Nach der Wahl von Alain Berset (52) zum Generalsekretär des Europarats will nun offenbar auch Christine Schraner Burgener (60) wissen, ob sie auf internationaler Ebene reüssieren kann: Die Staatssekretärin für Migration möchte Hohe Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen in Genf werden, wie Blick aus bundesratsnahen Kreisen erfahren hat.
Der Job an der Spitze des UNHCR gehört zu den prestigeträchtigsten, den die Uno zu bieten hat. Der aktuelle UNHCR-Chef Filippo Grandi (67) ist noch bis Ende 2025 im Amt. Erwartet wird, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2025 die Nachfolge klärt.
Wie es scheint, folgt Schraner Burgener damit der Strategie einer Flucht nach vorn: Ihr Staatssekretariat steckt voller Probleme, die auch mit der Person an der Spitze zu tun haben dürften. Im Bundesrat ist immer wieder von einem «Castingfehler» die Rede.
Die SEM-Chefin gilt als profilierte Diplomatin, die allerdings eher für die Weltbühne gemacht ist als für die Niederungen der Schweizer Asylpolitik, in der häufig Kantönligeist und Mehrzweckhallen-Tauglichkeit entscheiden. Statt mit aufgebrachten Bürgern im Kanton Schwyz, die ein Bundesasylzentrum verhindern wollen, hätte Schraner Burgener beim UNHCR künftig mit dem US-Präsidenten und Charity-Promis wie Angelina Jolie (49) oder Cate Blanchett (55) zu tun.
«Das Aussendepartement hat mich angefragt»
Ihre UNHCR-Ambitionen will sie nicht kommentieren: «Frau Schraner Burgener hat nie öffentlich gemacht, worauf sie sich bewerben könnte. Dies wäre auch nicht professionell, denn eine Kandidatur wird erst öffentlich gemacht, wenn sie offiziell deponiert wird», teilt ein SEM-Sprecher mit. Offiziell gilt nach wie vor, was Schraner Burgener letzte Woche dem Blick sagte: «In einer internationalen Organisation wird ein Posten frei, der mich sehr reizt. Das Aussendepartement sucht jemanden, der dafür kandidiert und hat mich angefragt. Die Stelle wird nächstes Jahr ausgeschrieben.»
Intern ist Schraner Burgener gesprächiger. Letzten Dienstag liess sie an einer SEM-Klausurtagung durchblicken, dass ihr Traumjob etwas mit ihrem gegenwärtigen Beruf zu tun habe. Das lässt die Frage aufkommen, weshalb sie auf Ende Jahr abtritt – und nicht aus dem Amt heraus versucht, die UNHCR-Spitze zu erklimmen.
«Eine solche Kandidatur beansprucht Zeit», teilt ein SEM-Sprecher mit. «Dies neben einem anspruchsvollen Amt wie jenem einer SEM-Direktorin zu tun, wäre nicht seriös und diente keinem der beiden Ämter.» Schraner Burgener sei nicht nur für Flüchtlingsbewegungen aus der Ukraine und alle weiteren Asylgesuche zuständig, sondern auch für alle EU-Verhandlungen in Bezug auf die Personenfreizügigkeit. «Der Job als Staatssekretärin für Migration fordert sie ausreichend», teilt das SEM mit.
Bei Elisabeth Baume-Schneider in Ungnade
Möglicherweise war das SP-Mitglied Schraner Burgener im Bundesrat jedoch umstrittener, als bislang bekannt war. Offiziell betont SP-Bundesrat Beat Jans, sie geniesse sein volles Vertrauen. Doch Recherchen von Blick zeigen: Das Justizdepartement zeigte sich in letzter Zeit wiederholt «not amused». Ausgerechnet bei ihrer Parteifreundin Elisabeth Baume-Schneider (60) war Schraner Burgener offenbar in Ungnade gefallen.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz konnte Blick interne Dokumente einsehen. Die damalige Departementsvorsteherin hatte 2023 eine externe Untersuchung «ohne Tabus» angeordnet. Sie fiel für Schraner Burgener wenig schmeichelhaft aus: «Die Direktionsbereiche und Stabsbereiche stellen sicher, dass Unterlagen eine hohe Qualität aufweisen und umfassend sind», mahnt ein Papier nahezu überdeutlich an. «Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Bereich der Statistiken und Zahlen gelegt. Das SEM erarbeitet ein Konzept für den Umgang mit Zahlen und Statistiken im Amt.»
Ihre Chancen? Schwierig abzuschätzen
Wird im SEM unsorgfältig gearbeitet? Schraner Burgener weist den Vorwurf zurück: «Es liegt in der Natur der Sache, dass man die Zusammenarbeit und die Abläufe mit einer neuen Leitung abspricht und gegebenenfalls nach deren Wünschen anpasst. Das scheint uns nicht aussergewöhnlich», sagt ein SEM-Sprecher.
Schraner Burgeners Chancen für das Amt der Hohen Flüchtlingskommissarin sind kaum abzuschätzen. Die Schweiz zahlte letztes Jahr 36 Millionen Franken an das UNHCR und war damit weniger spendabel als Skandinavien. Dafür geniesst Schraner Burgener das Vertrauen von Uno-Generalsekretär António Guterres (75), der vor seinem Sprung nach New York (USA) selbst dem UNHCR vorstand.
Als buddhistische Nationalisten in Myanmar mit der Unterdrückung und Vertreibung mehrheitlich muslimischer Rohingya begannen, ernannte Guterres Schraner Burgener zu seiner Sondergesandten für Myanmar. Gleichwohl dürfte ihr eine Kampfwahl bevorstehen; möglicherweise muss Schraner Burgener im September 2025 gegen ehemalige Staats- und Regierungschefs antreten, die ebenfalls eine internationale Karriere anstreben.
Wahlkampf mit 400'000 Franken Jahresgehalt
Vielleicht gönnt sich Schraner Burgener auch deshalb eine gut bezahlte Wahlkampfphase: Ab Januar 2025 hat sie das SEM hinter sich und kann mit ihrem Salär – knapp 400’000 Franken pro Jahr – Wahlkampf machen.
Möglicherweise wird sie sich dann auch anders äussern, als sie es momentan darf: Als SEM-Chefin muss sie Staaten kritisieren, die aus der Schweiz abzuschiebende Staatsbürger nicht zurücknehmen wollen. In diesem Amt fordert von ihr vor allem die SVP weniger Migration und mehr Abschottung. Als Hohe Flüchtlingskommissarin hingegen wäre Schraner Burgener die oberste Anwältin von Geflüchteten.
Für alle Fälle betont das SEM derweil: «Frau Schraner Burgener fühlt sich den Interessen ihres aktuellen Arbeitgebers bis zum letzten Arbeitstag verpflichtet.»