Hinter verschlossenen Türen wurde mühsam über eine Pensionskassen-Reform verhandelt, doch jetzt ist der gordische Knoten zerschlagen: Der Arbeitgeberverband sowie die beiden Gewerkschaftsdachverbände Travailsuisse und Gewerkschaftsbund haben sich zu einem Kompromiss zusammengerauft.
Heute Morgen haben sie Sozialminister Alain Berset (47) ihren Vorschlag für eine Revision der beruflichen Vorsorge (BVG) präsentiert – wobei Arbeitgeber wie Arbeitnehmer Opfer bringen müssen. Angesichts der zunehmenden Schieflage ist klar: Jetzt kommen alle an die Kasse.
Tieferer Umwandlungssatz und neuer Rentenzuschlag
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
- Tieferer Umwandlungssatz: Der Mindestumwandlungssatz wird von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent gesenkt. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken pro Jahr. Dieser Rentenverlust soll ausgeglichen werden. Die Senkung wird nötig, weil jedes Jahr mehrere Milliarden Franken von den Arbeitenden zu den Rentnern fliessen. Sobald die Vorlage in Kraft tritt, wird der Umwandlungssatz in einem Schritt gesenkt.
- Angepasste Altersgutschriften: Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – sollen angepasst werden. Neu gilt im Alter von 25 bis 44 Jahren eine Altersgutschrift von 9 Prozent (bisher 7 bzw. 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab Alter 45 beträgt die Altersgutschrift 14 Prozent (bisher 15 bzw. 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften spürbar gesenkt. Das soll auch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
- Tieferer Koordinationsabzug: Der Koordinationsabzug, der den versicherten Lohn bestimmt, wird von heute 24'885 auf neu 12'443 Franken halbiert. Damit wird künftig eine höhere Lohnsumme versichert, was auch zu höheren Altersgutschriften führt. Besonders Teilzeitbeschäftigte und Wenigverdienende können sich dadurch ein höheres Alterskapital ansparen und werden besser abgesichert.
- Fixer Rentenzuschlag: Künftig erhält jeder BVG-Rentenbezüger eine fixe Zusatzrente ausbezahlt. Der Rentenzuschlag wird über zusätzliche 0,5 Lohnprozent finanziert. Dieser wird auf AHV-pflichtige Jahreseinkommen bis 853'200 Franken erhoben. Damit erfolgt eine Umverteilung von Reichen zu tieferen Einkommen. Ein Zückerli von 1,5 Milliarden Franken jährlich, auf das die Gewerkschaften gepocht haben.
Mit dem Geld aus dem solidarisch finanzierten Zuschlag wird während 15 Jahren zuerst eine Übergangsgeneration finanziert, damit diese das Rentenniveau halten kann. Die ersten fünf Jahrgänge erhalten 200 Franken mehr pro Monat, die nächsten fünf noch 150 Franken und die letzten fünf Jahrgänge 100 Franken. Danach legt der Bundesrat die Höhe des Rentenzuschlags jedes Jahr je nach vorhandenen Mitteln fest.
Jetzt ist Berset am Zug
Die neue Lösung kostet unter dem Strich rund 2,7 Milliarden Franken. Dabei haben sich die drei Verbände zum Ziel gesetzt, dass die Reform per 2021, spätestens aber per 2022 in Kraft tritt.
Jetzt ist Bundesrat Berset am Zug. Er hatte die Sozialpartner letztes Jahr beauftragt, eine eigene Lösung auszuarbeiten, nachdem seine grosse Rentenreform 2017 in der Volksabstimmung gescheitert war.
Der Kompromiss liegt nun vor – womit Berset einen neuen Anlauf nehmen und eine darauf basierende Vorlage ausarbeiten kann.
Gewerbeverband stellt sich quer
Nur: Ohne Störmanöver wird dies nicht passieren. Mit dem Gewerbeverband stellt sich nämlich ein gewichtiger Sozialpartner quer. Die Gewerbler unter ihrem Präsidenten Jean-François Rime (69) mögen den Kompromiss nicht mittragen.
Der Gewerbeverband wehrt sich vor allem gegen jegliche Umverteilung in der zweiten Säule. Arbeitgeberverband und Gewerkschaften würden nach dem Giesskannenprinzip Rentenzuschläge verteilen. «Damit wird vom Grundsatz des Einlageprinzips im BVG abgewichen und neu eine systemfremde Umverteilung eingeführt. Es ist nichts anderes als der erste Schritt in Richtung Einheitskasse oder Volksrente», malt der Gewerbeverband den Teufel an die Wand.
Er hat Bundesrat Berset deshalb ein eigenes Alternativmodell vorgestellt. Ansetzen will der Gewerbeverband insbesondere bei den Altersgutschriften. Diese sollen stärker steigen als beim Sozialpartner-Kompromiss. Bei den 25- bis 34- Jährigen sollen die Beiträge von 7 auf 9 Prozent steigen, bei den 35- bis 44-Jährigen von 10 auf 14 Prozent und bei den 45- bis 54-Jährigen von 15 auf 16 Prozent. Nur bei den über 55-Jährigen würden sie auf dem heutigen Niveau von 18 Prozent bleiben. Damit würden 1,1 Milliarden Franken pro Jahr zusätzlich in die Pensionskassen fliessen. Im Gegensatz zum Kompromiss kommt für den Gewerbeverband zudem ein tieferer Koordinationsabzug nicht in Frage.
Zur Abfederung der Übergangsgeneration von zehn Jahrgängen will der Gewerbeverband nur 400 Millionen Franken einsetzen. Sein Alternativmodell schlägt also mit 1,5 Milliarden Franken zu Buche. Dieses sei damit über eine Milliarde Franken günstiger, moniert der Gewerbeverband.
Offen ist, ob es nur beim Widerstand der Gewerbler bleibt. Denkbar ist, dass auch auf der linken Seite Opposition entsteht. Denn gerade die Senkung des Mindestumwandlungssatzes ist dort für manche ein Tabu.