Vor wenigen Tagen hat sich Christine Schraner Burgener bei einem Haushaltsunfall eine Sehne an der rechten Hand durchtrennt. Obwohl sie ihr Arzt krankschreiben wollte, war sie am Tag danach wieder im Büro. Seit Mai ist bekannt, dass Schraner Burgener das Staatssekretariat für Migration (SEM) Ende Jahr verlassen wird, ihre Aufgaben im SEM bis dahin aber noch wahrnimmt.
Blick: Sie verlassen das Staatssekretariat für Migration Ende Jahr und wechseln ins Aussendepartement. Sind Sie eine «Lame Duck»?
Christine Schraner Burgener: Es ist ja üblich, dass man nach einer Kündigung noch ein paar Monate bleibt. Ich gehöre nicht zu denen, die bereits auf die Zeit danach schaut. Ich arbeite so, wie wenn ich noch ewig hier wäre. Und das tue ich mit Begeisterung und werde mich bis zum letzten Tag voll engagieren.
Warum geben Sie das Amt ab, wenn Sie nach wie vor begeistert arbeiten?
In einer internationalen Organisation wird ein Posten frei, der mich sehr reizt. Das Aussendepartement sucht jemanden, der dafür kandidiert und hat mich angefragt. Die Stelle wird nächstes Jahr ausgeschrieben.
Was ist es für eine Aufgabe? Geht es um die Uno?
Ich möchte mich nicht dazu äussern, da der Posten noch nicht ausgeschrieben ist.
Was machen Sie, wenn Sie die Stelle nicht erhalten?
Dieses Risiko besteht natürlich. Aber ich habe Bundesrat Jans gesagt, dass ich nicht im SEM arbeiten und mich gleichzeitig für ein Amt bewerben kann, für das man sich mit vollem Einsatz in Position bringen muss. Ich bin jetzt 60 Jahre alt und sage mir: No Risk, no Fun.
Christine Schraner Burgener (60) hat ihre ersten Lebensjahre in Tokio verbracht. Nach der Rückkehr ihrer Familie in die Schweiz besuchte sie Schulen im Kanton Zürich und studierte an der Universität Zürich Jus. Schraner Burgener machte Karriere im diplomatischen Dienst im Aussendepartement, war von 2009 bis 2015 Schweizer Botschafterin in Thailand und danach bis 2018 in Deutschland. Danach wurde sie zur Sondergesandten der Uno für Myanmar berufen.
Seit Anfang 2022 ist Schraner Burgener Staatssekretärin für Migration. Sie wird auf Anfang 2025 ins Aussendepartement zurückwechseln. Die erfahrene Diplomatin ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter und einen erwachsenen Sohn. Schraner Burgener ist Mitglied der SP.
Christine Schraner Burgener (60) hat ihre ersten Lebensjahre in Tokio verbracht. Nach der Rückkehr ihrer Familie in die Schweiz besuchte sie Schulen im Kanton Zürich und studierte an der Universität Zürich Jus. Schraner Burgener machte Karriere im diplomatischen Dienst im Aussendepartement, war von 2009 bis 2015 Schweizer Botschafterin in Thailand und danach bis 2018 in Deutschland. Danach wurde sie zur Sondergesandten der Uno für Myanmar berufen.
Seit Anfang 2022 ist Schraner Burgener Staatssekretärin für Migration. Sie wird auf Anfang 2025 ins Aussendepartement zurückwechseln. Die erfahrene Diplomatin ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter und einen erwachsenen Sohn. Schraner Burgener ist Mitglied der SP.
Sie hatten in Ihrer Zeit als Staatssekretärin für Migration seit Anfang 2022 mit Karin Keller-Sutter, Elisabeth Baume-Schneider und jetzt Beat Jans drei Vorgesetzte. Wie haben diese steten Wechsel Ihre Kündigung beeinflusst?
Das war nicht massgebend, ich hätte mir gut vorstellen können, mit Bundesrat Jans weiterzuarbeiten.
Welche Prioritäten setzen Sie denn jetzt für die letzten Monate im Staatssekretariat für Migration?
Im Herbst erwarten wir wieder eine sehr hohe Zahl neuer Asylgesuche. Es werden wohl auch 2024 rund 30’000 Asylanträge sein. Am meisten Asylsuchende kommen weiterhin aus Afghanistan und aus der Türkei. Wir suchen mit voller Kraft zusätzliche Unterkünfte, denn wir müssen vorbereitet sein. Wir sind permanent mit den Kantonen und der Armee in Kontakt. Zudem bin ich für alle EU-Verhandlungen auf Stufe des Justiz- und Polizeidepartements zuständig, nicht nur für den Migrationsbereich. Das beschäftigt mich mindestens einen Tag pro Woche.
Wie wollen Sie die benötigten zusätzlichen Unterbringungsplätze finden? Ihr Plan, mit Containern diese Plätze bereitzustellen, scheiterte ja im Parlament.
Die Container-Lösung wäre gesetzlich abgestützt gewesen. Wir könnten diese ohne Plangenehmigungsverfahren und langes Prozedere aufstellen. Doch das Parlament hat anders entschieden. Nun suchen wir in den Kantonen Zivilschutzanlagen und Turnhallen, die wir für die Unterbringung von Asylsuchenden einrichten. Das ist mit aufwendigen Verhandlungen mit Kantonen und Gemeinden verbunden. Auch für diese stellt diese Situation eine grosse Herausforderung dar.
Wie viele Plätze braucht es denn?
Wir können, Stand jetzt, mithilfe der Kantone und der Armee im Herbst etwa 9500 Plätze bereitstellen, brauchen aber je nach Entwicklung bis zu 12’000 Betten. Aktuell sind knapp 4500 Betten besetzt. Das tönt komfortabel, kann aber rasch ändern.
