Es war ein kleiner Lapsus, der einem SVP-Mitarbeiter gestern Abend passierte: Um 20 Uhr flatterte eine Medienmitteilung der Sünneli-Partei in die Redaktionen, in welcher sie sich über FDP und Mitte beklagte. Diese hätten in der Debatte zum Covid-19-Gesetz «nicht den Mut gehabt, den Bundesrat dazu zu zwingen, per 22. März alle Bereiche mit Schutzkonzepten wieder zu öffnen». Die SVP sei damit die einzige Partei, die «beharrlich die schädliche Corona-Politik der Mitte-Links-Mehrheit des Bundesrates hinterfragt und sich gegen dessen willkürliche Massnahmen-Herrschaft zur Wehr setzt».
Bloss, das Bashing der bürgerlichen Partner kam etwas zu früh. Als die Medienmitteilung verschickt wurde, hatte die Debatte zum entsprechenden Diskussionsblock noch nicht mal begonnen – die ging erst nach halb zehn los und dauerte fast bis Mitternacht.
Das Resultat war aber dasselbe: Drängten FDP- und Mitte-Vertreter in der nationalrätlichen Wirtschaftskommission noch auf eine zwingende Öffnung per 22. März, liessen die beiden Fraktionen die SVP dann doch im Stich.
SVP sieht Bundesrat in der Pflicht
Im BLICK-Interview zeigt sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42) enttäuscht über das Verhalten der beiden bürgerlichen Parteien.
BLICK: Herr Aeschi, bei der Öffnungsfrage stand die SVP am Schluss doch alleine da – nur wenige FDP- und Mitte-Vertreter stimmten mit Ihnen.
Thomas Aeschi: Ich bin enttäuscht über das Wischiwaschi-Verhalten von FDP und Mitte. In der Wirtschaftskommission wie auch der Gesundheitskommission hatten wir Mehrheiten für die Öffnung, jetzt krebsen die beiden Fraktionen zurück. Sie belassen es bei einer unverbindlichen Erklärung an den Bundesrat und vertrauen diesem blind. Ich erwarte nun von den beiden Parteien, dass sie bei ihren Bundesräten vorstellig werden und Klartext mit ihnen reden, damit am 22. März doch noch geöffnet wird. Die Nagelprobe kommt schon am Freitag.
Dann will der Bundesrat die nächsten Lockerungsschritte in die Vernehmlassung geben – falls überhaupt. Angesichts stagnierender Fallzahlen ist offen, ob es zu weiteren Lockerungen kommt.
Es muss weitere Lockerungen geben! Die Schutzkonzepte funktionieren und die Menschen müssen endlich wieder arbeiten dürfen und eine Perspektive erhalten. Das haben auch FDP und Mitte klar betont. Der Bundesrat muss diesen Auftrag nun umsetzen. Die Freisinnigen Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis sowie Mitte-Bundesrätin Viola Amherd stehen nun in der Pflicht. Der Wink des Parlaments ist klar.
Je gut zwei Drittel der beiden Fraktionen haben gegen die zwingende Öffnung gestimmt. Was heisst das für die bürgerliche Zusammenarbeit?
Das Vertrauen in die bürgerlichen Partner hat sicherlich gelitten. Beide sind in wichtigen Fragen tief gespalten und damit unzuverlässig. Das zeigt sich jetzt in der Corona-Politik oder letztes Jahr beim CO2-Gesetz. Aber auch bei Rahmenabkommen mit der EU. Da bekämpfen sich in beiden Parteien EU-Turbos und EU-Gegner. In der letzten Legislatur konnten wir öfter auf die bürgerlichen Bündnispartner bauen, jetzt kämpfen beide mit einer innerlichen Zerreissprobe. Das ist keine gute Entwicklung.
Die SVP hat das Covid-19-Gesetz in der Gesamtabstimmung mehrheitlich abgelehnt – auch Sie. Damit setzen Sie viele Verbesserungen etwa bei der Härtefallregelung oder Kurzarbeitsentschädigungen aufs Spiel.
Viele Verbesserungen fanden keine Mehrheit. Mit dem aktuellen Entwurf sind wir überhaupt nicht zufrieden. Bundesrat und Parlament haben schon mehr als 30 Milliarden Franken gesprochen – mit Erwerbsersatz, verlängerter Kurzarbeit oder Härtefallgeldern. Unsere Linie ist klar: Wenn wir nun öffnen, können die Leute wieder arbeiten und konsumieren. So verhindern wir Konkurse und gefährden nicht Hunderttausende von Stellen. Und dann braucht es auch nicht zusätzlich 9,5 Milliarden Franken! Das sind Schulden, welche die gleichen Unternehmen mit ihren Steuern berappen müssen. Ich gehe davon aus, dass der Ständerat hier die Mehrheit im Nationalrat korrigieren wird.
Ihr Ärger ist gross. Hatten Sie in der Debatte auch mal Grund zu Freude?
Ja, aber nur zwei Mal. Als ein SVP-Antrag durchkam, dass die Büezer-Beizen länger öffnen dürfen. Ebenso beim Antrag, dass bei der Positivitätsrate alle negativen Tests in die Berechnung mit einfliessen müssen. Da hat Bundesrat Alain Berset ja auch einräumen müssen, dass sie so nichts mehr taugt – er will diesen Indikator nun nicht mehr berücksichtigen.