Zumindest der Kanton Genf erfreut Finanzministerin Karin Keller-Sutter (61, FDP) – und natürlich die Staatskasse. Die Bundesrechnung für das Jahr 2024 fällt deutlich besser aus als erwartet. Statt der budgetierten 2,6 Milliarden schliesst sie mit einem Defizit von 80 Millionen Franken ab – also praktisch mit einer roten Null.
Und was hat das mit Genf zu tun? Ein «Sondereffekt» führt in den nächsten drei Jahren vorübergehend zu höheren Einnahmen. Energie- und Rohstoffunternehmen im Kanton Genf hatten wegen der gestiegenen Rohstoffpreise fette Gewinne eingefahren. Dadurch steigen die Gewinnsteuereinnahmen im genannten Zeitraum um insgesamt rund 1,6 Milliarden Franken.
Und sonst? Zum einen fielen die ausserordentlichen Ausgaben tiefer aus als budgetiert. Der geplante Kapitalzuschuss an die SBB sei vom Parlament gekürzt und verschoben worden. Zum anderen seien die Steuereinnahmen um 1,2 Milliarden Franken höher ausgefallen als budgetiert.
Laut Keller-Sutter haben sich insbesondere die Einnahmen aus der direkten Bundessteuer positiv entwickelt. «Das zeigt eindrücklich, dass wir kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem haben», sagte sie in Bern. Auf die grosse Differenz zum Budget angesprochen, erklärte die Bundespräsidentin: «In den letzten vier Jahren haben wir die Einnahmen überschätzt, im letzten Jahr haben wir sie unterschätzt.»
Was der Finanzministerin Sorgen macht
Die Ausgangslage stimmt Keller-Sutter an sich «erleichtert und froh». Insbesondere, weil der Bund erstmals seit Jahren Schulden abbauen könne, sagte Keller-Sutter. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass das gute Rechnungsergebnis das Resultat harter Arbeit sei. «Wir haben nun zweimal zwei Milliarden Franken bereinigt.»
Gerade die Mehreinnahmen aus Genf können helfen, das vom Parlament beschlossene höhere Ausgabenwachstum – insbesondere bei der Armee und dem Programm Horizon Europe – mitzufinanzieren. Gleichzeitig warnte Keller-Sutter vor übertriebenen Erwartungen: «Dieser Anstieg bei den Gewinnen ist ein einmaliges, temporäres Phänomen und daher nicht nachhaltig.»
Die aktuelle Situation dürfe nicht blind machen für die Herausforderungen der Zukunft, sagte Keller-Sutter: «Die dunklen Wolken über dem Bundeshaushalt haben sich nicht verzogen.» Der Bundesrat beharrt auf seinen Sparplänen.
Um die Bundesfinanzen langfristig im Gleichgewicht zu halten und Projekte wie die 13. AHV-Rente finanzieren zu können, braucht es laut Keller-Sutter das Ende Januar in die Vernehmlassung geschickte Sparpaket. Ohne dieses drohten in den Jahren 2027 und 2028 Defizite von jährlich rund 2 Milliarden Franken.
SP ist sauer auf Bundesrat
Die ersten Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten. Noch während die Medienkonferenz der Finanzministerin lief, forderte die SP «nach den Milliarden-Fehlprognosen Antworten von Bundesrätin Keller-Sutter».
Und die Sozialdemokraten schossen sich ebenso auf die Bürgerlichen ein: Der strukturelle Überschuss von 1,3 Milliarden Franken zeige, «dass die Fehlprognosen von FDP und SVP gezielt eingesetzt werden, um den Frontalangriff auf die soziale Schweiz durchzudrücken». Eine Einladung in die SP-Fraktionssitzung schlug Keller-Sutter aus. Man könne sie gerne in der regulären Sitzung der Finanzkommission befragen.
Scharfe Kritik kam auch von den Grünen. Der Bundesrat habe «den Teufel an die Wand gemalt», schimpfte die Partei. Er müsse sein Sparpaket nun sofort zurückziehen.
