Beat Jans zum EU-Poker
«Eine Schutzklausel ist auch im Interesse der EU»

Bundesrat Beat Jans zeigt im Interview Härte gegenüber Brüssel – und stichelt gegen Zuger Milliardäre. Ein Gespräch über das EU-Dossier, die US-Wahlen – und seine Männerfreundschaft zu Albert Rösti.
Publiziert: 10.11.2024 um 07:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.11.2024 um 09:21 Uhr
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«Die Behauptung von Kompass Europa ist faktenwidrig», sagt Bundesrat Beat Jans.
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

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Raphael RauchBundeshausredaktor

Herr Bundesrat, wie haben Sie die US-Wahlnacht erlebt?
Beat Jans:
Ich habe geschlafen, damit ich am nächsten Tag fit bin. Wir hatten am Mittwoch eine wichtige Bundesratssitzung.

Und mit welchen Gefühlen sind Sie aufgewacht?
Als Bundesrat kommentiere ich ausländische Wahlen nicht. Bundespräsidentin Viola Amherd hat im Namen des Bundesrats Donald Trump zum Wahlsieg gratuliert.

Warum sagen Sie nicht: Anders als Albert Rösti hätte ich zu Kamala Harris tendiert?
Ich spreche hier als Bundesrat, nicht als Beat Jans.

Ihre Frau Tracy stammt aus Florida und hat sicher die Demokraten gewählt.
Ich respektiere meine Frau zu sehr, um in ihrem Namen zu sprechen – das macht sie selbst besser (lacht).

Was bedeutet Trumps Wahlsieg für die Schweiz?
Die USA sind ein wichtiger Partner für die Schweiz. Es wird auch in Zukunft wichtig sein, dass wir eine gute Partnerschaft haben mit den USA – aber auch, dass wir unsere Interessen und Werte durchsetzen können, wie sie in der Bundesverfassung verankert sind. Wir setzen uns für Frieden und Demokratie ein. Wir bekämpfen Armut und schützen die natürlichen Lebensgrundlagen.

Beunruhigt es Sie als Justizminister, dass man mit Hetze gegen Migranten und Fake News Wahlen gewinnt?
Ich äussere mich nur zur Schweiz. Die Verfassung und die Gesetze geben uns die Möglichkeit, gegen Fake News und Rassismus vorzugehen. Dafür setze ich mich als Justizminister ein.

Ihre SP-Kollegin im Bundesrat, Elisabeth Baume-Schneider, hat sich von X, vormals Twitter, verabschiedet. Bleiben Sie auf X?
Ich habe grosse Mühe mit dieser Plattform. X verbreitet Unwahrheiten und Hass, trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei. Deshalb prüfen wir zusammen mit der Bundeskanzlei, ob es Alternativen dazu gibt.

Zum 1. August haben Sie einen proeuropäischen NZZ-Gastbeitrag nur mit dem Aussendepartement, nicht mit der Bundeskanzlei abgesprochen. Wenn Sie jetzt etwas mit der Bundeskanzlei prüfen: Ist das Ausdruck Ihrer Lernkurve?
Meine Lernkurve sollte immer nach oben gehen – das ist mein Lebensmotto (lacht).

Wie wollen Sie einen Deal mit Brüssel erreichen, der am Ende auch vor dem Volk Bestand hat?
Das Volk versteht ein gutes Abkommen. Gute Abkommen haben wir, wenn sie die Interessen der Bevölkerung berücksichtigen und besser sind als der Status quo. Diese haben dann auch gute Chancen vor dem Volk.

Die SVP warnt vor der automatischen Übernahme von EU-Recht.
Es gibt keine automatische Rechtsübernahme. Wir können immer Nein sagen. Heute kann die EU die Zusammenarbeit willkürlich aufkündigen, uns etwa aus dem Forschungsnetzwerk Horizon ausschliessen oder uns die Börsenäquivalenz entziehen. Wenn wir den Rechtsschutz verbessern, ist das ein Gewinn für die Schweizer Demokratie. Dann gelten klare Regeln, wenn wir etwas nicht übernehmen wollen.