Es fehlen also in grosser Zahl Unterbringungsmöglichkeiten in den Kantonen?
Wir müssen bis im Herbst 2500 Plätze schaffen. Schrittweise in Kleinarbeit. Neben den 30’000 Asylsuchenden haben wir, auf das ganze Jahr gerechnet, noch etwa 20’000 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer neu unterzubringen. Auch wenn etwa gleich viele die Schweiz wieder verlassen, beansprucht dies enorm viele Ressourcen. Es haben sich ja insgesamt über 100’000 ukrainische Flüchtlinge hier registriert, von denen 66’000 noch hier sind.
Wie wirkt sich der aggressive Ton in der Politik auf Ihre Arbeit aus? Das Thema Migration ist aufgeladen und polarisiert.
Seit ich hier bin, hat sich das spürbar verschärft, auch wenn Migration schon immer polarisiert hat. Das ist auch im Ausland so. Aber die Diskussion ist vor den Wahlen im letzten Jahr deutlich ruppiger geworden. Und das ist gleich geblieben, obwohl keine Wahlen anstehen. Ich wünschte mir, das Narrativ gegenüber Migrantinnen und Migranten würde sich ändern.
Aber es ist nicht schönzureden: Asylbewerber aus Maghreb-Staaten sorgen mit Delikten für Verärgerung, rivalisierende Eritreer stossen in der Bevölkerung auf Unverständnis.
Darunter leiden all jene, die sich korrekt verhalten. Und das sind etwa 98 Prozent der Asylsuchenden. Wir beschäftigen die Asylsuchenden in unseren Asylzentren, leisten mit ihnen gemeinnützige Arbeit und betreuen sie gut, damit sie möglichst keine Probleme machen.
Um Asylgesuche mit minimer Chance speditiv zu erledigen, werden seit Ende April in allen sechs Bundesasylzentren Schnellverfahren durchgeführt, die in 24 Stunden entschieden sein sollen. Wie wirkt sich das aus?
Das läuft sehr gut. In Zürich, wo das 24-Stunden-Verfahren bereits seit November 2023 umgesetzt wird, haben wir bereits 60 Prozent weniger Asylsuchende aus dem Maghreb. In den anderen Zentren sind es seither etwa 40 Prozent weniger.
Was heisst das auf die Gesamtzahl gerechnet?
Die Asylsuchenden aus Nordafrika machen 20 Prozent aller Gesuchsteller aus, haben aber praktisch nie einen Asylgrund. Ein Teil von ihnen nutzte die Schweiz früher als Winterquartier und zog im Frühling weiter, um zum Beispiel als Erntehelfer in Südeuropa zu arbeiten. Wenn viele dieser chancenlosen Gesuche wegfallen, weil sich die 24-Stunden-Verfahren herumsprechen, wird das System spürbar entlastet.
Es gab aber Kritik, weil die Verfahren viel länger dauerten als 24 Stunden.
Wir können alle Verfahrensschritte in den allermeisten Fällen nach 24 Stunden abschliessen. Das heisst jedoch nicht, dass sie danach die Schweiz sofort verlassen. Drei Viertel von ihnen sind aus einem anderen europäischen Land zu uns gekommen. Da dauert es einige Tage, bis wir die Zustimmung dieser Länder bekommen, dass wir sie dorthin zurückführen können. Aber der Aufenthalt ist deutlich kürzer als früher.
Sind denn die Regierungen Marokkos, Algeriens und Tunesiens kooperativ, wenn es um die Rücknahme abgewiesener Landsleute geht?
Wir haben mit allen Maghreb-Staaten eine intensive und gute Zusammenarbeit. Die Rückkehr funktioniert, und wir unterstützen diese Staaten dabei, die zu ihnen geflüchteten Migranten sicher in die Herkunftsländer südlich der Sahara zurückzubringen. Das läuft über die Uno-Migrations-Organisation (IOM).
Wie läuft das mit Eritrea, das eine Zusammenarbeit ablehnt?
Eritrea erlaubt aus keinem Land zwangsweise Rückführungen. Wir sind bereit, mit Eritrea über ein Abkommen zu verhandeln, aber das setzt die Bereitschaft zur Rückübernahme der eigenen Staatsangehörigen voraus. Wir bleiben aber dran und sind laufend im Gespräch. Wir werden auch wieder eine Verbindungsperson in die Region entsenden, die regelmässig in Eritrea vor Ort sein wird. Sie wird in Nairobi stationiert sein.
Was halten Sie denn von den politischen Forderungen, abgewiesene Eritreer über Drittstaaten zurückzubringen?
Es sind noch etwa 260 weggewiesene eritreische Asylbewerber in der Schweiz, die zurückkehren müssten. Ein Transitabkommen mit einem Drittstaat, wie dies politisch gefordert wird, ändert nichts daran, dass Eritrea aus keinem Land abgewiesene Bürger zurücknimmt, die nicht freiwillig zurückkehren. Aber wir werden dies genauso prüfen wie die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten.
Andere Länder wie Grossbritannien machen es bei der Auslagerung von Asylverfahren vor. Warum zieht die Schweiz nicht nach?
Grossbritannien hat seinen Plan bis jetzt ja nicht umgesetzt, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern. Und ein solches Modell hiesse, die Hoheit über den Asylentscheid abzugeben. Man darf nie vergessen, dass wir den Menschenrechten verpflichtet sind und uns auch solidarisch verhalten müssen. Die Absicht der EU, an ihren Aussengrenzen Aufnahmeverfahren für Asylsuchende mit einer tiefen Schutzquote durchzuführen, halte ich hingegen für einen sehr guten Ansatz. Die Schweiz hat diese Reform unterstützt, sie sollte in zwei Jahren starten.