Ist Thierry Burkart plötzlich brav?
Der Rebell, der FDP-Präsident werden will

Thierry Burkart gehörte zu den schärfsten Kritikern von Partei-Chefin Petra Gössi. Nun will er den Posten selber übernehmen.
Publiziert: 22.08.2021 um 10:25 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2021 um 17:30 Uhr
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Als Ständerat hielt Thierry Burkart mit seiner Meinung nicht zurück, selbst wenn die Partei bereits einen Entscheid gefasst hatte.
Foto: Ruben Hollinger / 13 Photo
Camilla Alabor

Der Moment ihrer grössten Niederlage war der Tag seines Triumphs: Als das Stimmvolk am 13. Juni das CO2-Gesetz bachab schickte, war das eine persönliche Schlappe für FDP-Präsidentin Petra Gössi (45). Sie hatte versucht, die Partei öko-logischer auszurichten.

Ganz anders dürfte Thierry Burkart (46) den Abstimmungssonntag erlebt haben. Der freisinnige Ständerat, der das CO2-Gesetz ablehnte, gehörte zu den strahlenden Siegern.

Zwar hatte sich Burkart während des Abstimmungskampfs betont zurückgehalten. Dafür engagierte sich die Aargauer Kantonalsektion, deren Präsidentin zu seinen grössten Unterstützern zählt, eifrig für ein Nein. Ebenso wie der Lastwagenverband Astag – dem Burkart vorsteht.

Einen Tag nach der Abstimmungsniederlage gab Gössi ihren Rücktritt als Präsidentin bekannt.

Gössis Kritiker als Nachfolger?

Letzten Montag, zwei Monate später, verkündete Thierry Burkart vor den Medien sein Interesse am Amt. Er ist der einzige Anwärter.

Es scheint kurios: Ausgerechnet einer von Gössis schärfsten Kritikern präsentiert sich für ihre Nachfolge. Denn nicht nur beim Klima, auch in der Europa-Debatte sorgte Burkart parteiintern für Aufruhr. Im Januar kritisierte er das Rahmenabkommen in einem Gastbeitrag in der «Aargauer Zeitung» aufs Schärfste – just zu jenem Zeitpunkt, da das Abkommen von bürgerlichen Organisationen wie Autonomiesuisse und Kompass/Europa ohnehin unter Beschuss geriet.

Beide Male ging Burkart, eigentlich ein Spezialist für Verkehrs- und Sicherheitsthemen, kein Risiko ein. Er wusste: Eine bedeutende Minderheit seiner Parteikollegen steht hinter ihm. Umso wichtiger wäre – aus parteipolitischer Sicht – ein einheitlicher Auftritt gewesen. Stattdessen musste sich Präsidentin Gössi mit Heckenschützen aus den eigenen Reihen herumschlagen.

Vor den Medien sagte Burkart am Montag, er wolle als Präsident das «liberale Feuer» wieder entfachen. Die Ironie liegt darin, dass er mit seinen Alleingängen mitverantwortlich ist für das Bild der Uneinigkeit, das die Partei in den letzten Jahren abgab.

Er denkt stets drei Schritte voraus

Dessen ungeachtet ist die Erleichterung über Burkarts Kandidatur in der Partei gross, der Enthusiasmus zuweilen mit Händen greifbar. Das zeigen Gespräche mit Parlamentariern.

Burkart gilt als geschickter Stratege, der stets drei Schritte vorausdenkt. Vor Publikum tritt der Verkehrspolitiker – gross gewachsen, adrett gekleidet – souverän und gewinnend auf. Parteikollegen attestieren ihm, er sei ein guter Zuhörer; politische Gegner loben seine Verlässlichkeit.

Vor allem aber verkörpert der Aargauer quasi idealtypisch die Werte des Freisinns: Aus einer, in seinen Worten, «einfachen Mittelstandsfamilie» stammend, hat er sich zum Wirtschaftsanwalt hochgearbeitet. Der Beweis dafür, dass kann, wer will.

