Bund soll betroffene Familien unterstützen
Was tun mit einem Verschwörungstheoretiker?

Gerade in Krisen kommt es immer öfter zu Verschwörungstheorien. Angehörige sind meist völlig überfordert. Bis heute aber nehme der Staat das Problem nicht ernst. Nun wird aus dem Parlament der Ruf nach Beratungsstellen laut.
Publiziert: 10.03.2021 um 14:52 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2021 um 13:25 Uhr
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Aufmarsch der Corona-Skeptiker: In Krisenzeiten werden die Menschen empfänglicher für Verschwörungstheorien.
Foto: Keystone
Daniel Ballmer

Bundesrat und Behörden planen einen Impfzwang! Das Coronavirus kommt aus dem Labor und wurde absichtlich in Umlauf gebracht! Unsere Grundrechte sollen ausgehebelt und die direkte Demokratie abgeschafft werden! Die Contact-Tracing-App führt zum Überwachungsstaat! Dabei sterben jedes Jahr auch an der Grippe viele Menschen, Corona wird völlig überschätzt!

Die Kritik am Umgang mit der Corona-Krise ist laut. Die Vorwürfe reichen von «unvernünftig» bis «paranoid». Und manchmal ist es mehr als Kritik – da versteigen sich Menschen in absurde Vortellungen. «Verschwörungstheorien machen die Welt erklärbar», sagt Experte Michael Butter zu Radio SRF. Aus der psychologischen Forschung wisse man: Die Menschen sind empfänglicher für Verschwörungstheorien, wenn sie mit viel Unsicherheit umgehen müssen. Und so unsicher wie jetzt war die Zukunft selten.

«Angehörige sind oft hilf- und machtlos»

Das bringt auch die Familien der Verschwörungstheoretiker in schwierige Situationen. «Gerade Angehörige und das persönliche Umfeld sind gegenüber Personen, die sich radikalisieren, oft hilf- und machtlos», sagt SP-Nationalrätin Samira Marti (27). Regelmässig erhalte sie Mails von überforderten Angehörigen. «Die Leute werden alleine gelassen und wissen nicht, was sie tun sollen. Oft dringen sie zu den Betroffenen gar nicht mehr durch.» Das Problem nehme zu. Das zeigt auch der Antisemitismus-Bericht 2020.

Kompetente Begleitung und Beratung könnten helfen, «Verschwörungsmythen den Wind aus den Segeln zu nehmen», ist Marti überzeugt. Nur: Während es für Alkoholiker oder Drogenabhängige die Suchtberatung gibt, bestehe hier kaum ein Angebot. Daher soll sich der Bundesrat darum kümmern, dass vermehrt solche Anlaufstellen geschaffen werden. Diese Woche wird Marti im Parlament einen entsprechenden Vorstoss einreichen.

Hilfe wird oft erst gesucht, wenn sich die Lage schon verschärft hat

Eines der schweizweit wenigen Informations- und Beratungsangebote im Bereich Verschwörungstheorien leistet die Fachstelle Infosekta in Zürich. «Im Zuge der Corona-Pandemie haben die Anfragen betreffend Konflikten mit Verschwörungsgläubigen gemäss unserer Beratungsstatistik seit Herbst 2020 zugenommen», sagt Susanne Schaaf (55). Dabei spiele in vielen Anfragen die rechte Verschwörungs-Sekte QAnon eine Rolle.

Vor allem Angehörige und Partner von Verschwörungsgläubigen würden sich melden, «weil keine Gespräche mehr möglich sind und die Familie auseinanderzubrechen droht», erzählt Schaaf. Oft kämen Menschen erst, wenn sich die Situation bereits verschärft hat und ausweglos erscheint – und sie deshalb professionelle Hilfe suchen.

Zu Beginn jeder Beratung wird eine Auslegeordnung vorgenommen: Wie ausgeprägt ist der Verschwörungsglaube? In welcher Lebenssituation befindet sich die betroffene Person? Wie zugänglich sind die Betroffenen noch? Was wurde bereits unternommen? Je nach Gesprächsbereitschaft der Verschwörungsgläubigen wird ein geeignetes Vorgehen festgelegt, sagt Schaaf. «Leider sind die Situationen in vielen Fällen sehr verfahren, so dass eine kurzfristige Veränderung nicht möglich ist.»

Angehörige müssen sich auch selber schützen

Wichtig sei auch, dass Angehörige eine Balance finden zwischen Engagement und Selbstschutz. Infosekta plant daher eine Online-Selbsthilfegruppe für Personen, die in ihrem nahen Umfeld jemanden haben, der immer mehr in Verschwörungsmythen versinkt.

Sinnvoll wären auch Prävention und frühe Intervention. Schützend wirken etwa ein stabiles Selbstwertgefühl, gute Entwicklungschancen, ökonomische Stabilität, ein positives soziales Netzwerk, familiärer Rückhalt oder Möglichkeiten zur aktiven Lebensgestaltung. Prävention etwa im Umgang mit Informationen und Ideologien und der Unterschied von zuverlässigen Quellen und Fake-Informationen könnte auch Thema an Schulen sein, sagt Schaaf.

«Oft als Spnner abgetan»

«Das Phänomen nimmt zu, ist aber noch zu wenig auf dem Radar», findet SP-Nationalrätin Marti. Ein erster Schritt wäre es daher, das Problem als solches zu erkennen. «Auch von den Behörden werden diese Leute aber oft einfach als Spinner abgetan», sagt sie. Damit aber sei das Problem nicht gelöst. «Da entwickeln sich Parallelgesellschaften. Wenn wir das nicht ernst nehmen, kann es gefährlich werden.»

Das zeigte sich eindrücklich Anfang Jahr in den USA, als Anhänger von Donald Trump (74) das Kapitol stürmten. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben.

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