Auf einen Blick
Ein Vorstoss des Bundesrats sorgt für Unmut. Warum sollen die als Kapital ausbezahlten Vorsorgegelder plötzlich höher besteuert werden, als dies heute der Fall ist? Die Kurzantwort heisst: Wegen Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider. Die SP-Bundesrätin verlangte im Bundesrat eine Höherbesteuerung von Kapitalbezügen aus der zweiten und dritten Säule der Vorsorge. Ihre Devise: Es braucht eine Opfersymmetrie. Es soll nicht nur um einseitigen Subventionsabbau gehen, wie es die Bürgerlichen verlangen, sondern auch um Mehreinnahmen, wie es die Linke verlangt.
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Die Debatte angestossen hatte Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Die entscheidende Sitzung fand vor vier Wochen statt. Der Bundesrat beschloss sogenannte Eckwerte zur Aufgaben- und Subventionsüberprüfung, darunter die Abschaffung des Steuerprivilegs für ausbezahlte Vorsorgekapitalien. Der Gesamtbundesrat stimmte dem Vorschlag zu. Im Januar will er die Details als Botschaft des Spar- und Steuerpakets zuhanden des Parlaments publizieren.
Zwar stammt der Vorschlag von Baume-Schneider, doch sie erhielt von mindestens drei Bundesratsmitgliedern Unterstützung, darunter von zwei bürgerlichen, sonst wäre ihr Vorschlag gescheitert. Jetzt laufen im Bundesrat die Drähte heiss. Wie kommt es, dass Sozialministerin Baume-Schneider es ausgerechnet auf die Pensioniertengelder abgesehen hat?
Es gibt 165 Steuerprivilegien, aber …
Die Frage ist legitim, weil die sogenannte Gaillard-Expertengruppe im Auftrag des Bundesrats mehrere Vorschläge für Steuererhöhungen eingebracht hatte. Auf den Seiten 16 bis 22 des Berichts sind 165 Steuerprivilegien aufgelistet, die Private und Firmen in der Schweiz in Anspruch nehmen können, je nach Berechtigung.
Nebst den frisch Pensionierten sind es Berufstätige, Studierende, Eltern, Anleger, Landwirts- und Forstbetriebe, Restaurants, Spielbanken, Kulturstätten und so weiter. Als Steuerprivilegien gelten etwa solche, die die direkte Bundessteuer, die Mehrwertsteuer und die Mineralölsteuer reduzieren oder davon befreien.
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Vier Beispiele: Der Pendlerabzug der Berufstätigen reduziert die Einkommensteuer ebenso, also ist es ein Steuerprivileg, weil Nichtberufstätige diesen Abzug nicht tätigen können. Das Gleiche gilt für Kapitalgewinne. Dies sind Einkommen, die heute legal nicht versteuert werden. Anleger profitieren davon, allen anderen Steuerpflichtigen nicht. Landwirtschaftsbetriebe zahlen weniger Dieselsteuer als normale Firmen. Und Restaurants und Hotels werden zu einem tieferen Mehrwertsteuersatz besteuert als alle normalen Firmen.
Steuerrabatte sind eine indirekte Subvention des Bundes an eine privilegierte Gruppe von Steuerpflichtigen, ob Pensionierte, Pendler, Anleger, Restaurants oder Landwirte. Folgerichtig stellt die Gaillard-Expertengruppe sie alle zur Debatte. Die Expertengruppe kommentiert: Solche Steuerrabatte seien «weder steuersystematisch gerechtfertigt noch im Sinne einer ausserfiskalischen Massnahme verhältnismässig». Steuerprivilegien abzuschaffen, heisst, den Subventionsabbau konsequent durchzusetzen.
… nur zwei wurden zur Abschaffung empfohlen
Doch hier kommt das Aber: Von 165 Steuerprivilegien auf Bundesstufe hat die Gaillard-Expertengruppe 44 zur Abschaffung empfohlen. Aber bloss zwei wurden vom Bundesrat tatsächlich zur Abschaffung empfohlen: die privilegierte Besteuerung von Kapitalauszahlungen aus der zweiten Säule (BVG) und die der dritten Säule. Und so geht der Krach jetzt los, wie es kommt, dass sich ausgerechnet Sozialministerin Baume-Schneider durchgesetzt hat.
Angeheizt hat die Debatte ein Rechenbeispiel der «Sonntagszeitung», das zeigt, wie viel mehr eine pensionierte Person an Steuern zahlen müsse: Wer 140'000 Franken verdient und sich 350'000 Franken an Vermögen der zweiten und dritten Vorsorgesäule auszahlen liesse, würde gemäss der neuen Regelung für den Kapitalbezug einmalig 17'800 statt 6580 Franken Steuern bezahlen. Die Steuerlast würde sich verdreifachen.