Burkart will. Er will hoch hinaus. 2001 gelang ihm als 25-Jährigem die Wahl in den Aargauer Grossrat, 2015 wurde er Nationalrat, vier Jahre später Ständerat. Dieser Erfolg ist das Resultat von Zielstrebigkeit, Ausdauer – und unablässigem Netzwerken. Denn Burkart überlässt nichts dem Zufall. Schon gar nicht seine politische Karriere, der er, so scheint es, fast alles untergeordnet hat.

Kommt die Rückkehr zum traditionellen Freisinn?

Als TCS-Vizepräsident besuchte er von 2012 bis 2020 an unzähligen Abenden Sektion um Sektion, hielt Reden, schüttelte Hände. Daneben stellte er Schwingfeste auf die Beine, engagierte sich bei der EU-kritischen Bewegung «Perspective CH», pflegte Kontakte zu einflussreichen Unternehmern wie Hans-Jörg Bertschi, Co-Präsident von «Autonomiesuisse».

Burkart bewegt sich gerne in konservativen Kreisen. Kreise, in denen ein traditionelles Wirtschafts- und Gesellschaftsbild vorherrscht. Männerbündnisse. Manche in der Partei fürchten deshalb, dass sich der Freisinn unter Burkart nach rechts bewege. Andere hoffen just darauf.

Klar ist: Thierry Burkart steht für eine Rückkehr zum traditionellen Freisinn.

Mehr zu reden als die künftige politische Ausrichtung der FDP gibt derzeit allerdings eines von Burkarts Mandaten. Auch als Parteichef will Burkart sein Amt als Präsident des Lastwagenverbands Astag behalten. Samt Entlöhnung.

Wie viel Geld er dabei verdient, will Burkart nicht offenlegen. «Damit würde ich Hinweise liefern, wie viel meine Vorgänger verdienten», argumentiert er. Das stehe ihm nicht zu.
Wie der «Tages-Anzeiger» schreibt, beträgt der Lohn für das Astag-Präsidium eine hohe fünfstellige Summe, «eher näher bei 100'000 als bei 50' 000 Franken».

Die Arbeit als Parteipräsident wird hingegen lediglich mit knapp 50'000 Franken pro Jahr entschädigt.

Bei einigen Parteimitgliedern sorgt Burkarts Beharren auf seinem Amt für Unmut: Wessen Interessen vertrete er, fragt ein Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand, wenn er für seine Lobbyisten-Tätigkeit mehr Geld verdiene denn als Parteipräsident.

Burkart sitzt am längeren Hebel

Burkart wischt solche Einwände beiseite. Er betont, das Parteiwohl habe für ihn erste Priorität. In den «sehr seltenen, theoretischen Fällen», in denen es zu einem Konflikt zwischen Partei und Astag kommen könne, trete er selbstverständlich in den Ausstand. Zudem habe er der Findungskommission von Anfang an klargemacht, dass er am Verbandspräsidium festhalten werde.

«Meine Kandidatur ist ein Angebot an die Partei», sagt Burkart. «Wenn man auf meine Bedingungen nicht eingehen will, akzeptiere ich das natürlich.»

Burkart weiss: Er ist am längeren Hebel. Schliesslich ist er der einzige Kandidat, der sich offiziell beworben hat; die Wahl durch die Delegiertenversammlung am 2. Oktober dürfte reine Formsache sein. Denn die Wahrheit ist eben auch, dass das Parteipräsidium ein Verschleissjob ist. Abend für Abend ist man unterwegs, Dankbarkeit gibts in kleinen Häppchen, Kritik dafür à gogo.

Wer sich das antun will, braucht eine dicke Haut. Ein inneres Feuer. Und die Bereitschaft, sich mit Heckenschützen in der eigenen Partei herumzuschlagen.
Wird Burkart Präsident, gibts davon immerhin einen weniger.

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