Der Bundesrat hat sich während der Corona-Pandemie ans Durchregieren gewöhnt. Corona-Verordnungen setzte er zu Beginn per Notrecht in Kraft, die Covid-Gesetzgebung wurde im Dringlichkeitsverfahren durchs Parlament gepeitscht – und erst im Nachhinein an der Urne darüber abgestimmt.
Auf die Tube drücken will nun auch FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (62): Mit einem Hamas-Verbot per Dringlichkeitsgesetz, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete und verschiedene Quellen Blick bestätigen. «Der Bundesrat erachtet die Attacke der Hamas als terroristische Attacke und stuft die Hamas deshalb als Terrororganisation ein», unterstrich Cassis kurz nach der Attacke vom 7. Oktober und kündigte an, ein Verbot zu prüfen.
Zwischenzeitlich haben sich auch die beiden Sicherheitskommissionen von National- und Ständerat für ein Verbot der palästinensischen Hamas-Organisation ausgesprochen und entsprechende Vorstösse eingereicht. Der politische Druck steigt damit.
Warum drückt Cassis aufs Gas?
Cassis möchte nun rasch Nägel mit Köpfen machen. Dem Vernehmen nach geht es ihm nicht nur darum, ein Signal zu setzen, sondern möglichst rasch auch Hamas-Propaganda oder allfällige Finanzflüsse unterbinden zu können. In der derzeit aufgeheizten Stimmung sei ebenso die Sicherheitsfrage ein Thema.
Ein Sondergesetz könnte gleichzeitig weiterhin diplomatische oder friedenspolitische Kontakte zur Hamas erlauben, sodass die Schweiz in ihrer Vermittlerrolle nicht automatisch eingeschränkt würde.
Was passierte im Bundesrat?
Allerdings wurde Cassis von seinen Gspänli gebremst. Gemäss Blick-Informationen meldete ausgerechnet SP-Bundespräsident Alain Berset (51) Bedenken gegen das Eilverfahren an. Die Bundesverfassung hält nämlich fest, dass Gesetze nur dringlich erklärt werden dürfen, deren Inkrafttreten «keinen Aufschub duldet».
Die entscheidende Frage: Ist Dringlichkeit tatsächlich angebracht? Würde die Schweiz einen nicht hinnehmbaren Nachteil erfahren, wenn ein Hamas-Verbot vielleicht erst ein Jahr später wirksam würde?
Wenn die Dringlichkeit gegeben ist, müsste auch das Parlament grünes Licht geben. Das wäre frühestens in der Frühlingssession 2024 denkbar. Ein Verbot könnte also erst dann in Kraft gesetzt und befristet werden. Eine allfällige Referendumsabstimmung wäre erst im Nachhinein möglich.
Im ordentlichen Verfahren hingegen würde es mindestens bis 2025 dauern, bevor ein Hamas-Verbot in Kraft gesetzt werden könnte. Nun muss sich der Bundesrat entscheiden, welches Tempo er für angezeigt hält.
Was hätte das Eilverfahren für Auswirkungen?
Ein Hamas-Sondergesetz könnte zudem einen Präzedenzfall darstellen. Zwar sind in der Schweiz die islamistischen Terrororganisationen Al Kaida und IS schon seit Jahren verboten. Das Verbot wird aber durch entsprechende Beschlüsse der Vereinten Nationen gedeckt. Gemäss Nachrichtendienstgesetz braucht es für ein Organisationsverbot eine solche Uno-Vorgabe.
Das ist der Grund, weshalb Organisationen wie beispielsweise die kurdische Arbeiterpartei PKK in der Schweiz nie auf einer Verbotsliste standen. Eine Lex Hamas käme damit einem Paradigmenwechsel gleich. Damit würde rasch die Debatte aufbrechen, auch andere fragliche Gruppierungen rasch für illegal zu erklären. Der Druck auf die Schweiz für Verbote würde massiv zunehmen.
Verbot eigentlich nicht bestritten
Das Hamas-Verbot könnte trotzdem schon in einer der nächsten Bundesratssitzungen wieder auf den Tisch kommen, da das Verbot an sich nicht infrage steht. Es habe sich um eine Art erste Lesung gehandelt, heisst es in Bern. Offenbar hat auch der enge Zeitplan aufgrund des Macron-Besuchs dazu geführt, dass noch nicht alle Fragen geklärt werden konnten.
Wenn sich der Bundesrat tatsächlich dazu durchringen sollte, die Hamas im Eilverfahren zur illegalen terroristischen Organisation zu erklären, dürfte unweigerlich wieder die Diskussion um Notrecht und mangelnder Achtung unserer Landesregierung vor rechtsstaatlichen Gepflogenheiten vom Zaun brechen.