Katharina Prelicz-Huber (64) hat stressige Tage hinter sich. Gerade einmal drei Tage hatten sie und ihre grünen Mitstreiterinnen Zeit, eine Abstimmungsbeschwerde einzureichen. Dies, nachdem am Dienstag bekanntgeworden war, dass sich der Bund bei der AHV-Prognose um zig Milliarden verrechnet hatte.
Die Grünen-Nationalrätin will erreichen, dass der Volksentscheid für ein höheres Frauenrentenalter annulliert wird. «Es war ein extremer Stress, die Frist ist sehr kurz», sagt sie, als Blick sie in den Sommerferien erreicht.
«Tausende Frauen unmittelbar betroffen»
«Wir können eine Abstimmung nicht akzeptieren, wenn die Zahlen so falsch sind», sagt die Grünen-Nationalrätin. Sie seien keine schlechten Verlierer. «Aber die Frauen haben das höhere Rentenalter klar abgelehnt und wurden von den Männern überstimmt. Davon sind jetzt Tausende Frauen unmittelbar betroffen.» Darum würden auch nicht nur Politikerinnen klagen, sondern auch Privatpersonen, die nahe am Pensionsalter stehen.
Die Grünen sind nicht allein: Auch die SP-Frauen haben Beschwerde eingereicht. Beide Dokumente liegen Blick vor.
Doch was passiert, wenn das Bundesgericht den Beschwerdeführerinnen recht gibt? Schliesslich ist die Reform bereits in Kraft, das Rentenalter der Frauen wird ab diesem Jahr in mehreren Etappen auf 65 Jahre erhöht. Frauen mit Jahrgang 1961 müssen ab 2025 drei Monate länger arbeiten, bis sie pensioniert werden. Dazu wurde auch die Mehrwertsteuer schon erhöht – was die Grünen aus juristischen Gründen ebenfalls anfechten.
«Wenn uns das Bundesgericht recht gibt, sollten jene, die jetzt schon länger arbeiten, dafür auch anteilsmässig mehr Rente bekommen», schlägt Prelicz-Huber vor. «Die neuen Zahlen zeigen, dass wir uns das leisten können.» Zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch noch keine Frau betroffen.
Kaum Erfahrungen
Eine Abstimmung wurde erst einmal annulliert. 2019 entschied das höchste Gericht, dass die Abstimmung zur CVP-Volksinitiative gegen eine Heiratsstrafe ungültig sei. Doch weil die Initiative abgelehnt wurde, veränderten sich keine Gesetze.
Das Gericht muss wohl abwägen: zwischen der Rechtssicherheit – also, dass jetzt geltende Gesetze auch eingehalten werden – und dem Recht der Bürger, richtig informiert zu werden.
So ist auch denkbar, dass das Gericht zwar eine Verfassungswidrigkeit feststellt, aber die Abstimmung nicht wiederholen lässt. So geschehen zum Beispiel bei der Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform II. Das Bundesgericht hat damals zwar festgestellt, dass Fehler passiert sind, die Vorlage blieb aber gültig. Dies, weil sich die Unternehmen schon an die neuen Regeln gewöhnt hatten.
«Bislang nur wenige Menschen direkt betroffen»
Für SP-Ständerat Baptiste Hurni (38), der die Beschwerde der SP-Frauen geschrieben hat, ist klar, dass das Argument der Rechtssicherheit nicht greift. «Bislang sind nur wenige Menschen direkt von der Reform betroffen, die wichtigen Veränderungen beginnen erst im kommenden Jahr.» Bis dahin könnte das Bundesgericht bereits entschieden haben, schätzt er. Nun haben erst die Kantone, bei denen die Beschwerden eingereicht werden müssen, zehn Tage Zeit, diese zu beurteilen. Danach ist ein Weiterzug ans Bundesgericht möglich. «Bis Ende August wollen wir die Beschwerde ans oberste Gericht weiterziehen. Das hat dann noch vier Monate Zeit, um zu entscheiden. Das reicht locker, denn juristisch stellen sich keine neuen Fragen.»
Das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen bestätigte gegenüber SRF, dass die Abstimmungsunterlagen auf den fehlerhaften Berechnungsformeln basierten. Über mögliche Folgen einer angenommenen Abstimmungsbeschwerde will das Amt nicht spekulieren. Erst gelte es, die Administrativuntersuchung und einen Entscheid des Bundesgerichts abzuwarten. Und so lange gilt der Volksentscheid von 2022.