Der Schweizer Armee droht ein nächstes Problem
Schiessen Italiener die Schweizer Munitionsfabrik ab?

Die Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence entlässt Dutzende Mitarbeiter. Angestellte befürchten, der italienische Beretta-Konzern fahre die Firma bewusst an die Wand, weil andere Standorte in Europa lukrativer seien. Für die Schweiz wäre das ein Problem.
Publiziert: 04.03.2025 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2025 um 06:31 Uhr
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Dutzende Mitarbeitende der Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence sind per sofort freigestellt. Zahlreiche Schlüsselpositionen sind nicht mehr besetzt.
Foto: Blick (ZVG)

Auf einen Blick

  • Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence steht vor unsicherer Zukunft
  • Beretta-Konzern entlässt Mitarbeiter und verlagert Know-how nach Deutschland
  • Über 40 Mitarbeitende allein in der Laborierung wurden entlassen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Dutzende Mitarbeitende sind schon per sofort freigestellt. Angestellte sprechen von einem Exodus in der Thuner Munitionsfabrik Swiss P Defence. Sie befürchten das Aus für den ehemaligen Bundesbetrieb: «Die Firma wird mit Vollgas an die Wand gefahren.»

Im Marketing, in der Hülsenproduktion, im Werkzeugbau, in der Qualitätskontrolle oder der Logistik: Überall wurde der Rotstift angesetzt, hat Blick erfahren. Allein in der Laborierung sei ein Grossteil der Mitarbeitenden entlassen worden. Auch zahlreiche Schlüsselpositionen sind nicht mehr besetzt.

Kündigungen aus «wirtschaftlichen Gründen»

Gleichzeitig sei Know-how nach Fürth (D) verlagert worden. Andere Standorte im Konzern würden als lukrativer erachtet. Für viele Angestellte in Thun ist klar: «Der Laden soll heruntergefahren werden.» Sonst würden die Entlassungen «gar keinen Sinn machen».

Der italienische Beretta-Konzern als neuer Besitzer kündige aus «wirtschaftlichen Gründen». Hinzu kämen Mitarbeiter, die aufgefordert würden, von sich aus eine neue Stelle zu suchen. Sie fallen nicht unter die Kündigungen, womit wohl kein Sozialplan zum Einsatz komme.

Bundesparlamentarier machen sich schon länger Sorgen. Im Oktober hatte die Firma selber Alarm geschlagen: Es drohe das Aus der Munitionsfabrik, die bis 2022 dem Bund gehörte. Die frühere Ruag-Tochter warnte, den Standort mit rund 350 Mitarbeitenden schliessen zu müssen.

«Sicherheitspolitisch wäre das fatal»

Begründet wird dies mit dem strengen Schweizer Exportregime. Weil sie Waffen und Munition nicht an die Ukraine weitergeben dürfen, verzichten mehrere Staaten bereits auf Schweizer Rüstungsgüter. Zur Kompensation hatte das Verteidigungsdepartement (VBS) extra entschieden, für die Armee ihre Munitionsbestellungen wieder zu erhöhen.

Das aber reiche nicht, um die Schliessung in Thun zu verhindern, hatte die Swiss P klargestellt. Die Folgen wären weitreichend: Die Firma ist die grösste und wichtigste Lieferantin für Kleinkalibermunition der Schweizer Armee. Diese wäre künftig komplett vom Ausland abhängig, was in Krisen zum Problem werden kann. «Sicherheitspolitisch wäre das fatal», warnt SVP-Ständerat Werner Salzmann (62).

Das Ringen um Schutzmasken während der Covid-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass einzelne Staaten in Krisensituationen nur ihre eigenen Interessen im Auge haben und Lieferverträge wenig wert sein können. Konkret: Während Europa auf Teufel komm raus aufrüstet, droht die Schweiz ihre wichtigste Munitionsfabrik zu verlieren.

Produktion sei nur noch reduziert möglich

So soll das italienische Mutterhaus bereits Nägel mit Köpfen machen – und weiter Angestellte abbauen. «Sogar wenn der Bund deutlich mehr Munition bestellen sollte, könnten wir diese nur noch reduziert herstellen. So viele Leute sind bereits weg», sagt ein Mitarbeiter zu Blick. Ohnehin könne in Thun Munition nicht mehr vollständig produziert werden, die Firma sei auf Zulieferer angewiesen.

Das Problem: Die Firma habe Liquiditätsprobleme, da sie kaum mehr Munition ins Ausland absetzen könne («Die Lager sind voll, es geht nichts mehr raus»). Darum habe sie Ausstände bei Zulieferern, die erst wieder liefern wollten, wenn Geld geflossen sei. Im Herbst habe die Swiss P sogar einen Kredit aufnehmen müssen, um Löhne noch zahlen zu können.

Gleichzeitig seien die in die Jahre gekommenen Maschinen in schlechtem Zustand und störungsanfällig. Hinzu komme, dass der Bahnhof Thun umgebaut werden soll, womit der 300-Meter-Schiesskanal weichen müsse. «Dann könnten wir gar keine ballistischen Tests mehr durchführen, was aber eine Sicherheitsauflage ist.» Auch die Qualitätssicherung sei nicht mehr gewährleistet. Alles keine Anzeichen für eine längerfristige Zukunft der Swiss P in Thun.

Zwar wurde mit der Käuferin eine Standortgarantie von fünf Jahren vereinbart. Dann aber könnte Schluss sein. Allenfalls sogar schon früher. «Viele Angestellte suchen einen neuen Job, weil die Unsicherheit so gross ist», heisst es aus der Belegschaft. Und wenn die Firma kaum mehr Aufträge habe und nicht rentabel wirtschaften könne, dann spiele wohl auch eine Standortgarantie keine Rolle mehr.

Firmenleitung tue alles, um Standort Thun zu sichern

Die Unternehmensleitung sieht das auf Anfrage ganz anders. Mit den Informationen zu den Entlassungen konfrontiert räumt sie zwar ein, dass sie wegen der restriktiven Exportregeln «Massnahmen zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit» ergreifen müsse. Diese sollen die «langfristige Stabilität und Zukunft unseres Unternehmens am Standort Thun», gewährleisten, schreibt Personalchef Michael Ruh. Welche Massnahmen er meint, bleibt offen. Swiss P werde aber alles daran setzen, «diese schwierige Phase zu überwinden», und sei zuversichtlich, dass sich die Rahmenbedingungen wieder verbessern werden.

Auch der Bundesrat hält fest, dass ein Verbleib der Munitionsfabrik in der Schweiz für die Armee «vorteilhaft wäre». Der Verkauf war nur zwei Wochen nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs über die Bühne gegangen. Seither hat sich die Sicherheitslage in Europa massiv verschärft. Und nun droht die Abhängigkeit vom internationalen Rüstungsmarkt noch grösser zu werden. Konkrete Massnahmen, um den Wegzug der ehemaligen Ruag-Tochter zu verhindern, will die Landesregierung dennoch nicht ergreifen. Ein Rückkauf ist für sie kein Thema.

Für Bürgerliche gibt es nur einen Weg, um die Rüstungsindustrie in der Schweiz zu erhalten. Das restriktive Kriegsmaterialrecht sei anzupassen. Das Parlament wird voraussichtlich im Sommer einen neuen Lösungsvorschlag beraten – und dabei wohl auch die Thuner Munitionsfabrik im Hinterkopf haben.

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