Sieh da, die Schweiz hat einen Helden: Bundesrat Ignazio Cassis, der bisher so vielen nie etwas recht machen konnte, am allerwenigsten den Deutschschweizer Medien, deren linksgrün durchwirktes Personal das Ticino zwar als Sonnenstube schätzt, nicht aber als eine Schweiz besonderer Art – und besonders wichtiger politischer Kultur.
Das war schon zu Zeiten des Consigliere Federale Flavio Cotti so: Er sprach besser Deutsch, als viele Journalisten schrieben, vor allem, wenn es um eingefügte oder nachgefügte Nebensätze ging, besondere Kunstfertigkeit bewies er mit Schachtelsätzen. Die Sprachlust wurde ihm angekreidet, natürlich nicht direkt, aber eingepackt in den Vorwurf, volksfern und elitär zu reden, ja zu sein. In der Tat, Flavio Cotti war ein sehr gebildeter Mann, also fast schon kein Jurist mehr – und wohl auch deshalb ein international geschätzter Politiker.
Nun also der Mediziner Ignazio Cassis, ein ganz anderes Tessiner Temperament, nicht der Rhetorik ergeben, sondern der Diagnose, und zwar so, wie es sich für einen Arzt geziemt: umsichtig und vorsichtig, bisweilen übervorsichtig, wie sein Verzicht auf das Rahmenabkommen mit der EU bezeugt.
Dabei ist der Tessiner mit italienischer Herkunft, bis vor kurzem sogar mit italienischem Pass, ein hartnäckiger Beobachter, der das, was er sieht – und als machbar sieht –, auch umzusetzen pflegt, zum Beispiel die Ukraine-Konferenz in Lugano. Zum Beispiel am Donnerstag die Reise nach Kiew.
Es hätte viele gute Gründe gegeben, diese Bahnfahrt in den Krieg aufzuschieben: vor allem Sicherheitsgründe, beschiesst der Kriegsverbrecher im Kreml doch gerade wieder die ukrainische Hauptstadt. Auch hätte Ignazio Cassis mit Blick auf seine Wiederwahl in den Bundesrat den Ungeist der Putinversteher von rechts aussen berücksichtigen können – bloss kein mehrheitsschädliches Aufsehen erregen!
Sein Besuch in Kiew, als Fortsetzung der Ukraine-Hilfe gedacht, wie er sie bereits in Lugano ins Werk setzte, war dem Mann, dem wieder und wieder Opportunismus vorgeworfen wird, wichtiger als persönliche Belange.
Oh ja, man könnte ihm jetzt, wo er dafür gelobt wird, unterstellen, auf dieses Lob spekuliert zu haben: Ich, der Held – im Gegensatz zu andern europäischen Politikern, die sich unter den russischen Raketen gerade wegducken, was wiederum nicht unklug sein muss.
Ignazio Cassis ist nicht klug. Er macht sein Ding.
Was könnten wir von einem Bundesrat mehr erwarten?