Der 6. Januar 2021 wird in die amerikanische Geschichte eingehen. Die Welt schaute gestern schockiert nach Washington: Anhänger des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump (74) stürmen das ehrwürdige Kapitol, Abgeordnete und Senatoren auf der Flucht, Sicherheitsleute mit gezückten Waffen im Senatssaal. Eines der sichersten Gebäude auf der ganzen Welt, schlagartig erobert von einem wütenden Mob. Es war der blanke Wahnsinn – und das alles im Herzen der ältesten Demokratie der Welt.
Donald Trump hat seine Fans schon seit einem Monat auf den gestrigen Mittwoch eingestimmt. Im Dezember lud er seine Anhänger zu einer «Rettet-Amerika-Demonstration» für den gestrigen Mittwoch nach Washington ein. Der Noch-Präsident sagte der Hauptstadt damals einen «wilden» Tag voraus. Er hat recht behalten.
Die Ereignisse haben sich am Nachmittag und am Abend im Minutentakt überschlagen. BLICK zeigt das Protokoll des Wahnsinns von Washington.
Trump stachelt in Rede an: «Zieht vor das Kapitol!»
Kurz nach 11 Uhr Ortszeit beginnt alles sehr friedlich. Zehntausende Trump-Anhänger versammeln sich unweit des Kongresses, um der Rede des Präsidenten zu lauschen. Donald Trump wiederholt dabei seine haltlosen Wahlbetrugsbehauptungen und ruft seine Unterstützer auf, vor das Kapitol zu ziehen. Dort haben die Kongressabgeordneten gerade mit dem formellen Prozess begonnen, um Joe Biden (78) als 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bestätigen.
Trump stachelt seine Anhänger an: «Wir ziehen jetzt vor das Kapitol, um den Republikanern den Mut zu geben, den sie brauchen, um unser Land zurückzuerobern.» Denn einen solchen «Diebstahl», so Trump, dürfen sich seine Anhänger «nicht gefallen» lassen.
Der Sturm aufs Kapitol
Wenige Minuten nach dem Ende der Rede treffen die Tausenden von Trump-Fans vor dem Kapitol ein. Sie schwenken Fahnen, rufen Sprechchöre. Als sich der Vorplatz immer weiter füllt, wird die Lage plötzlich unübersichtlich – der zuvor friedliche Protestmarsch eskaliert: Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie Anhänger über Absperrungen klettern – die wenigen Sicherheitskräfte sind machtlos.
Die Randalierer zerschlagen Fenster und verschaffen sich nach wenigen Minuten Zugang zum Inneren des Kapitols.
Zeitgleich wird die Sitzung im Kongress unterbrochen. Die Behörden verhängen einen Lockdown für das Kapitol. Abgeordnete und Senatoren werden evakuiert, einige müssen aber auch im Sitzungszimmer ausharren. Sie kauern auf dem Boden. Auf Bildern ist zu sehen, wie Secret-Service-Agenten mit gezückten Waffen bereitstehen.
Die Eroberung des Kapitols
Die Trump-Fans haben das Kapitol erobert. Immer mehr Anhänger strömen ins Innere – derweil übertragen die grossen TV-Stationen die Bilder live in die Wohnzimmer der Amerikaner. Trumps Unterstützer nehmen den Senatssaal in Beschlag, lassen ein bislang unbestimmtes Gas ab.
Ein Anhänger ist auf dem Stuhl zu sehen, wo eben noch Vizepräsident Mike Pence sass.
Andere wiederum dringen in die Büros der Abgeordneten ein. So posiert ein Randalierer im Office von Demokraten-Führerin Nancy Pelosi (80), die Füsse auf dem Tisch.
Plötzlich ist von Schüssen zu hören. Medienberichten zufolge kommt es zu einer Patt-Situation zwischen Sicherheitskräften und Trump-Fans, die sich bewaffnet gegenüberstehen. Ob dies der Moment ist, wo die bisher vermeldeten vier Opfer ihr Leben verlieren, ist ungewiss. Klar ist nur, dass im Kapitol eine Frau angeschossen wird und später im Spital verstirbt. Drei weitere seien im Umkreis des Kapitols ums Leben gekommen. Dies bestätigt die lokale Polizei von Washington.
Die Räumung des Kapitols
Es dauert zwei Stunden, bis die Sicherheitskräfte die Lage wieder unter Kontrolle bringen können. Secret-Service-Agenten und die Lokalpolizei von Washington drängen die Trump-Fans aus dem Kongress. Auch die Nationalgarde befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg – sie wird auf grossen Druck hin vom Weissen Haus aktiviert.
Auf Videos ist zu sehen, wie Sicherheitskräfte Trump-Anhänger Hand-in-Hand aus dem Kapitol begleiten.
Die Nacht
Weitere Stunden vergehen, bis sich der Mob halbwegs auflöst. Um 18 Uhr Ortszeit tritt ein kurzfristig anberaumte Ausgangssperre für die Hauptstadt in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich immer noch Hunderte Trump-Anhänger vor dem Kapitol.
Wie konnten die Trump-Anhänger das Kapitol stürmen?
Der US-Kongress gehört zu den sichersten Gebäude weltweit. Wer ins Kapitol will – ob als Besucher, Politiker oder Journalist – muss seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 eine Sicherheitskontrolle durchlaufen. Ähnlich wie jene am Flughafen. Die grosse Frage deshalb, die sich am Mittwochabend ganz Amerika stellt: Wie konnte dieser Mob ins Innere des Kapitols gelangen?
In US-Medien wird berichtet, dass die Behörden überrascht wurden von den zahlreichen gewaltbereiten Trump-Anhängern. Bislang hat sich aber noch kein Offizieller zu dieser Frage öffentlich geäussert.
In den kommenden Tagen dürfte untersucht werden, wie das Kapitol von Hunderten oder vielleicht Tausenden Randaliern gestürmt werden konnte.