlerweile zeigen sich die negativen Auswirkungen, die der Abbruch der Verhandlungen mit der EU nach sich zieht. Die Politik scheint das nicht zu kümmern.
Publiziert: 09.10.2022 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2022 um 10:53 Uhr
Bundespräsident Guy Parmelin trifft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im April 2021. Wenig später bricht die Schweiz die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abrupt ab.
Foto: Francois Walschaerts
Camilla Alabor

Nume nid gschprängt: Der Bundesrat zeigt keinerlei Eile, das Verhältnis mit der Europäischen Union zu kitten. Aussenminister Ignazio Cassis reist überall hin, nur nicht nach Brüssel. Während seine Chefunterhändlerin Livia Leu das Kunststück fertigbringt, die frostige Stimmungslage noch ein paar Grad weiter herunterzukühlen. Die EU versuche, Druck aufzusetzen, sagte sie im September in der «NZZ». Diese «Druckpolitik» sei für die Suche nach Lösungen «nicht förderlich».

Zur Erinnerung: Im Mai 2021 war es die Schweiz, die abrupt alle Verhandlungen abgebrochen und damit die EU vor den Kopf gestossen hat. Es war die Schweiz, die sich innenpolitisch nicht darauf verständigen konnte, was vom Ergebnis der bisherigen Gespräche zu halten sei – ein Ergebnis, für das notabene auch die EU Kompromisse eingegangen war. Und nun beklagt sich die Schweiz, dass es der EU an Flexibilität mangelt?

Verkehrte Welt.

Kein Wunder, reagierte EU-Botschafter Petros Mavromichalis ungehalten auf die Vorwürfe. Die Schweiz verhalte sich manchmal wie ein Kind, das von den Eltern kein Bonbon erhalten habe, formulierte der Diplomat in einem Interview mit «24 Heures» undiplomatisch deutlich. Dabei wisse Brüssel noch immer nicht, was die Schweiz wirklich wolle. «Wir warten auf glaubwürdige Vorschläge.»

Auf die wartet nicht nur die EU, sondern auch ein beträchtlicher Teil der Stimmbevölkerung. Allem Anschein nach ist die Schweiz in eineinhalb Jahren keinen Schritt weitergekommen. Chefunterhändlerin Leu fliegt zwar regelmässig nach Brüssel. Doch ob die Sondierungsgespräche etwas bringen, ist fraglich. Schliesslich sagt die EU seit Jahr und Tag, was ihre Bedingungen für eine Schweizer Teilnahme am Binnenmarkt sind. Wenn Bern dies in Vogel-Strauss-Manier ignoriert und lieber Selbstgespräche führt, kommen wir nicht weiter.

Den Preis dafür zahlen die Unternehmen, die Wissenschaft, letztlich alle Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes. Schweizer Forscher bleiben bei europäischen Projekten aussen vor, erste Unternehmen verlagern bereits Arbeitsplätze ins Ausland.

Doch in der Politik verhallen die Hilferufe von Universitäten und Unternehmen ungehört – zumindest ziehen weder die FDP noch die Mitte oder die SP den Schluss, dass die Schweiz Kröten schlucken muss, wenn sie eine Erosion der Bilateralen verhindern und den Zugang zu Forschungsprogrammen wie Horizon oder Digital Europe wiedererlangen will. Stattdessen klagt man lieber über die böse, böse EU.

Das mag politisch gewinnbringend sein – einer Lösung kommen wir so keinen Schritt näher.

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