Herr Burkart, wie schlimm ist die Aussicht, nun die FDP zu führen?
Thierry Burkart: Das ist keine schlimme Aussicht, das Präsidium ist eine sehr reizvolle Aufgabe. Man hat die Möglichkeit, die Partei und das Land mitzugestalten und in liberaler Weise etwas bewirken zu können.
Sie hielten sich lange bedeckt, ob Sie den Posten anstreben oder nicht. Weitere Bewerber traten gar nicht erst auf den Plan. Sonderlich attraktiv kann das Amt also kaum sein.
Diesen Entscheid sollte man nicht leichtfertig treffen. Das muss man auch mit Familie und Freunden besprechen. Als Parteipräsident wird man enorm beansprucht, steht unter dauernder medialer Beobachtung und muss versuchen, eine nationale Partei mit verschiedensten Gruppierungen zu führen. Anfangs dachte ich, das will ich auf keinen Fall machen. Später kam die Idee eines Co-Präsidiums auf, aber am Ende kam ich klar zur heutigen Lösung eines Teams mit starken Vizepräsidenten. Es war sicher der schwierigste Entscheid in meinem Leben. Aber am Schluss sagte ich: Ich machs – und ich machs mit Freude.
Am Samstag wählte die FDP den Aargauer Thierry Burkart zu ihrem neuen Parteipräsidenten. Er folgt auf Petra Gössi, die die Partei seit 2016 führte. Der 46-Jährige politisiert seit Jahrzehnten im Freisinn: erst in der Jungpartei, ab 2001 im Grossen Rat des Kantons Aargau. Zwischen 2010 und 2013 präsidierte Burkart die Aargauer Kantonalpartei. 2015 gelang Burkart der Sprung in den Nationalrat, vier Jahre später, im Oktober 2019, schickten ihn die Aargauer in den Ständerat. Im Parlament machte er sich in der Verkehrs- und Sicherheitspolitik einen Namen. Burkart hat in St. Gallen studiert und ist Rechtsanwalt. In der Armee bekleidet er den Rang eines Hauptmanns. Zudem präsidiert er den Nutzfahrzeugverband Astag.
Am Samstag wählte die FDP den Aargauer Thierry Burkart zu ihrem neuen Parteipräsidenten. Er folgt auf Petra Gössi, die die Partei seit 2016 führte. Der 46-Jährige politisiert seit Jahrzehnten im Freisinn: erst in der Jungpartei, ab 2001 im Grossen Rat des Kantons Aargau. Zwischen 2010 und 2013 präsidierte Burkart die Aargauer Kantonalpartei. 2015 gelang Burkart der Sprung in den Nationalrat, vier Jahre später, im Oktober 2019, schickten ihn die Aargauer in den Ständerat. Im Parlament machte er sich in der Verkehrs- und Sicherheitspolitik einen Namen. Burkart hat in St. Gallen studiert und ist Rechtsanwalt. In der Armee bekleidet er den Rang eines Hauptmanns. Zudem präsidiert er den Nutzfahrzeugverband Astag.
Nun ist es Ihr Auftrag, die Partei wieder zu einen. Aber haben nicht Ihre Sololäufe in der Europa- oder Klimapolitik dazu beigetragen, dass die FDP als richtungslos wahrgenommen wird?
Wir haben alle unsere eigenen Positionen, das ist in einer liberalen Partei normal. Gerade beim CO2-Gesetz waren es aber die Medien, die mir einen Alleingang angedichtet haben. Ich lehnte das Gesetz ab, weil es mir zu wenig liberal war, hatte mich aber in der Öffentlichkeit nie dazu geäussert.
Beim Rahmenabkommen bezogen Sie explizit Position und sprachen sich – gegen die Mehrheit in Ihrer Partei – für den Abbruch der Verhandlungen mit der EU aus.
Ich habe einen Meinungsbeitrag geschrieben, der viel mehr Wellen warf, als ich erwartet hatte. Das hätte ich besser antizipieren müssen. Wahrscheinlich haben wir alle irgendwo dazu beigetragen, dass dieses Image entstanden ist, aber irgendwann muss man auch einen Schlussstrich ziehen. Die FDP hat jetzt die Chance, nach vorne zu schauen. Klassische Werte wie Freiheit, Verantwortung, Fortschritt und soziale Marktwirtschaft müssen wieder im Vordergrund stehen.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie setzen?
Ich will die Positionen der Partei unter Einbezug aller relevanten Kräfte erarbeiten. Deshalb kann ich unsere Schwerpunkte nicht vorwegnehmen. Klar ist, dass wir in der Wirtschaftspolitik – Stichworte KMU und Start-ups – wieder aktiv sein werden. Aber nicht nur: Auch die nachhaltigen Sozialwerke, etwa in der Altersvorsorge, werden wichtig sein; vielleicht auch – umfassend verstanden – das Thema Sicherheit: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.
Sie haben weder das EU-Dossier noch die Klimapolitik erwähnt. Um beide Themen wird die FDP aber kaum herumkommen.
Natürlich werden wir als Volkspartei auch zu diesen Themen Stellung nehmen. Gerade beim CO2-Gesetz haben wir jetzt die Möglichkeit, einen liberalen Ansatz einzubringen.
Und wie soll es im Europadossier weitergehen – muss die Schweiz auf die EU zugehen?
