Wende in Beat Jans' Migrationspolitik
Die Schweiz schiebt wieder schwerkriminelle Afghanen ab

Das Staatssekretariat für Migration hat erstmals seit 2019 kriminelle Afghanen ausgeschafft – mit einem Turkish-Airlines-Ticket und 500 Franken Sackgeld.
Publiziert: 13.10.2024 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 13.10.2024 um 09:14 Uhr
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Ein Flieger der Turkish Airlines auf dem Flughafen in Kabul, Afghanistan. Wohl mit dieser Fluglinie hat die Schweiz kürzlich zwei schwer kriminelle Afghanen ausgeschafft.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Zum ersten Mal seit 2019 schiebt die Schweiz schwer kriminelle Afghanen nach Kabul ab
  • Die abgeschobene Afghanen erhielten 500 Franken Sackgeld
  • Der erste Flug ging über Istanbul nach Kabul
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Der Flug von Zürich über Istanbul nach Kabul kostet mit Turkish Airlines knapp 1500 Franken. Obwohl Reisen in die afghanische Hauptstadt für viele nur ein paar Mausklicks entfernt sind, waren Ausschaffungen dorthin jahrelang nicht möglich.

2019 schob die Schweiz letztmals verurteilte Afghanen ab. Dann kam Corona, 2021 die Machtübernahme der Taliban. Seitdem hiess es: «Ein zwangsweiser Vollzug ist aus operativen Gründen nicht möglich. Unter anderem kann die Sicherheit der begleitenden Polizisten nicht gewährleistet werden.»

Die schweizerische Flüchtlingshilfe sieht die Lage in Afghanistan kritisch: Die Menschenrechtslage habe sich seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 kontinuierlich verschlechtert, schreibt die NGO auf ihrer Website. «Insbesondere die Situation der Frauen und Mädchen ist prekär.»

Deutschland schaffte im August 28 Afghanen aus

Durch den Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa stieg jedoch der Druck, auch ins Land der Taliban auszuschaffen. Nach zwei verlorenen Landtagswahlen in Ostdeutschland musste die deutsche SPD-Innenministerin Nancy Faeser (54) handeln – und lieferte. Ende August charterte sie kurzfristig eine Katar-Airways-Maschine und schaffte 28 Afghanen aus. Die Botschaft an die deutsche Bevölkerung: «Wir haben verstanden!»

Auch in der Schweiz hat dies Begehrlichkeiten geweckt. «Was Deutschland kann, kann die Schweiz auch», sagte der FDP-Asylpolitiker Damian Müller (39) Anfang September zu Blick. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) solle sofort Kontakt mit Berlin aufnehmen, um herauszufinden, wie die Schweiz Afghanen nach Kabul zurückschicken könne. Würde der zuständige SP-Bundesrat Beat Jans (60) keine Lösungen präsentieren, kündigte Ständerat Müller einen Vorstoss an.

Was die Öffentlichkeit nicht wusste: Das SEM bereitete damals bereits erste Operationen vor. Diese sind inzwischen abgeschlossen.

«Bei schweren Straftätern gilt Nulltoleranz»

Am Freitag informierte das SEM die Kantone über die Ausschaffung. Nach Informationen von Blick handelt es sich um zwei rechtskräftig verurteilte Afghanen, die erst kürzlich per Linienflug aus dem Land geschafft wurden.

«Bei den ausgeschafften Afghanen handelt es sich um schwere Straftäter», bestätigt der Vizedirektor des SEM, Vincenzo Mascioli (54). Details zu deren Straftaten teilt das SEM aus Datenschutzgründen nicht mit. Nur: «Wir haben es mit Straftätern zu tun, die ein Problem für die innere Sicherheit der Schweiz darstellen. Bei schweren Straftätern gilt Nulltoleranz.»

Bei den ersten Ausschaffungen seit 2019 habe es sich um ein Pilotprojekt gehandelt. Dieses sei erfolgreich gewesen, nun wolle man «so schnell wie möglich» alle schwer straffälligen Afghanen ausschaffen.

