Es war ein hauchdünner Entscheid. Mit 50,6 Prozent stimmte die Schweiz im September 2022 der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 zu. Doch jetzt gibt es einen Hoffnungsschimmer für jene Frauen, die nicht länger chrampfen wollen.
Der AHV geht es besser als gedacht, das Bundesamt für Sozialversicherungen hat sich verrechnet, was am Dienstag bekannt wurde. Das bringt wiederum die SP-Frauen um Co-Präsidentin Tamara Funiciello (34) auf die Palme. «Die Frauen in diesem Land haben das Recht auf eine ehrliche Debatte, diese Chance wurde ihnen genommen.» Die SP-Frauen wollen darum in den nächsten Tagen prüfen, ob die Abstimmung wiederholt werden muss. Dafür müssten sie das Ergebnis anfechten.
«Abstimmungsbeschwerde ist nicht chancenlos»
«Damit eine Abstimmung für ungültig erklärt wird, muss die freie Willensbildung eingeschränkt gewesen sein – also zum Beispiel die Informationen im Abstimmungsbüchlein falsch sein», sagt Markus Schefer (59), Rechtsprofessor an der Uni Basel. «Aber das allein genügt nicht. Die falschen Angaben müssen für das Abstimmungsergebnis entscheidend sein.» Bei der Frage nach dem Rentenalter war das Ergebnis äusserst knapp. «Eine vertiefte Analyse, ob die Abstimmung wiederholt werden muss, lohnt sich auf jeden Fall. Eine Abstimmungsbeschwerde ist nicht chancenlos.»
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Doch die Zeit drängt. Damit die Beschwerde tatsächlich vom Gericht behandelt werden kann, muss sie nur gerade drei Tage nach dem Bekanntwerden der Abstimmungspanne eingereicht werden – also am kommenden Freitag. Danach ist erstmal der Kanton zuständig, wo die Beschwerde eingereicht wurde. Erst danach darf das Bundesgericht entscheiden. «Ich gehe davon aus, dass das Bundesgericht zügig entscheiden wird. Es weiss auch, dass die Zeit drängt.»
Erst einmal aufgehoben
Jede Abstimmungs-Wiederholung ist kompliziert. Schliesslich muss Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) wohl schon bald die nächste AHV-Reform vorlegen. So ist auch denkbar, dass das Gericht zwar eine Verfassungswidrigkeit feststellt, aber die Abstimmung nicht wiederholen lässt. Jurist Schefer erinnert an die Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform II. «Das Bundesgericht hat damals zwar festgestellt, dass Fehler passiert sind, die Vorlage blieb aber gültig. Dies, weil sich die Unternehmen schon an die neuen Regeln gewöhnt hatten.»
Erst einmal wurde eine Abstimmung aufgehoben. 2019 entschied das höchste Gericht, das die Abstimmung zur CVP-Volksinitiative gegen eine Heiratsstrafe ungültig sei. Der Bundesrat hatte damals Falschinformationen publiziert. In den Abstimmungsunterlagen war von 80'000 Zweiverdienerehepaaren die Rede, die von der Heiratsstrafe betroffen seien. Tatsächlich waren es rund 454'000. Zwar verlangte das Bundesgericht damals eine Wiederholung der Abstimmung, die CVP verzichtete aber darauf und lancierte eine neue Initiative.
Auch Jungfreisinnige-Initiative soll wiederholt werden
Der Zürcher Staatsrechtler Felix Uhlmann (55) sagte der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf Anfrage am Dienstag, es sei schwer, eine Prognose zu machen, aber eine Beschwerde habe Chancen. Da die Abstimmung sehr knapp ausgefallen sei, könnten andere Fakten durchaus eine Auswirkung auf das Resultat haben.
Funicello ist nicht die Einzige, die eine Abstimmungswiederholung fordert. Matthias Müller (32), der ehemalige Präsident der Jungfreisinnigen, will nochmals über die Renteninitiative der Jungfreisinnigen abstimmen lassen. Müller geht es dabei um demokratiepolitische Aspekte. «Bei so groben Verfahrensfehlern muss man die Abstimmung wiederholen», so Müller. Doch die Chancen dürften hierfür kleiner sein – schliesslich geht es der AHV dank des Verrechners nun besser als gedacht.