Ich finde es richtig, dass das Parlament am Donnerstag die Kohäsionsmilliarde freigegeben hat. Das ist kein Geschenk, aber eine Geste für die Kohäsion des europäischen Binnenmarkts. Ohnehin ist es falsch, wenn wir mit der EU nach dem Prinzip vorgehen: Wie du mir, so ich dir. Da braucht es jetzt eine Entkrampfung. Die Verknüpfung sachfremder Dossiers habe ich immer abgelehnt. Dennoch: Die Situation mit der EU wird schlechter dargestellt, als sie ist.
Inwiefern?
Die bilateralen Verträge funktionieren. Und wenn es um konkrete Fragen geht, haben wir mit den EU-Ländern kaum Probleme. Die Zusammenarbeit im SchengenRaum funktioniert bestens. Das Problem ist ab und zu die Rigidität der EU-Kommission. Aber auch das wird sich bald wieder beruhigen. Insofern war die Kohäsionsmilliarde ein wichtiges Zeichen: Wir machen den Weg frei für konstruktive Gespräche, die unser Aussenminister Ignazio Cassis ja bereits angekündigt hat.
Die Partei, die Sie nun führen werden, verliert immer weiter an Boden. Was lief da in der jüngeren Vergangenheit schief?
Ich werde mich sicher nicht zur Kritik an der verdienstvollen Vorgänger-Crew hinreissen lassen. Wichtig ist mir für die Zukunft, dass wir unsere liberal-bürgerlichen Werte mit klarer Kante kommunizieren. Diese Werte müssen in der Sachpolitik fassbar sein. Viele Bürgerinnen und Bürger wünschen sich ein solches politisches Angebot.
Tatsächlich? Als Sie vor über 20 Jahren die Aargauer Jungfreisinnigen präsidierten, standen Freisinnige und Liberale bei einem nationalen Wähleranteil von 22 Prozent. Heute sind es 15 Prozent. Ihr Milieu erodiert.
Die Idee der Freiheit ist für alle attraktiv. Der Beweis: Alle wollen liberal sein. Wir sind es. Seit jeher. Ohnehin sind wir ja nicht in der FDP um der Partei willen. Die Schweiz ist ein liberaler Staat, das ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Daran glauben wir, dafür kämpfen wir – unabhängig davon, ob diese Strömung momentan gefragter ist oder nicht. Ich bin überzeugt, dass es viele GLP- und SVP-Wähler gibt, die wieder FDP wählen werden.
Woher nehmen Sie diesen Glauben?
Bei der SVP ist es schon der Stil, der abschreckt. Schauen Sie das irrlichternde Verhalten der Partei in der Corona-Krise an. Zuerst wollte sie aus Virus-Angst die Session abbrechen. Aber jetzt tut sie alles dafür, auch noch den letzten Verschwörungstheoretiker abzuholen, um ein paar Wählerprozente dazuzugewinnen. Damit verlängert sie die Pandemie.
Die GLP wiederum verfügt inzwischen über eine gefestigte Basis.
Wir müssen aufzeigen, dass die GLP keine liberale Partei ist. Sie ist aus den Grünen hervorgegangen, das sieht man immer deutlicher. Liberal ist bei den Grünliberalen mehr ein Etikett als eine Realität.
Sie werden kaum der SVP und der GLP gleichzeitig Stimmen abjagen können.
Wir definieren uns nicht über andere Parteien. In der SVP gibt es Kreise, die nie FDP wählen werden, und es gibt GLPler, die mit unserem liberalen Weltbild wenig anfangen können. Das macht nichts, schliesst auch die Zusammenarbeit in Sachfragen nicht aus. Es gibt schon genug Parteien, die spalten. Die SP stellt Arm gegen Reich, als ob es so einfach wäre! Die SVP spielt neuerdings Stadt gegen Land aus, als ob das eine ohne das andere auskäme. Die FDP hat die Aufgabe zu einen. Das ist schwieriger, aber es ist unsere Verantwortung.
Hat die Politik einen Anteil an der zum Teil gehässigen Stimmung in der Gesellschaft?
Ja, davon bin ich überzeugt. Diese Spaltung ist unschweizerisch.
Stören Sie sich an Äusserungen von Bundesrat Ueli Maurer, der öffentlich den Kurs der Regierung in der Corona-Politik in Frage stellt?
Ja. Bundesrat Maurer verletzt damit das in der Verfassung verankerte Kollegialitätsprinzip.
Vor fünf Jahren riefen die damalige CVP, die SVP und die FDP den «bürgerlichen Schulterschluss» aus. Ein Gedanke, mit dem auch Sie liebäugeln?
Ich zweifle daran, dass das funktioniert. Auf allgemeine Erklärungen einigt man sich schnell, aber wenn es in der konkreten politischen Arbeit nicht klappt, sind alle enttäuscht.
Eine engere Kooperation könnte helfen, den bedrohten zweiten Bundesratssitz der FDP zu sichern ...
Wir werden in den Wahlen zulegen und auch in zwei Jahren wieder zwei liberale Bundesräte stellen. Die Alternative zu zwei freisinnigen Bundesräten ist ein Linksrutsch im Bundesrat. Wer dies verhindern will, wählt FDP!
Ihre Vorgängerin hat alle Mandate abgegeben, als sie Präsidentin wurde. Sie hingegen wollen Präsident des Nutzfahrzeugverbands Astag bleiben. Stellen Sie damit nicht Ihre Unabhängigkeit in Frage?
Ich stehe zum Milizprinzip. In der Schweiz wissen wir damit umzugehen. Die Astag ist auch kein Verband, der bei jedem Geschäft seine Interessen geltend macht. Darum kann ich hier keinen Interessenkonflikt ausmachen. Sollte es aber doch dazu kommen, trete ich selbstverständlich für die Interessen der liberalen Schweiz und der FDP ein.