Nach Informationen von Blick sind noch 13 schwer kriminelle Afghanen in der Schweiz. Bis wann diese ausgeschafft werden, kann Mascioli nicht sagen: «Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, die wir zum Teil nicht beeinflussen können.»

Das SEM will «aus taktischen Gründen» keine Details zu den Rückführungen verraten. Nach Informationen von Blick sind die zwei schwer kriminellen Afghanen möglicherweise mit einem Linienflug der Turkish Airlines über Istanbul nach Kabul ausgeschafft worden.

Das SEM machte mit der Airline schon öfter gute Erfahrungen, etwa bei Rückführungen nach Mogadischu, Somalia. Ausserdem hat das SEM in Ankara einen Mitarbeiter, der die Ausschaffung nach Kabul von türkischem Boden aus unterstützen kann.

500 Franken Sackgeld

Als wahrscheinlich gilt, dass die zwei Afghanen von Schweizer Kantonspolizisten auf dem Flug nach Istanbul begleitet wurden. Diese sollen im Transitbereich sichergestellt haben, dass die Afghanen tatsächlich das Flugzeug nach Kabul bestiegen.

Eine Begleitung durch Schweizer Kantonspolizisten bis nach Kabul ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich – die Schweiz kann die Sicherheit der Beamten nicht gewährleisten.

Vor dem Abflug erhielten die zwei Afghanen von den Schweizer Behörden 500 Franken Sackgeld in bar. «Dies dient zur Deckung der Bedürfnisse direkt nach der Ankunft», schreibt das SEM.

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Nach Deutschland ist die Schweiz nun das zweite Land Europas, das zwangsweise Rückführungen nach Kabul durchführt.

Bewegung in Athen, Stillstand in Rom

Auch in anderen Bereichen zeigt sich eine Wende in der eidgenössischen Migrationspolitik. Am Donnerstag tauschte sich SP-Bundesrat Jans in Luxemburg mit seinen europäischen Kollegen aus: Staaten nördlich der Alpen erhöhen den Druck auf Italien und Griechenland, die das Dublin-Verfahren seit Jahren nicht umsetzen, Asylanträge also nicht im ersten EU-Land behandeln, das die Flüchtlinge erreichen.

«Wir erwarten von allen Staaten, auch von Italien, dass sie sich an die Regeln halten», sagt SEM-Vizedirektor Mascioli. Athen habe sich in letzter Zeit bewegt: «Sobald wir rechtsgültige Urteile haben, werden wir 2025 wieder Dublin-Fälle nach Griechenland überstellen können.»

Italien hingegen bleibt stur. Ein für Dienstag anberaumtes Treffen zwischen Jans und seinem dortigen Kollegen Matteo Piantedosi (61) wurde kurzfristig abgesagt. Bern und Rom suchen nun ein Ersatzdatum. Nach Einschätzung von Nino Galetti (52), Leiter der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom, ist von der Regierung Meloni kein Entgegenkommen zu erwarten: «Italien ist der Ansicht, bereits genug für Flüchtlinge zu machen und dass die reichen Länder mehr machen sollen.»

Deza-Büro in Kabul: Eröffnung verschoben

Während Bundesrat Jans im Afghanistan-Dossier punkten kann, kämpft Deza-Direktorin Patricia Danzi (55) mit der geplanten Eröffnung eines Deza-Büros in Kabul. Zum zweiten Mal in Folge musste Danzi die Eröffnung verschieben. Eigentlich sollte das Büro diesen Sommer eingeweiht werden, dann war von Herbst die Rede – nun wird das Büro frühestens 2025 eröffnet. Grund für die Verzögerungen sind offenbar Sicherheitsbedenken: Es brauche zusätzliche Abklärungen beim Sicherheitsdispositiv in Kabul, teilt das EDA mit. «Die Sicherheit des EDA-Personals hat oberste Priorität, weshalb diese Abklärungen mit der nötigen Sorgfalt und Zeit getroffen werden.»

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