Hinter verschlossenen Türen wurde lange und mühsam über eine Pensionskassenreform verhandelt, doch jetzt ist der gordische Knoten zerschlagen: Der Arbeitgeberverband sowie die beiden Gewerkschaftsdachverbände Travailsuisse und Gewerkschaftsbund haben sich zu einem Rentenkompromiss zusammengerauft (siehe Box).
Als «Sozialpartner-Kompromiss» lobt Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (58) den Vorschlag, den er Seite an Seite mit den beiden Gewerkschaftsvertretern Pierre-Yves Maillard (51) und Adrian Wüthrich (39) vertrat.
Ein Sozialpartner fehlt beim Kompromiss
«Sozialpartner-Kompromiss» – ein Label, das dem politischen Marketing geschuldet ist. Ein Label, mit dem bereits der Boden für einen allfälligen Abstimmungskampf bereitet wird.
Nur dass es nicht ganz stimmt: denn mit dem Gewerbeverband bleibt ein gewichtiger Sozialpartner aussen vor. Dieser will den Kompromiss nicht mittragen. Gewerbedirektor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler (61) torpediert ihn aus vollen Rohren. Zu teuer, zu gewerbefeindlich, zu sozialistisch ist ihm der Vorschlag.
Rentenzuschlag als Pièce de résistance
Die Pièce de résistance ist dabei der geplante Zuschlag, um das Rentenniveau zu halten. Für Bigler eine «systemfremde Umverteilung», womit er nicht ganz falschliegt.
Doch dann malt er den Sozialismus-Teufel an die Wand: «Damit wird der Einführung einer Volksrente Tür und Tor geöffnet», warnt er. Er geht nämlich davon aus, dass der Umwandlungssatz künftig noch weiter gesenkt werden muss. Dann geht das Dealen von vorne los.
«Ist der Rentenzuschlag-Mechanismus mal im System, werden die Gewerkschaften bei jeder weiteren Reform daran schrauben», fürchtet Bigler. «Der Arbeitgeberverband hat sich über den Tisch ziehen lassen. Die Gewerkschaften haben auf ganzer Linie gesiegt.»
Bigler ärgert sich über «Geheimgespräche»
Auf den Arbeitgeberverband ist Bigler sowieso nicht gut zu sprechen. Er ärgert sich darüber, dass dieser schon im Vorfeld mit den Gewerkschaften «Geheimgespräche» geführt habe.
«Als wir uns mit an den Tisch setzten, waren die Eckpunkte bereits definiert. Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt», kritisiert Bigler. Der Gewerbeverband habe sich vergebens gegen den Umverteilungsmechanismus gestemmt und eigene Vorschläge eingebracht.
Alternativmodell mit höheren Lohnbeiträgen
Für sein Alternativmodell macht Bigler eine einfache Rechnung: «Wird der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt, muss das angesparte Alterskapital um 13,3 Prozent steigen, damit es die gleiche Rente gibt wie bisher.»
Ansetzen will der Gewerbeverband deshalb bei den Altersgutschriften. Diese sollen stärker steigen als beim Sozialpartner-Kompromiss (siehe Box). Laut ihm sollen die 25- bis 54-Jährigen höhere Lohnprozente abgeben. Nur bei den über 55-Jährigen würden sie auf dem heutigen Niveau von 18 Prozent bleiben.
Von einem tieferen Koordinationsabzug, also einer BVG-Versicherung auch von kleineren Löhnen, will er nichts wissen. «Damit würden Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor verteuert und gefährdet», so Bigler. Insgesamt rechnet er mit Mehrkosten von 1,5 Milliarden Franken – wovon 400 Millionen zur Abfederung einer Übergangsgeneration von zehn Jahren eingesetzt würden.
Allerdings bleibt unklar, ob das Rentenniveau im Einzelfall damit tatsächlich gehalten werden kann. Bigler wischt solche Einwände vom Tisch: «Eine Berufskarriere ist nicht statisch und kann sich immer wieder verändern. Die Modellrechnungen des Arbeitgeberverbands sind deshalb reine Augenwischerei.»
