Kunden zahlen viel mehr, als sie müssten – im Engadin regt sich Widerstand
Stromproduzenten leiten Extragewinn in die eigene Kasse

Die Strompreise stiegen im letzten Jahr massiv. Zumindest teilweise auch, weil die Produzenten ihre Gewinne zulasten der Verbraucher maximierten. So schreiben sie Millionengewinne. Blick zeigt anhand eines Falls in Graubünden, wie das ablief.
Publiziert: 28.07.2023 um 16:35 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2023 um 08:24 Uhr
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Mit dem Stausee von Livigno IT produzieren die Engadiner Kraftwerke Strom aus Wasserkraft. Die Produktion einer kWh kostet etwa fünf Rappen.

Ukrainekrieg, zwischenzeitlich abgeschaltete AKWs in Frankreich und dazu der heisse Sommer und schneearme Winter. Die Gründe für die hohen Strompreise im letzten Jahr waren vielfältig. Zahlreiche Menschen leiden unter horrenden Mehrkosten. Derweil verdienen sich die grossen Stromkonzerne eine goldene Nase. Einige konnten 2022 ihre Gewinne massiv steigern.

Besonders brisant ist ein Fall aus Graubünden. Die Engadiner Kraftwerke EKW produzieren nur dann selbst Strom, wenn sie diesen auch teuer auf dem Markt anbieten können. Ansonsten kaufen sie lieber Strom ein, den sie dann an ihre Abnehmer weiter verkaufen. 2022 kauften sie den Strom zu hohen Kosten ein und verkauften ihn ihren Kunden zu horrenden Preisen. Doch ist das alles rechtens? Die Aufsicht, Politiker und Anwälte sind skeptisch.

Strom kostet plötzlich 11-mal mehr

Durch den Stausee von Livigno IT und verschiedene Kraftwerke entlang des Flusses Inn können die EKW günstigen Strom aus Wasserkraft gewinnen. Im Durchschnitt kostete die Produktion einer Kilowattstunde (kWh) in den letzten Jahren etwa fünf Rappen. Daran hat sich nichts geändert.

Was sich aber verändert hat, sind die Strompreise auf dem freien Markt. Bereits in den letzten Jahren hatten die EKW ihre Turbinen nicht durchgehend laufenlassen. Sie mussten also für ihre Konzessionsgemeinden Strom auf dem Markt zukaufen. Dies war in der Vergangenheit meist günstiger. So wurde das auch nicht beanstandet.

Doch 2022 kauften die EKW den zusätzlichen Strom ebenfalls auf dem freien Markt ein. Dieser kostete nun jedoch 55 Rappen pro Kilowattstunde – das 11-fache des eigenen Wasserstroms. Den teuer zugekauften Strom veräusserten die EKW dann zum doppelten Preis wie im Jahr zuvor an Energieversorgungsunternehmen im Unterengadin weiter.

Aufsicht rügt Stromerzeuger

Eine solche Praxis hat die Elektrizitätsaufsicht Elcom bemängelt. Die unabhängige Regulierungsbehörde warnte davor, die gefangenen Kunden, also die Privathaushalte und Kleinunternehmen, die ihren Stromlieferanten nicht frei wählen können, zu schröpfen.

Denn diese Kunden verlieren gleich zweifach: Lange Jahre war der Strompreis auf dem freien Markt viel tiefer als derjenige aus den eigenen Wasserkraftwerken. Um aber die erneuerbare Stromproduktion zu fördern, liess man zu, dass die Kunden diese Anlagen quasi subventionierten, in dem sie einen leicht höheren Preis zahlten.

Nun jedoch, wo die betriebseigenen Wasserkraftwerke viel günstiger produzieren als der freie Markt, profitieren die Kunden von diesem Vorteil dennoch nicht. Sondern sie sind erneut die Dummen – und zahlen stattdessen einen nochmals viel höheren Preis.

Das Merit-Order-Prinzip der EU

Der europäische Strommarkt, zudem auch die Schweiz zählt, funktioniert nach dem Merit-Order-Prinzip. Zu Deutsch: «Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit».

Zur Erklärung: Der Stromverbrauch auf dem Kontinent variiert sehr stark. Gibt es viel Strom und wenig davon wird benötigt, ist der Preis tief. Wird nur wenig produziert, aber der Verbrauch ist hoch, steigt auch der Preis. Das ist abhängig von der Jahreszeit, vom Wetter und der Tageszeit.

