Es geht um Hunderte Millionen
Bürgerliche Front im Steuer-Kampf bröckelt

Im Parlament stimmten die Bürgerlichen geschlossen für die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer, obwohl damit Hunderte Millionen verloren gehen. Doch jetzt gibt es Risse in den bürgerlichen Reihen.
Publiziert: 10.05.2022 um 17:37 Uhr
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Bei der Parolenfassung zur Verrechnungssteuer-Abstimmung hielt über ein Drittel der Mitte-Delegierten nicht zur Parteispitze um Präsident Gerhard Pfister.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Nach dem Abstimmungssieg beim Stempelsteuer-Referendum verspürt die Linke Rückenwind in der steuerpolitischen Debatte. Schon im Herbst kommt es bei der Teilabschaffung der Verrechnungssteuer zum nächsten Kräftemessen. Und ausgerechnet die Mitte-Partei beflügelt die linken Hoffnungen auf einen weiteren Erfolg an der Urne.

Am Wochenende haben die Mitte-Delegierten nämlich bereits ihre Parole gefasst. Ein Ja – allerdings nur mit 117 zu 46 Stimmen bei 19 Enthaltungen. Deutlich mehr als ein Drittel hielt damit nicht zur Parteispitze um Präsident Gerhard Pfister (59). Dabei hatten sich die Mitte-Vertreter im Bundesparlament einstimmig hinter die Vorlage gestellt. Und mit dem Zuger Ständerat Peter Hegglin (61) präsentierte den Delegierten einzig ein Befürworter die Vorlage.

Skepsis wegen Steuerausfällen

Das Resultat zeigt: Selbst im bürgerlichen Lager stösst die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer auf Skepsis. Denn diese geht ins Geld. Bei einem Ja geht dem Bund einmalig eine Milliarde Franken verloren – zusätzlich resultiert jedes Jahr ein Steuerausfall von 200 Millionen Franken. Allerdings ist der Ausfall mit den Zahlen des aktuell tiefen Zinsumfeldes berechnet. Bei steigenden Zinsen dürften dem Bund jährlich mehrere Hundert Millionen Franken entgehen.

SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (63, LU) spürt den Aufwind. «Im Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern aus verschiedenen politischen Lagern merke ich, dass Sonderrechte für Konzerne und neue Steuerschlupflöcher für Grossanleger ein No-Go sind», sagt sie zu Blick. Während das ersparte Kleinvermögen auf den Sparkonti weiterhin der Verrechnungssteuer unterliege, würden sich Grossanleger steuerfrei aus der Affäre ziehen.

«Diese Ungleichbehandlung ist unverständlich, und das führt auch zu Skepsis im bürgerlichen Lager», sagt sie. Und: «Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass sie am Schluss die Rechnung bezahlen müssen – entweder über höhere Abgaben und Steuern oder über einen Abbau von Leistungen, zum Beispiel bei den Prämienverbilligungen.»

Mitte-Hegglin: «Begründeter Handlungsbedarf»

Mit Blick auf die Abstimmung im Herbst sehen viele Bürgerliche schwarz. Hinter vorgehaltener Hand geben sie die Steuerschlacht bereits verloren. Zumindest weiss man, dass es kein einfacher Urnengang werden wird.

Dessen ist sich auch Mitte-Ständerat Hegglin bewusst, der an vorderster Front für die Vorlage kämpft. «Als wir die Reform erarbeitet haben, hatten wir noch eine ganz andere Ausgangslage», räumt er ein. Die Arbeiten hätten noch vor der Corona-Krise begonnen, und der Ukraine-Krieg sei noch kein Thema gewesen. «Auch in unserer Partei gibt es daher Stimmen, dass man sich diese Steuerreform jetzt nicht leisten kann», räumt er ein.

Trotzdem ist er zufrieden, dass sich rund zwei Drittel der Delegierten hinter die Vorlage gestellt haben. «Mit der Verrechnungssteuer ist ein grosser administrativer Aufwand verbunden», betont er. «Mit der Reform entlasten wir die Anleger und machen unseren Fremdkapitalmarkt attraktiver.» Er zieht den Vergleich mit Luxemburg: Dort sei der Fremdkapitalmarkt 23-mal so hoch wie das Bruttoinlandprodukt (BIP), in der Schweiz seien es nicht einmal 15 Prozent des BIP. «Es besteht deshalb begründeter Handlungsbedarf.»

Harter Abstimmungskampf erwartet

Vom Widerstand in den eigenen Reihen lässt sich der frühere Zuger Finanzdirektor nicht beirren. «Die Abstimmung ist noch nicht verloren», so Hegglin. Sie sei zwar auch noch nicht gewonnen. «Aber sie ist zu gewinnen, wenn wir den Sachverhalt gut erklären – schliesslich stärkt die Reform den Finanzplatz Schweiz und entlastet vor allem den breiten Mittelstand.»

Auch die Linke macht sich auf einen harten Abstimmungskampf gefasst. «Die Konzernlobby Economiesuisse hat schon gesagt, dass sie eine millionenschwere Kampagne plant», so SP-Frau Birrer-Heimo. Das dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen. «Aber wir sind überzeugt, dass am Schluss die Argumente für ein Nein stärker sind.»

Birrer-Heimo kämpft gegen die Teilabschaffung
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«Wir brauchen die Einnahmen!»:Birrer-Heimo kämpft gegen die Teilabschaffung
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