Bundespräsidentin Amherd hat diese Woche klargestellt: Der Bundesrat hält an der Schutzklausel fest.
Die Schutzklausel bedeutet: Wir können Schutzmassnahmen ergreifen, wenn die nachteiligen Folgen der Zuwanderung zu gross werden. Wir brauchen eine Schutzklausel, sonst wird es innenpolitisch schwierig. Das weiss auch die EU. Deshalb ist eine Schutzklausel auch im Interesse der EU.

Die EU sieht das anders …
Der Präsident der Tschechischen Republik war am Mittwoch in Bern. Er hat dem Bundesrat gesagt: Wir sitzen in Europa im selben Boot. Wir haben ein gemeinsames Interesse, unsere Beziehungen zu regeln und in die Zukunft zu führen.

Die Verhandlungen führt aber die EU-Kommission. Warum sollte die EU-Kommission bei dieser zentralen Frage einknicken?
Brüssel hat Interesse an einer Vorlage, die vor dem Volk besteht. Und wenn die Schweiz sagt: «Es kommen zu viele Leute aus der EU, wir müssen Möglichkeiten haben, das zu begrenzen», dann kann das auch im Interesse der EU sein. Wenn zu viele Fachkräfte von der EU in die Schweiz abwandern, schadet das der EU.

Ist das Ihre Antwort auf die SVP-Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz?
Die Verfassung ist mein Kompass. Dort steht, dass wir die Zuwanderung eigenständig steuern wollen. Und deshalb ist es wichtig, dass die EU uns diese Möglichkeit lässt.

Heisst das: Ohne Schutzklausel gibt es keinen Deal mit Brüssel?
Am Schluss muss man das Gesamtpaket sehen. Aber meine persönliche Einschätzung lautet: Die Schutzklausel ist wichtig.

Was halten Sie von der EU-kritischen Initiative «Kompass Europa»?
Alle Bürgerinnen und Bürger können sich in die demokratische Debatte einschalten. Das ist ihr gutes Recht und ich diskutiere mit allen über unsere Zukunft. Wenn ich allerdings in den Verhandlungen bin, habe ich das Wohl der gesamten Bevölkerung im Fokus und nicht das von Zuger Milliardären. Und ich orientiere mich an Fakten.

Tun das die Zuger Milliardäre nicht?
Die Behauptung von Kompass Europa, dass es 7800 Rechtsakte gäbe, die wir alle übernehmen müssten, ist faktenwidrig. Stand heute gehen wir davon aus, dass es etwa 150 sind, die jetzt angepasst werden müssen, wobei der Grossteil dieser Rechtsakte technische Fragen sind.

Ausser der bürgerlichen Seite blockieren auch die Gewerkschaften das EU-Dossier. Welche Ansage machen Sie Ihrem Parteifreund, Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard?
Die Gewerkschaften wollen unsere Löhne schützen – das will auch der Bundesrat. Wir sind im intensiven Austausch mit den Gewerkschaften.

Welche Kröte muss Herr Maillard schlucken?
Es geht darum, ein Gesamtpaket zu finden, das die Bevölkerung überzeugt. Die Bevölkerung wird nichts akzeptieren, was die Löhne gefährdet. Da sind wir uns alle einig.

An der Urne sind Emotionen entscheidend. Mit welchen Emotionen wollen Sie für das EU-Dossier werben?
Die Schweiz gewinnt an Souveränität, an Stärke und an Sicherheit. Ein Abkommen wäre ein Erfolg für die Schweiz. Schauen Sie die Welt an: Es herrscht Krieg in Europa. Unsere Demokratie wird angegriffen, unsere Sicherheit wird angegriffen. Wir müssen unsere Werte verteidigen. Werte, die die Schweiz starkgemacht haben und auf die wir stolz sein können.

Sprechen wir über das Asyl-Dossier. Die SVP greift Sie regelmässig in Medienmitteilungen an. Fühlen Sie sich geehrt oder gemobbt?
Ich interessiere mich nur für Fakten und die Fakten sind positiv. Wir haben die Verfahren beschleunigt. Wir haben deutlich weniger Menschen aus dem Maghreb in den Asylzentren, die Sicherheitssituation hat sich markant verbessert. Wir bauen mit hoher Priorität Pendenzen ab. Wir sind gut bei Rückschaffungen. Im europäischen Vergleich stehen wir sehr gut da. Ich setze auf Lösungen, die funktionieren – und immer im Rahmen der Verfassung.

