Das ist der Richter, der das Klima-Urteil fällte
Andreas Zünd verurteilt die Schweiz

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz im Falle der Klima-Seniorinnen verurteilt. Dafür mitverantwortlich war auch der Schweizer Richter Andreas Zünd.
Publiziert: 12.04.2024 um 07:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2024 um 12:59 Uhr
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Andreas Zünd ist Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Foto: STEFAN BOHRER

Richter Andreas Zünd (67) mag seine Robe nicht. Umständlich klaubt er Knöpfe und Reissverschlüsse zusammen, dreht die Schärpe über der linken Schulter. Zünd ist der Schweizer Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Seit 2021 trägt er die Robe. «Sie schafft Distanz. Das ist vor einem Gericht nicht nötig. Alle sollten auf der gleichen Stufe sein», sagt Zünd, als ihn Blick im Sommer des vergangenen Jahres in Strassburg trifft.

Am Dienstag verurteilte der EGMR die Schweiz, weil sie zu wenig für den Klimaschutz macht und den Klimaseniorinnen den Zugang zum Gericht verweigert hat. Der Schweizer Richter Zünd hat die Entscheidungen zusammen mit 16 anderen Richterinnen und Richtern gefällt.

«Jedes Urteil ist ein Gewinn für die Schweiz»

Das Gericht hat einstimmig entschieden, dass die Schweizer Gerichte die Seniorinnen hätten anhören sollen. Mit 16 zu 1 Stimme wurde die Schweiz dann wegen Verletzung des Rechts auf Privatleben verurteilt. Zünd gibt nicht preis, ob er die eine Gegenstimme war. Ein Anhang zum Urteil, der eine teilweise abweichende Meinung eines britischen Richters enthält, macht aber deutlich, dass Zünd die Schweiz auch in diesem Punkt verurteilt hat.

Er fühle sich nicht schlecht dabei, die Schweiz zu verurteilen, sagte Zünd zu Blick im Sommer. «Es mag eine Verurteilung sein. Aber jedes Urteil ist ein Gewinn für die Schweiz, weil es das Recht voranbringt.»

Die Schweizer Kritik am Klima-Urteil, es würde die direkte Demokratie übersteuern, kontert Zünd: Der Gerichtshof stelle gerade deshalb eine Verletzung fest, weil das demokratisch beschlossene schweizerische Gesetz nicht eingehalten worden sei und als Folge davon die Bürgerinnen und Bürger nicht geschützt würden.

«Auch das Klimaübereinkommen ist demokratisch legitimiert», so Zünd, «es ist durch die Bundesversammlung genehmigt worden und unterstand dem Referendum. Das Gericht stärkt die Demokratie, wenn es verlangt, dass demokratisch getroffene Entscheide auch umgesetzt werden.»

Der Bildschirm bleibt schwarz

Das Recht ist für Zünd mehr als nur ein Job. Das spürt man, wenn er in gebückter Haltung von der Meinungsäusserungsfreiheit in Bulgarien bis zur Videoüberwachung in Russland spricht. Der Vollblutjurist begründet sogar seine vegane Ernährung mit der Bundesverfassung – Artikel 120 Absatz 2, die «Würde der Kreatur».

Richter Andreas Zünd im Gerichtshof in Strassburg
Foto: Stefan Bohrer

Sein Alltag besteht aus Aktenstudium im Büro mit Blick auf den Flusses Ill. Der Tisch ist von Papier übersät, der Computerbildschirm hingegen bleibt schwarz. Zünd mag es nicht, am Bildschirm zu arbeiten.

Zünd ist SP-Mitglied. Kritiker nennen ihn einen Aktivisten. Politisch seien seine Urteile aber nicht. «Ich teile die Werte der SP. Im Gerichtssaal ist die Partei jedoch kein Thema, ich bin ihr nicht verpflichtet.» In der Schweiz müsse man fast Mitglied einer Partei sein, um einen Richterposten zu ergattern. In Strassburg sei man damit ein Exot.

Zünd wohnt in Strassburg, ein «fremder Richter» sei er aber nicht. «Ich bin ein Schweizer Bürger. Und ich bin nicht abgeschottet, im Gegenteil, ich bekomme viele Besuche aus der Heimat.»

Dieses gekürzte Porträt erschien zuerst am 24. Juni 2023 und wurde nach dem Urteil der Klimaseniorinnen aktualisiert.

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