Bundesrat will Mini-AHV, Kassen wollen Reserven anzapfen
Jetzt beginnt die nächste Renten-Schlacht

Nach der AHV nimmt das Parlament nun auch die Reform der Pensionskassen in Angriff. Einmal mehr wird die Kompensation der Übergangsgeneration zum Knackpunkt.
Publiziert: 24.06.2021 um 06:57 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2021 um 07:54 Uhr
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Wie viel Geld gibts im Alter? Nun beugt sich die nationalrätliche Sozialkommission über die Reform der beruflichen Vorsorge.
Foto: imago images/photothek
Ruedi Studer

Der Kampf um die AHV-Reform ist noch in vollem Gange, da beginnt schon die nächste Renten-Schlacht: die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Ab Donnerstag streiten sich die Nationalrätinnen und Nationalräte in der Sozialkommission darüber, wie es mit den Pensionskassen weitergehen soll. Das Thema ist komplex. Dutzende Änderungsanträge liegen vor, es geht um zusätzliche Lohnbeiträge, eine breiter versicherte Lohnsumme, die Senkung des Umwandlungssatzes und um die Finanzierung von Ausgleichsmassnahmen.

Letztere sind das eigentliche Herzstück. Denn sinkt der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent, bekommt man pro 100'000 Franken Altersguthaben nur noch 6000 statt 6800 Franken im Jahr. Eine Rentenkürzung um satte 12 Prozent!

Rentenzuschlag oder einmaliger Zustupf?

Dieses Minus will die Politik ausgleichen. Der Bundesrat schlägt als Kernstück einen Rentenzuschlag vor. Eine Übergangsgeneration von 15 Jahren erhielte je nach Zeitpunkt der Pensionierung 100 bis 200 Franken monatlich, danach wird der Zuschlag variabel ausgestaltet. Finanziert wird er über zusätzliche 0,5 Lohnprozent. Das bedeutet eine gewisse Umverteilung von Besserverdienenden zu Tieflöhnern. Eine Art Mini-AHV.

Der Bundesrat setzt dabei auf den «Sozialpartner-Kompromiss», den Arbeitgeber zusammen mit den Gewerkschaften geschmiedet haben. Die bürgerlichen Parteien liefen lange dagegen Sturm. «Wir lehnen diesen Umverteilungsmechanismus ab», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42). «Anders als bei der AHV, der 1. Säule, spart bei der 2. Säule jeder für sich selber.»

Stattdessen liebäugelten die Bürgerlichen mit dem «Mittelweg»-Modell, das verschiedene Branchenverbände und der Pensionskassenverband Asip in die Debatte einbrachten. Die Idee: Jede Kasse schaut für sich selbst und finanziert während zehn Jahren über ihre Rückstellungen selber eine Kompensation. Der erste Pensionierten-Jahrgang bekäme einen einmaligen Zuschlag von 13 Prozent auf sein obligatorisches BVG-Altersguthaben. Danach würde der Zuschlag jedes Jahr um 1,3 Prozent bis auf null sinken. Fast alle Kassen würden über genügend Rückstellungen verfügen, beteuert der Verband. Weniger als drei Prozent müssten dies aus der laufenden Rechnung finanzieren. Dem Vernehmen nach beantragt die SVP die Umsetzung dieses Modells.

Bürgerlicher Support bröckelt

Mittlerweile bröckelt der Support für die Idee im bürgerlichen Lager. «Man muss sich fragen, wem diese Reserven gehören, wo sie tatsächlich vorhanden sind und wie weit sie reichen, um das Rentenniveau zu halten», sagt Mitte-Nationalrat Christian Lohr (59, TG). Es brauche eine Lösung, die auch für die KMU-Wirtschaft finanzierbar sei. «Gewisse Kassen machen es sich da zu einfach.»

Für FDP-Nationalrätin Regine Sauter (55, ZH) ist klar: «Es braucht eine gewisse Solidarität unter den Pensionskassen.» Beim Asip-Modell habe man ihr noch nicht schlüssig aufzeigen können, dass dessen dezentraler Ansatz funktionieren könne. «Es muss sichergestellt sein, dass der Ausgleichsmechanismus für mehr als nur ein paar Jahre wirkt.»

Die Zweifel sind gross, ob sich die Reform tatsächlich so einfach via Rückstellungen finanzieren lässt. «Das System wird destabilisiert. Besonders Kassen nahe am BVG-Obligatorium werden in Schwierigkeiten geraten», sagt Gabriela Medici (35) vom Gewerkschaftsbund. Dann brauche es einen Auffangschirm, oder Arbeitgeber und Arbeitnehmende müssten tiefer in die Tasche greifen.

Bundesamt warnt

Auf diese Problematik weist auch das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in einem Bericht an die Parlamentarier hin. Zwar verfügten die über 1000 Kassen über 16,5 Milliarden Franken an Rückstellungen. Bei den rund 200 BVG-nahen Kassen, deren Leistungen kaum über die gesetzlichen Mindestvorgaben hinausgehen, ist es aber nur gut eine Milliarde. Davon könnten wohl nur 600 bis 900 Millionen Franken für die Kompensation eingesetzt werden.

Das reicht aber nicht: Gerade in Branchen mit tiefer Wertschöpfung und tiefen Löhnen werde es ohne Solidarität unter den Kassen schwierig, so das BSV. Es warnt: «Das könnte die betroffenen Arbeitgeber und ihre Arbeitnehmenden zusätzlich finanziell belasten und die finanzielle Lage ihrer Vorsorgeeinrichtungen sogar schwächen.»

Asip verteidigt Idee

Asip-Direktor Hanspeter Konrad hält dagegen: «Der grosse Vorteil des Rückstellungsmodells besteht darin, dass es nur halb so viel kostet wie das Bundesratsmodell.» Die Rückstellungen seien vorhanden. Und: «Die Umverteilung wird effektiv reduziert statt massiv auf Kosten der Jungen ausgebaut.»

Welchen Weg die Nationalratskommission einschlägt, bleibt offen. Über die Kompensationsfrage wird wohl erst nach der Sommerpause definitiv entschieden.

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