Es ist nicht lange her, da waren sich Arbeitgeber und Gewerkschaften spinnefeind. Die Sozialpartnerschaft auf Bundesebene lag in Trümmern. Höhepunkt dabei: der Streit um die Rentenreform von SP-Bundesrat Alain Berset (48), welche der Arbeitgeberverband aus allen Rohren torpediert hatte – und die schliesslich 2017 an der Urne scheiterte. Zuvor schon gerieten sich die Sozialpartner wegen der Mindestlohn-Initiative oder bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative in die Haare.
Tempi passati. Statt Konfrontation und Blockaden sind die nationalen Verbände seit gut zwei Jahren schon fast auf Schmusekurs. Gespräche statt Gegenwehr, so die Devise.
Die Fronten weichten sich auf
Wies es dazu kam? 2018 verdonnerte Sozialminister Berset die Sozialpartner, eine gemeinsame Lösung für die Reform der Pensionskassen zu erarbeiten. Letztes Jahr erhielten sie von FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (59) den Auftrag, beim EU-Rahmenabkommen einen Kompromissvorschlag auszuarbeiten.
Die regelmässigen Treffen der Verbandsspitzen hinter verschlossenen Türen haben die Fronten aufgeweicht. Nicht immer inhaltlich, aber klimatisch. «Wir müssen immer das Optimum für die Arbeitnehmenden rausholen. Stimmt das gegenseitige Verständnis, ist vieles möglich», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart (52). Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich (40) spricht von einer neuen Vertrauensbasis. Und: «Wenn beide Seiten eine Lösung wollen, rauft man sich zusammen und springt auch mal über den eigenen Schatten. Was für uns Dachverbände mit mehreren Mitgliedsorganisationen nicht einfach ist.»
Parmelin gemeinsam auf Kurs gebracht
Vertrauen und Verständnis – das hat sich besonders in der Corona-Krise ausbezahlt. So tauschten sich die Verbände mehrmals pro Woche an Videokonferenzen mit Bund und Kantonen aus. Und machten Druck auf den Bundesrat. Die Gewerkschaften wollten die Löhne und Arbeitnehmer schützen, die Arbeitgeber die Unternehmenskosten im Griff halten. Beide wollten Arbeitsplätze sichern. Die Lösung lag nicht nur in einer raschen Ausweitung der Kurzarbeit, sondern auch im Erwerbsersatz für Selbständige oder Notkredite für Unternehmen.
Gemeinsam machten sie SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) den Ernst der Lage klar. Noch beim ersten Wirtschaftsgipfel Anfang März waren sie entsetzt, dass das Wirtschaftsdepartement – insbesondere das neoliberale Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) – die Situation völlig unterschätzt hatte. «Wir sehen uns in einem Monat wieder», hatte sich Parmelin damals verabschiedet. Wenig später folgte eine spektakuläre Kehrtwende: Parmelin ging mit dem Znüni-Batzen in den Bundesrat und kam mit dem grossen Portemonnaie raus. Aus Millionen wurden Milliarden. Dank der Sozialpartner.
Zwar gab es in der Corona-Krise auch Reibereien – etwa beim Schutz auf Baustellen –, doch die Probleme wurden bald ausgeräumt. Angesichts der Herkulesaufgabe rückten Arbeitgeber und Gewerkschaften eng zusammen. Insbesondere Arbeitgeberverband und Gewerkschaftsbund standen fast täglich in Kontakt.
Front gegen SVP-Initiative
Doch nicht erst die Krise sorgt für eine Blütezeit der Sozialpartnerschaft. Auch anderweitig konnten sie gemeinsam Pflöcke einschlagen.
- Jüngstes Beispiel ist die Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose, welche das Parlament am Freitag mit der Schlussabstimmung unter Dach und Fach brachte. Trotz Sperrfeuer aus SVP und Teilen der FDP hielten Arbeitgeber und Gewerbeverband Wort und stellten sich grundsätzlich hinter den Deal. Und auch die Gewerkschaften zogen mit, obwohl die Vorlage entschlackt wurde.
- Es war ein eigentlicher Coup, als der Arbeitgeberverband zusammen mit dem Gewerkschaftsbund und Travailsuisse 2019 den «Sozialpartner-Kompromiss» für die Reform der zweiten Säule vorlegte. Beide Seiten mussten Kröten schlucken: die Gewerkschaften den tieferen Umwandlungssatz, die Arbeitgeber einen Rentenzuschlag. Einzig der Gewerbeverband tanzte aus der Reihe. Doch der Bundesrat übernahm die Lösung. Im Parlament wird die Hürde höher sein, stören sich die Bürgerlichen doch am Rentenzuschlag. Doch die Arbeitgeber verteidigen den Deal bissig – auch gegen Kritik aus den eigenen Reihen.
- Am 27. September kommt die Begrenzungs-Initiative der SVP vors Volk. Die Sozialpartner lehnen die Kündigungs-Initiative, wie sie sie nennen, klar ab. Die Arbeitgeber wollen die Personenfreizügigkeit nicht gefährden, die ein breites Rekrutierungspotenzial garantiert. Und die Gewerkschaften verteidigen mit ihrem Nein die flankierenden Massnahmen und den Lohnschutz. Für diesen Kampf spannen sie zusammen: Flankiert von den Verbandsspitzen der Sozialpartner, startet FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter (56) am Montag den Abstimmungskampf.
Fliegen bald die Fetzen?
«Dass uns einiges gelungen ist, hat auch mit den aktuellen Themen zu tun», sagt Arbeitgeberdirektor Roland A. Müller (57). «Wenn das Fernziel das gleiche ist, kann man sich besser auf einen gemeinsamen Weg einigen. Zudem stimmt im Moment die Chemie untereinander.»
Ob die Blüte noch lange andauert? Es stehen Themen an, wo es schwierig wird – etwa beim EU-Rahmenabkommen. Oder wo die Standpunkte unversöhnlich sind – wie beim höheren AHV-Rentenalter oder bei der Lockerung des Arbeitsgesetzes. «Bei diesen Ur-Themen sind Konflikte unvermeidlich», so Müller. Und sollte auf die Corona-Krise eine breite Entlassungswelle folgen, werden die Fetzen schon vorher wieder fliegen.