Wenn alles super läuft: Warum haben Sie eine Einladung des SVP-Parteivorstands ausgeschlagen?
Noch dieses Jahr kommt mich der SVP-Parteivorstand besuchen.

Die SVP fordert mehr Grenzkontrollen.
Auf meinen Wunsch haben wir in den Sommermonaten die Frequenz der Grenzkontrollen erhöht. Das hatte keinen Einfluss auf die irreguläre Migration. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man mit mehr Personal an den Grenzen weniger irreguläre Migration hat.

Ihre deutsche Parteifreundin, Noch-Innenministerin Nancy Faeser, sieht das anders.
Was Deutschland macht, macht die Schweiz schon lange. Wir machen seit jeher Kontrollen an der Grenze, weil wir nicht zur Zollunion gehören. Aber ich kann nicht für Nancy Faeser sprechen. Die deutsche Polizeigewerkschaft sagt übrigens dasselbe wie ich: Grenzkontrollen können die irreguläre Migration nicht eindämmen.

Sie schliessen temporäre Asylzentren in der Schweiz. Warum entlasten Sie nicht die Kantone, die Ihnen gerne Geflüchtete abgeben würden?
Die temporären Asylzentren bleiben dem Bund als Reserven erhalten. Wir können die Reserven nicht den Kantonen geben, weil man eine Reserve nur einmal verwenden kann.

Die Kantone kommen dem Bund immer wieder entgegen. Wo bleibt Ihr Entgegenkommen?
Wir arbeiten grundsätzlich sehr gut mit den Kantonen zusammen, das bestätigen mir auch die Kantone. Das Asylgesetz erlaubt uns aber nicht, Asylsuchende länger als 140 Tage beim Bund zu behalten. Wir prüfen immer alle Massnahmen, um die Kantone zu entlasten, die rechtlich möglich sind und die wir auch umsetzen können.

Zu Ihrem Aufgabengebiet gehört auch das Bundesamt für Polizei. Warum haben Sie Fedpol-Chefin della Valle neun Monate im Amt belassen und ihr trotzdem eine Abgangsentschädigung von 340’000 Franken bezahlt?
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgte einvernehmlich und richtete sich nach den Vorgaben des Bundespersonalgesetzes.

Ist das klug?
Es war der richtige Weg unter den gegebenen Voraussetzungen.

Ein Fedpol-Dauerbrenner ist die Mafia in der Schweiz. Wie gefährlich ist sie?
Alle kriminellen Organisationen sind gefährlich, weil sie sich über unsere Werte hinwegsetzen. Sie verdienen ihr Geld damit, dass sie unsere Gesetze brechen und Menschen ausbeuten.

Und was machen Sie dagegen?
Wir haben bislang keine nationale Strategie gegen organisierte Kriminalität. Deswegen habe ich den Auftrag gegeben, eine solche zu erarbeiten. Es ist wichtig, dass die Schweiz hier handelt, bevor wir ähnliche Probleme haben wie andere Länder in Europa. Es ist wichtig, dass wir gegen die organisierte Kriminalität orchestriert vorgehen.

Was bedeutet das konkret?
Auch in der Schweiz gibt es kriminelle Gruppierungen aus Italien, Albanien und anderen Ländern. Wir müssen bei Fedpol ein stärkeres Augenmerk darauf richten, dass wir denen das Handwerk legen können. Oft finanzieren sich diese Banden über Drogen, Geldwäscherei und Menschenhandel.

Zum Schluss: Was nervt Sie an Ihrem Job als Bundesrat am meisten?
Nichts (lacht).

Das glaube ich Ihnen nicht.
Ich freue mich jeden Morgen, dass ich diese Arbeit im Dienst der Bevölkerung machen darf. Mein Job ist es, Brücken zu bauen. Ich bin überzeugt: Kompromisse sind eine historische Stärke der Schweiz. Deshalb brauchen wir noch viel mehr Menschen, die Kompromisse hochhalten und gemeinsame Lösungen für unser Land finden.

Und wie würden Sie Ihre Beziehung zu Bundesrat Albert Rösti beschreiben?
Ob Sie es glauben oder nicht: Die ist sehr freundschaftlich. Ich schätze ihn und wir beide wissen, dass wir mit Kompromissen mehr erreichen.

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