Bigler zählt auf Stimmvolk
Bigler will den Hosenlupf mit Linken und Gewerkschaften jedenfalls wagen. Er glaubt daran, dass die Gewerbler-Lösung auch beim Stimmvolk mehrheitsfähig ist, obwohl die Senkung des Umwandlungssatzes 2010 an der Urne Schiffbruch erlitten hat. «Heute ist das Problembewusstsein bei der Bevölkerung breit vorhanden, dass die Sozialversicherungen unter Druck sind und dass es Einschnitte braucht.»
Er hofft dabei auf eine bürgerliche Mehrheit aus SVP, FDP und CVP, die für den Alternativvorschlag kämpft. Die SVP hat sich jedenfalls bereits auf Biglers Seite geschlagen. Auch die FDP setzt hinter den Rentenzuschlag ein grosses Fragezeichen und will «andere Kompensationsmechanismen prüfen, die weder zu einem Leistungsausbau führen noch eine systemwidrige Umlagekomponente enthalten».
Zuerst ist Bundesrat Berset am Zug
Doch nun ist erst mal Bundesrat Alain Berset (47, SP) am Zug. Ihm wurden die beiden Modelle gestern präsentiert. Er dürfte auf Basis des Rentenkompromisses eine eigene Vorlage ausarbeiten – allenfalls mit ein paar eigenen Nuancen ausgestattet.
Arbeitgeberverband und Gewerkschaften pochen auf ein rasches Vorgehen. Sie möchten die Reform bereits per 2021 oder spätestens 2022 in Kraft wissen.
Es gibt noch Hoffnung für unsere Renten! Nachdem die letzte Reform 2017 vom Volk bachab geschickt wurde, geht nun wieder was. Voraussichtlich heute wird Bundesrat Alain Berset seinen Vorschlag für die Sanierung der AHV präsentieren – mit einer Mehrwertsteuererhöhung und der Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre.
Gleichzeitig haben Arbeitgeber und Gewerkschaften gestern ihren Vorschlag präsentiert, wie sie die Pensionskassen reformieren wollen. Auch wenn der Umverteilungsmechanismus innerhalb der zweiten Säule noch zu reden geben dürfte – dass sich die Sozialpartner mit Ausnahme des Gewerbeverbands geeinigt haben, lässt hoffen. Immerhin liegt jetzt für beide Säulen eine Basis auf dem Tisch, auf der sich aufbauen lässt.
Genau das sollte die Politik jetzt vorantreiben – und nicht mehr dazupacken. So verständlich und sachlich richtig Forderungen nach einer generellen Rentenaltererhöhung auf 66 oder gar 67 sind: Damit riskiert man ein erneutes Scheitern. Das können sich weder die AHV noch die Pensionskassen leisten. Die Devise muss sein: Schauen wir erst mal zum Spatz in der Hand. Und versuchen dann, die Taube auf dem Dach zu fangen.
Sermin Faki
Es gibt noch Hoffnung für unsere Renten! Nachdem die letzte Reform 2017 vom Volk bachab geschickt wurde, geht nun wieder was. Voraussichtlich heute wird Bundesrat Alain Berset seinen Vorschlag für die Sanierung der AHV präsentieren – mit einer Mehrwertsteuererhöhung und der Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre.
Gleichzeitig haben Arbeitgeber und Gewerkschaften gestern ihren Vorschlag präsentiert, wie sie die Pensionskassen reformieren wollen. Auch wenn der Umverteilungsmechanismus innerhalb der zweiten Säule noch zu reden geben dürfte – dass sich die Sozialpartner mit Ausnahme des Gewerbeverbands geeinigt haben, lässt hoffen. Immerhin liegt jetzt für beide Säulen eine Basis auf dem Tisch, auf der sich aufbauen lässt.
Genau das sollte die Politik jetzt vorantreiben – und nicht mehr dazupacken. So verständlich und sachlich richtig Forderungen nach einer generellen Rentenaltererhöhung auf 66 oder gar 67 sind: Damit riskiert man ein erneutes Scheitern. Das können sich weder die AHV noch die Pensionskassen leisten. Die Devise muss sein: Schauen wir erst mal zum Spatz in der Hand. Und versuchen dann, die Taube auf dem Dach zu fangen.
Sermin Faki