Klar ist: Wer sein Vorsorgevermögen als Kapital bezieht – und nicht als Rente, die normal als Einkommen versteuert wird –, spart heute Steuern. Die Gaillard-Expertengruppe schreibt: «Kapitalbezüge aus der zweiten Säule sowie aus der dritten Säule werden zu einem reduzierten Steuersatz versteuert, konkret zu einem Fünftel der ‹normalen› Tarife.» Würde der Bund sie «normal» besteuern, könnte er einen Mehrertrag von 220 Millionen Franken erwarten.
EFD spricht von «Missverständnissen»
Im Finanzdepartement (EFD) von Keller-Sutter sagt man, es sei «in der Wahrnehmung zu Missverständnissen» gekommen. «Dass Einzahlungen in die zweite und dritte Säule steuerlich abzugsfähig sind, soll auch in dem Vorschlag, um den es hier geht, nicht angetastet werden. Das gilt auch für die Befreiung von der Vermögenssteuer», sagt Pascal Hollenstein, Chefsprecher von Karin Keller-Sutter. Der steuerliche Anreiz, in die zweite und dritte Säule einzuzahlen, bestehe also weiterhin und stehe nicht zur Debatte.
Ob dieses Argument sticht, wird sich allerdings erst zeigen, wenn das EFD die konkreten Zahlen zur Höherbesteuerung vorlegt. Die Steuerbefreiung wirkt nämlich nur, wenn das Kapital beim Erreichen des Pensionsalters anschliessend auch weitgehend ohne Steuer abgehoben werden kann. Hollenstein verspricht, dass das EFD Zahlen nachliefern werde, die zeigten, wie stark Personen von dieser Steuerbefreiung profitierten.
Offen sei zudem, sagt Hollenstein, ob die Kapitalien der zweiten und der dritten Säule gemeinsam höher besteuert würden oder nur eine Säule allein. Das werde jetzt eruiert, sagt Hollenstein.
Warum hat der Bundesrat bloss die Abschaffung von 2 aus 44 zur Abschaffung empfohlenen Steuerprivilegien übernommen? Hollenstein sagt: «Der Bundesrat nahm auch eine politische Abwägung vor.» Andere Massnahmen hätten sich entweder als schwer realisierbar oder als steuerlich nicht sehr ergiebig erwiesen. Anders gesagt: Bei Pensionierten ist steuerlich mehr zu holen – 220 Millionen Franken – als bei den Skigebieten, die steuerverbilligten Diesel für Pistenfahrzeuge erhalten – 7 Millionen.
Auch die Befreiung der Landwirte von der Mineralölsteuer für Traktordiesel ist nicht im bundesrätlichen Subventionsabbaupaket. Subventionshöhe: 65 Millionen Franken. Der Bundesrat wollte die Befreiung von dieser Mineralölsteuer per Ende 2025 auslaufen lassen, knickte aber Ende 2024 bereits ein. Resultat: Die Landwirtschaft darf ihr Steuerprivileg behalten.
Gegnerschaft sagt: «Gegen Treu und Glauben»
Ob die Begründung des Finanzdepartements zur Mehrbesteuerung von Vorsorgekapitalien im Parlament verfangen, ist offen. So sagt etwa Mitte-Ständerat Erich Ettlin zur «Sonntagszeitung», dass eine solche Abschaffung des Steuerprivilegs auf Kapitalbezüge der Altersvorsorge ein «Verstoss gegen Treu und Glauben» wäre und dass der Umfang der Altersvorsorge ohne steuerliche Vorteile stark reduziert würde. Der Gaillard-Expertengruppe lag eine Umfrage der Pensionskasse Publica unter Versicherten vor, wonach 56 Prozent aller Angestellten die Steueroptimierung als ein wichtiges Motiv zur Einzahlung in die zweite Säule nannten.
Wie geht es weiter: Karin Keller-Sutter wird die von Baume-Schneider eingebrachte Mehrbesteuerung verteidigen. Einnahmenseitige Massnahmen seien für die Ausgewogenheit mit in das Paket eingeschlossen worden, betont ihr Sprecher Hollenstein. Eine geeinte Linke könnte das Subventionsabbaupaket an der Urne bekämpfen. Laut EFD soll das Paket in einem einzigen Erlass beschlossen werden. Der gemeinsame Zweck wäre, die Ausgabenlast des Bundes zu reduzieren. Dagegen könnte das Referendum ergriffen werden. Und so wird klar, warum Baume-Schneider sich im Bundesrat für diese Abschaffung des Steuerprivilegs eingesetzt hat.