Wie ihre Bundesratskollegen ihre neuen Dienstpflicht-Modelle abschmetterten
Amherd lief bei ihren Kollegen ins offene Messer

Zwei neue Dienstpflicht-Modelle sollen Personalprobleme bei Armee und Zivilschutz lösen. Der Gesamtbundesrat will vom Vorschlag der abtretenden VBS-Chefin Viola Amherd aber nichts wissen. Die Kritik ist ungewohnt heftig. Das zeigen interne Dokumente.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Der Armee gehen die Soldaten aus. Einerseits leisten immer weniger Schweizer überhaupt Dienst. Andererseits laufen immer mehr davon.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Bundesrat lehnt Amherds Dienstpflicht-Modelle ab. VBS muss überarbeiten
  • Andere Departemente kritisieren hohe Kosten und unklare Begründung
  • Jährliche Mehrkosten für Bund und Kantone: etwa 900 Millionen Franken
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Es war eine Ohrfeige für Verteidigungsministerin Viola Amherd (62). Am Tag ihrer Rücktrittsankündigung hatte der Gesamtbundesrat ihre Vorlage für zwei neue Dienstpflicht-Modelle in der Luft zerrissen. «NEF!» – nicht erfüllt, wie es im Militärjargon heisst. Das Verteidigungsdepartement (VBS) muss nochmals grundsätzlich über die Bücher.

Der Hintergrund: Armee und Zivilschutz fehlen immer mehr Leute. Um den Bedarf zu sichern, hatte Amherd nach jahrelanger Prüfung zwei Modelle vorgelegt: Bei der «Sicherheitsdienstpflicht» würden Zivilschutz und -dienst zum Katastrophenschutz zusammengelegt. Bei der «bedarfsorientierten Dienstpflicht» müssten auch Frauen Dienst leisten. Der Bundesrat aber erteilte beiden Varianten eine Abfuhr. Erwärmen konnte er sich bisher einzig für einen obligatorischen Orientierungstag für Frauen.

Milliarden-Kosten stossen auf Ablehnung

Viola Amherd ist sehenden Auges ins Verderben und ihren Bundesratskollegen ins offene Messer gelaufen. Denn schon in der vorangegangenen Ämterkonsultation hatten gleich mehrere Departemente die Pläne zerpflückt. Das zeigen interne Dokumente, die Blick aufgrund des Öffentlichkeitsgesetzes vorliegen.

Ein Dorn im Auge sind den anderen Departementen vorab die hohen Kostenfolgen: Bei beiden Varianten wären laut VBS rund 900 Millionen Franken in zusätzliche Unterkünfte und Ausbildungsbauten zu investieren. Zudem würden die jährlichen Mehrkosten für Bund und Kantone ebenfalls etwa 900 Millionen Franken betragen.

Für die Finanzverwaltung von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter (61) ist das viel zu viel: «Es wird eine massgebliche Reduktion der Kosten angestrebt.» Ohnehin seien diese Kosten «nach wie vor wenig transparent und teilweise nicht nachvollziehbar». Das stellt Amherds Vorlage kein gutes Zeugnis aus.

Ablehnend zu Amherds Dienstpflicht-Modellen zeigt sich auch das Aussendepartement (EDA) von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (63). Und auch das Wirtschaftsdepartement von SVP-Ratskollege Guy Parmelin (65) hält die finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt für «nicht vertretbar und nicht tragbar».

Warum wären plötzlich so viele Diensttage zu leisten?

Bei der von Amherd favorisierten Sicherheitsdienstpflicht vermisst der Gesamtbundesrat ein Zielbild, das die nötigen Leistungen eines künftigen Katastrophenschutzes aufzeigt. So werde beim Zivilschutz ein deutlicher Ausbau der Diensttage geplant, was zu den massiven Mehrkosten führt. Der Bedarf dafür sei aber nur ungenügend begründet.

Konkret soll die Zahl der Diensttage im neuen Katastrophenschutz im Vergleich zum heutigen Zivilschutz von 85 auf 245 steigen. Warum, sei unklar. Das scheine primär durch Überlegungen zur Dienstgerechtigkeit geleitet, weil auch Armeeangehörige 245 Diensttage leisten, argwöhnt das Finanzdepartement. «Wir bezweifeln, dass der Nutzen (...) in einem angemessenen Verhältnis zu den Mehrkosten steht.»

Das sieht das EDA genauso: Das Ziel sei gewesen, die Personalprobleme der Armee zu lösen. Mit einer Sicherheitsdienstpflicht werde das Ziel beim Zivilschutz vermutlich «übererfüllt». Bei den Armeebeständen bleibe die Wirkung hingegen unsicher – und dies zu einem hohen Preis. «Aus unserer Sicht ist das Preis-Leistungs-Verhältnis damit negativ», hält das EDA fest.

VBS soll gefälligst Finanzierung klären

Bedenken äussert auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Denn neben den direkten Kosten würden auch «längere Abwesenheiten im Arbeitsmarkt die Unternehmen vor grosse Herausforderungen stellen».

Ohne Gegenfinanzierung sei ein neues Dienstpflicht-Modell für den Bundeshaushalt jedenfalls nicht zu stemmen, stellt die Finanzverwaltung klar. Schon heute schreibt der Bund rote Zahlen. Äusserste Zurückhaltung sei angezeigt. Keller-Sutters Beamte sparen nicht mit Kritik: Es wäre an Amherds Departement gewesen, zusammen mit der Vorlage auch die Finanzierung der Mehrausgaben zu klären.

Bedenken hat auch das Justizdepartement von SP-Bundesrat Beat Jans (60). Es befürchtet, dass mit dem neuen Modell die Leistungen des zivilen Ersatzdienstes zurückgehen. Und das Finanzdepartement versteht ohnehin nicht, warum die Grundausbildung für den neuen Katastrophenschutz beim Bund angesiedelt werden sollte. Schliesslich komme dieser wie schon der Zivilschutz den Kantonen zugute.

Ganz grundsätzlich wird das Wirtschaftsdepartement: Weil das VBS von Anfang an die Sicherheitspflicht favorisiert habe, liege für den Bundesrat gar keine objektiv-sachliche Entscheidungsgrundlage vor. Das VBS habe damit den Auftrag der Regierung nicht erfüllt. 

Das Verteidigungsdepartement muss nun nachsitzen. Der Bundesrat hat es dazu verdonnert, ihm bis Ende 2027 nochmals einen komplett überarbeiteten Bericht vorzulegen. Damit wird sich dann aber Amherds Nachfolger herumschlagen müssen.

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