Die anderen Parteien äusserten sich zurückhaltender – und stellten sich hinter den Sparkurs des Bundesrates. So mahnte die Mitte: Die Schweiz müsse auch weiterhin «verantwortungsvoll mit den Bundesfinanzen umgehen». Für die Grünliberalen gilt es, umsichtig zu Haushalten, «doch Sparen mit Augenmass ist angebracht». Und SVP-Finanzpolitiker Lars Guggisberg (47) forderte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, dass der Bund seine Anstrengungen weiterführt.
Wie steht's um die Bundeskasse? Das musst du wissen
Ein Defizit von 80 statt wie budgetiert von 2645 Millionen Franken: Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie hat der Bund ein fast ausgeglichenes Rechnungsergebnis erzielt. Damit kann erstmals ein Teil der Corona-Schulden abgebaut werden.
Ordnen wir an dieser Stelle kurz ein: Die Frage, ob das Sparpaket des Bundes jetzt überhaupt noch nötig ist, dürfte politisch ausgeschlachtet werden – das zeigen nicht nur die erste Reaktionen von linker Seite. Verteilungskämpfe sind absehbar.
Zunächst ein Blick auf 2026: Nach den neuen Zahlen müsste das Sparpaket an sich nicht mehr vollständig umgesetzt werden, und zusätzliche Sparanstrengungen wären ohnehin kaum nötig. Auch die beschlossenen Ausgabenkürzungen werden «wirken»: 2027 und 2028 drohen weiterhin Defizite, wenn auch geringer als bisher angenommen.
Hinzu kommt natürlich der unerwartete Geldsegen aus Genf, der laut Keller-Sutter aber nur ein «vorübergehendes Phänomen» ist. Demnach steigen in den nächsten drei Jahren die Gewinnsteuereinnahmen um schätzungsweise insgesamt rund 1,6 Milliarden Franken. Der Grund dafür: Energie- und Rohstoffhandelsunternehmen aus dem Kanton Genf haben wegen der gestiegenen Rohstoffpreise aussergewöhnlich hohe Gewinne verzeichnet.
Die Finanzministerin weist eindringlich auf die verbleibenden Finanzierungslücken und Unsicherheiten hin. Allen voran die unsichere Finanzierung der AHV. Um die Bundesfinanzen auch langfristig in der Balance zu halten, brauche es das Ende Januar in die Vernehmlassung geschickte Entlastungspaket.
Das Land der «unerwartet besseren Rechnungsabschlüsse»
Die Schweiz sei das Land der «unerwartet besseren Rechnungsabschlüsse», kommentiert Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger die Bundesrechnung auf X. «Fast Jahr für Jahr nehmen Bund, Kantone und Gemeinden ‹überraschend› mehr Geld ein, als es budgetiert war.»
«Verantwortungsvoll bleiben», mahnt die Mitte
Für die Mitte ist die fast ausgeglichene Rechnung 2024 des Bundes «eine gute Nachricht». Das Ergebnis bedeute aber nicht, dass die Schweiz nicht weiterhin verantwortungsvoll mit ihren Finanzen umgehen sollte, schreibt die Partei auf X. Es kämen grosse finanzielle Herausforderungen auf das Land zu. Die Mitte stehe für ein langfristig ausgeglichenes Budget, bei dem Einnahmen und Ausgaben übereinstimmten. Die Erfahrung zeige, dass die Rechnungsergebnisse meist besser ausfielen als erwartet, schreibt die Mitte weiter.
Grünliberale zurückhaltend
Staatstragend äussern sich die Grünliberalen. Einmal mehr schneide die Staatsrechnung weit besser ab als budgetiert. Sparen mit Augenmass sei angebracht. «Vor allem aber muss dabei die Finanz- und nicht die Parteipolitik im Fokus stehen», lässt sich GLP-Fraktionschefin Corina Gredig zitieren. «Mir scheint jedoch, dass zu oft unliebsame Massnahmen kurzsichtig gestrichen werden, statt dass nachhaltig gewirtschaftet wird.»