Das bestehende Modell sieht nun vor, dass zuerst jene Stromproduzenten zum Handkuss kommen, die den Strom am kostengünstigsten produzieren können. Dies sind in der Regel erneuerbare Energien – Wind und Sonne sind praktisch gratis. Dann folgen oft die Fluss- und die Atomkraftwerke. Zu guter Letzt Kraftwerke, die Öl, Gas oder Kohle verbrennen, um Strom zu produzieren.

Den Preis, zu welchem die Produzenten den Strom verkaufen, wird dabei durch das letzte und somit teuerste Kraftwerk diktiert. Dies sind bei hohem Stromverbrauch oft Öl oder Gaskraftwerke. Und genau diese Rohstoffe hatten sich letztes Jahr durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine massiv verteuert – was sich auf unsere Strompreise auswirkte.

Der europäische Strommarkt, zudem auch die Schweiz zählt, funktioniert nach dem Merit-Order-Prinzip. Zu Deutsch: «Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit».

Zur Erklärung: Der Stromverbrauch auf dem Kontinent variiert sehr stark. Gibt es viel Strom und wenig davon wird benötigt, ist der Preis tief. Wird nur wenig produziert, aber der Verbrauch ist hoch, steigt auch der Preis. Das ist abhängig von der Jahreszeit, vom Wetter und der Tageszeit.

Das bestehende Modell sieht nun vor, dass zuerst jene Stromproduzenten zum Handkuss kommen, die den Strom am kostengünstigsten produzieren können. Dies sind in der Regel erneuerbare Energien – Wind und Sonne sind praktisch gratis. Dann folgen oft die Fluss- und die Atomkraftwerke. Zu guter Letzt Kraftwerke, die Öl, Gas oder Kohle verbrennen, um Strom zu produzieren.

Den Preis, zu welchem die Produzenten den Strom verkaufen, wird dabei durch das letzte und somit teuerste Kraftwerk diktiert. Dies sind bei hohem Stromverbrauch oft Öl oder Gaskraftwerke. Und genau diese Rohstoffe hatten sich letztes Jahr durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine massiv verteuert – was sich auf unsere Strompreise auswirkte.

Engadiner und Politiker wittern Unrecht

Not Carl (74), langjähriger Gemeindepräsident von Scuol GR und ehemaliger Vertreter der Konzessionsgemeinden im Verwaltungsrat der EKW, regt sich auf, dass man von den geltenden Stromregeln in Europa und einem Krieg dermassen profitiere. «Dass man die Teuerung antreibt und den Bündner Strompreis verteuert, ist meines Erachtens illegal und verstösst gegen den Grundsatz von Treu und Glauben», so Carl.

Er steht damit nicht alleine da. Auch der Präsident der SVP Oberengadin und Bündner Grossrat Stefan Metzger (55), Fachanwalt für Bau- und Immobilienrecht, stellt das Vorgehen der EKW infrage. Er wirft den EKW vor, den Stromzukauf im Jahr 2022 nur unter ihren Partnern ausgeschrieben zu haben. Dies, obwohl die Ausschreibung eigentlich öffentlich erfolgen müsste. «Die bloss interne Ausschreibung unter vier «Partnern» öffnet Tür und Tor für Absprachen. Kommt hinzu, dass diese Partner mit Bündner Wasser Strom zu fünf Rappen pro kWh produzieren», so Metzger zum Blick.

Kraftwerke und Kanton sehen kein Problem

Stefan Metzger brachte das Thema bereits im Februar im Grossen Rat zur Sprache. Die Regierung sah jedoch keinen Handlungsbedarf. Man verwies man auf das Merit-Order-Prinzip (siehe Kasten) und darauf, dass die EKW die Kontingente ja bei ihren Partnern ausgeschrieben hätten. Im August berät das Parlament über die Anfrage von Metzger, welcher sich vorbehält, eine Diskussion des Themas zu verlangen.

Auch die EKW wollen sich keiner Schuld bewusst sein. «Wir hätten besser oder eben auch schlechter beschaffen können. Die Energiebeschaffung erfolgte wie bisher und belastet alle Aktionäre», sagt EKW-Direktor Giacum Krüger auf Anfrage. Dies habe an der speziellen Lage im letzten Jahr gelegen. Ausserdem hätte der Verwaltungsrat, in dem auch die Konzessionsgemeinden sitzen, noch im Sommer 2022 zugestimmt, den Strom wie zuvor zu kaufen.

Noch einmal können sich die Stromerzeuger ihre eigene Elektrizität wohl nicht vergolden. Die Elcom verspricht, ihnen künftig besser auf die Finger zu schauen. Auch im Parlament sind Bestrebungen im Gang, um die Gewinnmaximierung auf den Schultern der Kunden einzudämmen.


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