Defizit, Entlassungen und Personalmangel
Schweizer Spitäler bluten aus

In Schweizer Spitälern wird das Geld knapp. In Bern werden darum Spitäler geschlossen, in St. Gallen ist das schon passiert – genützt hat es bislang wenig.
Publiziert: 16.04.2023 um 18:10 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2023 um 12:17 Uhr
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Alexander Stibal will das Spital Münsingen BE kaufen.
Foto: ZVG/Spital Münsingen
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Wenn Alexander Stibal zum Messer greift, geht es um Millimeter. Der Chirurg operiert am Spital in Münsingen BE an Wirbelsäule und Nervensystem. Schon bald könnte er aber auch mit Zahlen, Abrechnungen und Aktenbergen hantieren. Doktor Stibal will nämlich das Spital Münsingen kaufen. Zusammen mit anderen Ärzten und einem Ökonomen, politisch unterstützt von den Gemeindepräsidenten der Region.

Die Insel-Gruppe will das Spital Münsingen schliessen, ein Finanzloch über die gesamte Gruppe zwingt es dazu. Doch Stibal sagt: «Münsingen braucht ein eigenes Spital, allein schon wegen des Notfallbetriebs. Ein 90-jähriges Grosi kann in der Nacht nicht alleine in ein Spital nach Bern fahren.»

Kein Einzelfall

Münsingen ist kein Einzelfall. Das Schweizer Spitalwesen hängt an den Schläuchen. Die Insel-Gruppe verzeichnete im vergangenen Jahr ein Minus von 80 Millionen Franken. Darum muss neben Münsingen auch das Berner Stadtspital Tiefenau dran glauben. Rund 200 Mitarbeitende dürften ihren Job verlieren.

Bereits Spitäler geschlossen hat der Kanton St. Gallen. Genützt hat es bislang wenig. Anfang März meldeten die St. Galler Spitäler für 2022 einen Gesamtverlust von 53 Millionen Franken. Auch das Kantonsspital Aarau braucht Geld. 240 Millionen muss der Kanton einschiessen. Für den zuständigen Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (56) alternativlos, sonst droht der Konkurs.

Vielfältige Gründe

Die Gründe für die Misere sind vielfältig. «Es gab in einigen Spitälern sicher Fehlinvestitionen. Dazu kommen die Pandemie und generell niedrige Tarife», sagt Gesundheitsökonom Simon Wieser von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Auf Tariferhöhungen aber sollen die Kantone verzichten, fordert der Bundesrat. Er befürchtet noch höhere Krankenkassenprämien.

Der Fachkräftemangel tut sein Übriges. Pflegerinnen und Pfleger sind gesucht. Fehlen sie, müssen temporäre Aushilfen einspringen. Die seien deutlich teurer, sagt Wieser. Mit den Spitalschliessungen kann zumindest administratives Personal gespart werden.

Notfall und Operationen

Trotz aller Probleme: Chirurg Stibal ist überzeugt, dass es möglich ist, mit dem Spital Münsingen Gewinn zu machen. «Wir können dank einer schlanken Organisation effizienter arbeiten.» Er verweist auf das Spital Emmental, das schwarze Zahlen schreibt.

Auch vor dem Fachkräftemangel hat Stibal keine Angst. «Es hat genügend fähiges Personal im Spital. Wir sind überzeugt, dass die bestehenden Teams bei uns bleiben.»

Wenn der Kauf klappt, wollen Stibal und seine Mitstreiter einen normalen Spitalbetrieb anbieten: «Wir werden zusammen mit den Hausärzten einen ordentlichen 24-Stunden-Notfalldienst sicherstellen. Es hat viele Altersheime in der Nähe, da braucht es das. Dazu kommen die Operationen.» Diese sind nötig, damit ein Spital rentiert. «Der Notfalltarif ist zu tief. Man muss die Notfälle mit Operationen querfinanzieren.»

Zweischneidiges Schwert

Die Forderung nach höheren Spitaltarifen ist nicht neu. Tariferhöhungen seien durchaus hilfreich für die Spitäler. «Irgendwann kann man nicht mehr effizienter werden», sagt Gesundheitsökonom Wieser. Wenn die Tarifkosten für stationäre Behandlungen erhöht werden, müssen gleichzeitig auch die Kantone mehr bezahlen.

Steigen die Tarife, belastet das aber auch die Krankenkassenprämien. Die sind schon jetzt eine riesige Belastung für viele Menschen und dürften 2024 nochmals um rund 7,5 Prozent steigen, wie der SonntagsBlick schrieb.

Schliessungen dürften weitergehen

Die Krise in den Spitälern dürfte sich also weiter verstärken – und auch die Spitalschliessungen weitergehen, sagt Wieser. «Es macht sicher Sinn, die Infrastruktur nicht doppelt zu bezahlen. Auch die Patienten gehen lieber in Spitäler, wo häufiger operiert wird.»

Zumindest die Schliessung von Münsingen will Chirurg Stibal verhindern. Er hat vor vier Jahren schon einmal versucht, das Spital zu kaufen. Damals ist er abgeblitzt. Jetzt laufen die Verhandlungen mit der Spitalgruppe noch, darum gibt man sich allerorts zurückhaltend.

Doch selbst wenn Münsingen geschlossen wird: Die Notfallversorgung sei grundsätzlich sichergestellt, sagt Gundekar Giebel, Sprecher der Berner Gesundheitsdirektion. Die Kapazitäten am Inselspital sollen erweitert und allfällige Notfallspitzen ausgeglichen werden.

Klar ist schon jetzt: Klappt die Übernahme, muss es schnell gehen. «Wir brauchen eigentlich mehr Zeit, um das Spital zu retten», sagt Stibal. Dennoch ist er überzeugt, dass das Spital Münsingen bestehen bleiben muss. «Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung wird es sehr schnell sehr gefährlich. Darum braucht Münsingen ein Spital.»

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