Bundesratswahlen sagen viel über die Machtverhältnisse in der Schweizer Politik aus. Beim Schaulaufen der SP-Kandidaten Beat Jans (59) und Jon Pult (39) geht es derzeit kaum je um deren Einstellung zur Gesundheitsbranche, zum Finanzwesen oder zur Kulturwelt. Nein, die alles entscheidende Frage scheint in diesen Tagen eine ganz andere: Welcher der beiden gefällt den Bauern besser?
Die Landwirtschaft verfügt in Bern zwar nicht über eine so pralle Kriegskasse wie etwa die internationalen Organisationen, die Versicherungen oder die Industrie, haben aber einen viel wichtigeren Trumpf in der Hand: Der älteste Wirtschaftssektor schlummert tief im eidgenössischen Selbstverständnis. Die Alpenrepublik ist ein Banker- und Bauernstaat, im Spannungsfeld zwischen Geld, Geist und Gülle schwebend.
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Das verwandeln die Landwirte geschickt in politisches Kapital. Bundesbern ist ihr Acker, problemlos pflügen sie, wenn nötig, die Politik zu ihren Gunsten um: Mitunter werden ganze Regierungsgeschäfte gekippt, Parlamentsbeschlüsse gedreht – und Mitglieder der Landesregierung gekürt.
Erstes Hearing bei Agrarvertretern
«Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht», sagt der Volksmund, so ist es kein Zufall, dass Jans und Pult morgen Montag ihr erstes Hearing bei den Agrarvertretern im Parlament abstatten müssen.
Die neugierige Runde nennt sich Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier und ist zu unterscheiden vom landwirtschaftlichen Klub der Bundesversammlung. Das ist die offiziell aufgeführte parlamentarische Gruppe, die allen offensteht. Die Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier hingegen ist eine Vereinigung mit klandestinem Anstrich: National- und Ständeräte können nur auf Einladung des Schweizer Bauernverbandes Einsitz nehmen. Eine Mitgliederliste sucht man in der Öffentlichkeit vergebens.
Präsidiert wird das Gremium von Markus Ritter (56), dem trittsicheren Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Bauernverbandes. Der Verband stellt auch das Sekretariat zur Verfügung.
Gegründet wurde die Konferenz 1897 mit dem Zweck, über die Parteigrenzen hinweg die Kräfte zu bündeln, anfangs zwischen den Liberalen und den Katholisch-Konservativen, heute zwischen den Bundesratsparteien.
Wie ein hohes Gericht
Mit den nationalen Wahlen im Oktober ist der Einfluss gewachsen: In den vergangenen vier Jahren waren gemäss Ritter etwa 30 Leute dabei, in der neuen Legislatur sind es «rund vierzig». Entsprechend selbstbewusst tritt man auf; über die morgige Vorstellungsrunde sprechen manche so ehrfürchtig wie über ein hohes Gericht. Im Magazin «St. Galler Bauer» vom 3. Oktober wurde Ritter gefragt: «Die Konferenz hat also viel Einfluss und Macht?» Er widersprach keineswegs, sondern antwortete trocken: «Das ist das Ziel.»
SonntagsBlick wollte von ihm wissen, was am Montag auf die zwei Bundesratsanwärter zukommt: Jeder hat demnach 30 Minuten. Ritter: «Während der ersten zehn Minuten können sie sich jeweils kurz persönlich vorstellen und etwas zu ihrem Bezug zur Landwirtschaft sagen.» Das Treffen solle auch eine Gelegenheit sein, «um den Kontakt zu unseren Mitgliedern herzustellen».
Nach einer Fragerunde bespreche man sich untereinander. Allerdings würden die Anwesenden nicht wie ein Rat der Weisen einen gemeinsamen Beschluss fassen – «es ist nicht so, dass wir Stimmen auszählen», so Ritter. «Aber matchentscheidend ist sicher, welchen Eindruck die Bewerber hinterlassen und wie sie wahrgenommen werden.»
Baume-Schneider mit Schwarznasenschafen
Die Stärke der Gruppe ist ihre Breite: Leute aus vier Fraktionen sind dabei. Wie der Einfluss funktioniert, erklärt der Vorsitzende gleich selber: «Die Mitglieder gehen nachher in die Wandelhalle und in die Fraktionen, wo sie ihre Eindrücke schildern. Da dies das erste Hearing ausserhalb der SP ist, wird die Diskussion unter den Räten damit angestossen.» Es sei darum sehr wichtig, «wie sich die Kandidaten präsentieren und ob sie Vertrauen schaffen können, ob sie auch den Ton der Anwesenden treffen».
Wie essenziell die Präsentation vor den Bauern ist, hat sich vor einem Jahr gezeigt. Die Basler Ständerätin Eva Herzog (61) galt im Vorfeld als Favoritin für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (63), doch die Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider (59) mit ihren Schwarznasenschafen gewann das Bauern-Duell – und damit das Rennen um den freien Sitz. Ritter denkt gar nicht daran, das Gewicht seiner inoffiziellen Vorwahlinstanz in Abrede zu stellen. Er betont nicht ohne Stolz, wie wichtig diese Anhörungen seien, «wie man auch bei Elisabeth Baume-Schneider gesehen hat». Ritter, der Königsmacher. «Ich hatte sie zuvor gar nicht gekannt», sagt er, «nur ein paar Mal mit ‹Bonjour› begrüsst. Wenn man sich hier gut verkauft, ist der Start in eine erfolgreiche Kampagne geglückt.»
«Bäuerliche Parlamentarier» können auch Mandatesammler in Lackschuhen werden. Stallgeruch ist nicht zwingend nötig, es geht auch mit einer Topfunktion bei einer landwirtschaftlichen Organisation. Beispiele sind Mitte-Ständerat und Rechtsanwalt Daniel Fässler (63) als Präsident des Waldwirtschaftsverbands, sein Parteikollege Benedikt Würth (55) als Präsident der Schweizerischen Vereinigung AOP-IGP, SVP-Ständerat und Steuerexperte Werner Salzmann (61) als Präsident Schweizer Landtechnik oder SVP-Nationalrätin und Kleinkindererzieherin Nadja Pieren (43) als Präsidentin Gemüseproduzenten Bern Freiburg.
«Im Moment ist alles offen»
Wie steht Ritter heute zu «seiner» Bundesrätin Baume-Schneider? «Unsere Erwartungen hat sie erfüllt.» Und sie komme bei der Bevölkerung sympathisch rüber. «Sie trägt auch zu einer guten Kultur im Bundesrat bei.»
Im Rennen zwischen Jans und Pult hat der Basler ein Handicap, weil er sich für Vorstösse erklären muss, die mit der konventionellen Landwirtschaft ins Gericht gehen. Ritter aber sagt: «Im Moment ist alles offen.»
Auf die Frage, ob er der mächtigsten Lobby in Bern vorsteht, gibt sich der Strippenzieher doch noch bescheiden: «Das ist übertrieben. Wir sind ein kleines Grüppchen.»