Berner Familie legt ihr Haushaltsbudget offen
So eng wird es für den Mittelstand

Krankenkasse, Strom, Miete: Das Leben in der Schweiz wird teurer und teurer. Was bedeutet das für den Mittelstand? Familie Z. aus Bern gibt Einblick in ihr Haushaltsbudget.
Publiziert: 30.09.2023 um 01:51 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2023 um 09:00 Uhr
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Mittelstandsfamilie Z. muss sich im Grossverteiler auf die Aktionen konzentrieren.
Foto: Illustration: Valerie Stoll
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

«Wir sind Migros-Kinder», sagt Paul Z.*. «Migros-Aktions-Kinder, um genau zu sein.» Seine Familie muss stark auf die Ausgaben achten. Künftig umso mehr, denn Krankenkassen-Prämien, Strom und vieles andere wird teurer. Paul Z. ist bereit, Blick Einblick in sein Haushaltsbudget zu gewähren, wenn er dafür anonym bleiben kann. Das Budget zeigt, worauf sich der Mittelstand einstellen muss.

Paul ist in den Vierzigern und verheiratet. Er wohnt im Umland der Stadt Bern und arbeitet bei der Post. Seine Frau ist Mitte 40. Sie arbeitet bei den SBB in einem 50-Prozent-Pensum. Das Ehepaar hat eine 17-jährige Tochter, die derzeit eine Ausbildung macht, der 14-jährige Sohn geht noch zur Schule.

Es bleiben keine 100 Franken

Netto verdient das Paar zusammen 7850 Franken. Hinzu kommt noch Kindergeld in der Höhe von insgesamt 580 Franken. Plus – je nach Dienst – Zuschläge. Diese gibt es aber nicht regelmässig. Ohne diese bleiben Ende Monat knapp 65 Franken übrig. «Wir sind extrem sparsam – also vor allem meine Frau», sagt Paul Z. Wenn dank der Zuschläge Ende Monat aber einmal 400 Franken übrig bleiben, «dann ist das sehr viel», sagt der Berner. «Und viel zu selten der Fall.»

Die Wohnung ist der einzige kleine Luxus, den sich die Familie leistet. Als die Kinder noch klein waren, ergab sich die Möglichkeit, in diese zu ziehen. Sie kostete zwar 150 Franken mehr als die frühere Wohnung, aber sie hat 80 Quadratmeter Rasen. «Das war für die beiden Kinder natürlich toll. – Und ja, seit kurzem hab ich einen Smoker!» Freunde und Familie haben zusammengelegt, um Paul zum Geburtstag diesen Traum zu erfüllen.

1000 Franken für die Krankenkasse

Der Post-Angestellte geht davon aus, dass seine Miete nicht teurer wird im kommenden Jahr. Schliesslich habe er trotz sinkendem Referenzzinssatz ja auch nie auf einer Mietreduktion bestanden in den letzten Jahren. Ganz sicher ist er sich aber nicht, dass es nicht doch zu einer Erhöhung kommt.

Was aber jetzt schon klar ist: In Pauls Wohnort schlägt die Kilowattstunde Strom um fast 2 Rappen auf. Für die Familie bedeutet das Mehrkosten von jährlich 75 Franken. Schon aufs laufende Jahr hin hatte Familie Z. einen Strompreisanstieg von 12 Rappen verkraften müssen.

Und auch die Krankenkassen-Prämien steigen. Fast 1000 Franken zahlt die vierköpfige Familie aktuell im Monat inklusive der Zusatzversicherungen. Allein schon die Grundversicherungen schlagen aktuell mit 805 Franken zu Buche. Neu werden die Grundprämien bei derselben Krankenkasse 873 Franken kosten. Damit entspricht das Plus ziemlich genau der durchschnittlichen Steigerung von 8,3 Prozent im Kanton Bern. Allein schon die monatlich 68 Franken Mehrkosten für die Grundversicherung sind mehr, als Pauls Mittelstandsfamilie normalerweise Ende Monat übrig bleibt.