Grüne fordern Verzicht auf Sparpaket
Aus der Sicht von Grünen-Nationalrat Felix Wettstein hat der Bundesrat «den Teufel an die Wald gemalt». «Die Sparmassnahmen sind völlig verfehlt. Er muss das Sparpaket sofort zurückziehen und nun in die Zukunft investieren: in Klimaschutz, Kitas, Bildung und die internationale Zusammenarbeit», lässt er sich zitieren.
Medienkonferenz zu Ende, Reaktionen folgen
Die Medienkonferenz in Bern ist zu Ende. Es ist zu erwarten, dass sich neben der SP jetzt auch noch weitere Parteien zur Bundesrechnung äussern werden. Wir aktualisieren laufend.
Frau Bundesrätin, wie fühlen Sie sich?
Keller-Sutter wird gefragt, wie sie sich jetzt fühle. «Ich bin froh, dass zum ersten Mal ein geringeres Defizit ausgewiesen wird», sagt Keller-Sutter. Sie betont, dass man erstmals seit der Coronakrise Schulden habe abbauen könne. Man habe auch kein Einnahmenproblem. Gleichzeitig weist sie erneut auf die Einnahmenprobleme hin. Und betont, welche Anstrengungen es gekostet habe, die Defizite der vergangenen Jahre zu bewältigen.
Hätte man nicht mit dem Genfer Geldsegen rechnen können?
Der unerwartete Geldsegen aus Genf – dort haben Firmen aus dem Rohstoff- und Energiebereich ungewöhnlich hohe Gewinne erzielt – gibt zu reden. Die Gewinne fielen bereits in den Jahren 2022 und 2023 an. Hätte der Bund diese nicht früher in seinen Planungen berücksichtigen können? So lautet die Frage an Keller-Sutter.
Die Bundesrätin verweist auf die Zuständigkeit des Kantons und den Ablauf der Veranlagungsverfahren. Ebenso komme die definitive Bundessteuer naturgemäss immer mit Verzögerung, das sei bei Privaten nicht anders. Der Genfer Geldsegen habe sich erst in den vergangenen Wochen abgezeichnet, so Keller-Sutter.
Keller-Sutter erteilt SP eine Absage
Die SP verlangt Erklärungen zu den, wie sie es formuliert, «Milliarden-Fehlprognosen» und lädt Keller-Sutter in ihre Fraktionssitzung ein. Die Finanzministerin reagiert nüchtern: «Ich bin ja dann in der Finanzkommission zu Gast, die SP kann mir dort Fragen stellen.» Von «Milliarden-Fehlprognosen» könne im Übrigen nicht die Rede sein, sagt Keller-Sutter.
Die Frage nach der 13. AHV-Rente
Der AHV-Beitrag ist schon heute ein grosser Brocken im Bundeshaushalt. Wie soll die 13. AHV-Rente, die das Volk bekanntlich angenommen hat, finanziert werden? Diese Frage beschäftigt im Bundeshaus weiterhin stark. Man müsse rasch eine angemessene Finanzierung finden, betont Keller-Sutter. Nur: Ein «unkontrolliertes weiteres Wachstum» könne man sich eigentlich nicht leisten. Stand jetzt ist der tiefere Betrag in den Planungen des Bundes vorgesehen. Damit lasse sich das Ganze wohl kaum umsetzen, dämpft Keller-Sutter die Erwartungen.
SP will Keller-Sutter «vorladen»
Noch während die Medienkonferenz läuft, treffen erste Reaktionen zur Bundesrechnung ein. Die SP ist sauer: Man verlange «nach Milliarden-Fehlprognosen Antworten von Bundesrätin Keller-Sutter», teilt die Partei mit. Und die Sozialdemokraten greifen auch gleich die Bürgerlichen an: Der strukturelle Überschuss von 1,3 Milliarden Franken zeige, «dass die Fehlprognosen von FDP und SVP gezielt eingesetzt werden, um den Frontalangriff auf die soziale Schweiz durchzudrücken».
Die SP lädt Keller-Sutter an eine nächste Fraktionssitzung ein. Der Bundesrat müsse auf Kürzungen beim Klimaschutz, der Gleichstellung und der Kaufkraft verzichten, fordert die SP.