Die Familie muss sich im kommenden Jahr also einschränken, obwohl das Ehepaar mit einem Bruttohaushaltseinkommen von mehr als 100'000 Franken besser gestellt ist als so manch anderes Paar. Das Beispiel zeigt jedoch, dass es wegen der Teuerung nun auch bei Mittelstandsfamilien eng wird.

Mit einem Krankenkassen-Wechsel der gesamten Familie Z. zur günstigsten Krankenversicherung liessen sich laut Internet-Kassen-Rechner gerade einmal 33.30 Franken einsparen. Natürlich könnte die Familie auch bei den Zusatzversicherungen «abspecken», doch Paul und seine Frau halten die Zusatzfranken für gut investiertes Geld. «Vor allem bei den Kindern haben sich diese gelohnt.» Für sie hat das Paar nämlich Zahnversicherungen abgeschlossen. Beide Kinder tragen eine Spange. Ohne Versicherung käme das viel teurer.

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Nur jedes zweite Jahr ins Ausland

Wo sparen sie aber dann? Bei den Ferien? Während andere Familien jeden Sommer für zwei Wochen ans Meer fahren und im Winter vielleicht noch Skiferien machen, muss sich die Berner Familie schon heute mit einer Ferienwoche im Jahr begnügen. Ins Ausland geht es dabei nur alle zwei Jahre. «Mehr liegt einfach nicht drin», so Paul, der bald ins Bündnerland reisen wird. «Dank Beziehungen können wir dort sehr günstig eine Ferienwohnung nutzen. Und, ich schäme mich fast etwas – möglich werden die paar Ferientage für uns auch dank eines finanziellen Zustupfs der Schwiegermutter.»

Dass ein Ehepaar, das wie Paul und seine Frau bei einem der grossen Schweizer Staatsbetriebe arbeitet, kaum mehr über die Runden kommt, gibt zu denken. Dabei profitiert die Ehefrau sogar noch von einem Zweitklass-GA, das das Mobilitätsbudget entlastet. «Aber ich muss mit dem Auto zur Arbeit, da ich früh morgens dort gar nicht ohne PW hinkäme. Als Dankeschön muss ich noch 30 Franken für den Parkplatz hinblättern», sagt er. «Dafür erhalte ich von der Post 5 Franken Essenspauschale.» Das Restaurant, in dem es für 5 Franken ein Mittagessen gibt, habe er aber noch nicht gefunden, scherzt Paul, der brutto etwa 65'000 Franken jährlich verdient bei der Post. «Aber dass die Pauschale nicht einmal für ein Sandwich reicht, geht ja eigentlich schon nicht», findet er.

Millionengehalt, aber Gratisparkplatz

Zum Vergleich: Post-Chef Roberto Cirillo (52) hat einen Jahreslohn von gut einer Million Franken. Auch Cirillo hat wie alle Mitglieder der Post-Konzernleitung einen eigenen Parkplatz. Diesen braucht er aber kaum. Cirillo kommt fast immer mit den Öffentlichen, wie die Post Blick-Informationen bestätigt. Sein GA zahle Cirillo selbst.

Müsste Cirillo wie Paul 0,6 Prozent seines Jahreslohns für den Parkplatz zahlen, würden für ihn somit 6000 Franken jährlich fällig. Die Post gibt an, man überprüfe, ob der Geschäftsleitung auch künftig noch Gratisparkplätze zur Verfügung gestellt werden sollen. Dafür könnte man aus Pauls Sicht denjenigen einen kostenlosen Parkplatz zur Verfügung stellen, die darauf angewiesen sind.

Vor allem aber hoffen Haushalte wie der von Familie Z. auf den vollen Teuerungsausgleich und allenfalls noch eine kleine Reallohnerhöhung – und einen nachsichtigen Vermieter, der den Mietzins nicht anhebt, auch wenn er könnte. Sonst müssten die Z.s wohl am ehesten Abstriche beim Budgetposten für Unvorhergesehenes und Geschenke machen. Das merkt die Familie am wenigsten – zumindest so lange nichts Unvorhergesehenes passiert.

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