Wohl kaum ein Ort war am Wahlsonntag in Bern so sehr im Gespräch wie Chiasso TI. SVP-Präsident Marco Chiesa (49) betonte vor jedem sich ihm bietenden Mikrofon: «Niemand von euch würde heute in Chiasso leben und wohnen.» Illegale Migranten würden dort grosse Probleme verursachen, so der Tessiner.
Anders sieht dies Elisabeth Baume-Schneider (59). Am Montag ist die zuständige Justizministerin selbst ins Tessin gereist. Dort traf sie sich mit den Gemeindepräsidenten von Chiasso, Balerna und Novazzano und mit dem Tessiner Staatsratspräsidenten Raffaele De Rosa (50) sowie weiteren Politikern. Und sie besuchte das Bundesasylzentrum Chiasso.
«Mein Mann würde sich freuen»
«Ich würde sehr gerne in Chiasso wohnen, nicht nur wegen der Temperaturen», sagte Baume-Schneider anschliessend an einer Medienkonferenz. Die Region sei sehr spannend. Und sie ist nicht allein: «Ich glaube, auch mein Mann würde sich wirklich sehr freuen.»
Zuvor hatte Baume-Schneider bereits angekündigt, Massnahmen zur Verbesserung der Situation im Asylbereich zu prüfen. Die Tessiner Behörden hatten solche seit dem Frühsommer gefordert. In der Bevölkerung steige das Unsicherheitsgefühl wegen krimineller Taten. So sagte zum Beispiel Wirtin Maria José Soler (63) kürzlich im Blick: «Sie prügeln sich, zerschlagen Dinge. Sie kommen auf unsere Terrasse, belästigen und beleidigen die Gäste. Sie sind betrunken, sie stören.» Bruno Arrigoni, der Gemeindepräsident von Chiasso, sagte seit Anfang Jahr sei die Polizei 570 mal ausgerückt – rund zwei Einsätze pro Tag
Die SP-Bundesrätin betonte, dass sich ein grosser Teil der Asylsuchenden an die Regeln halte. Nur wenige würden Delikte begehen. Diese seien es, die unser Asylsystem unter Druck setzen.
Wie Baume-Schneider ausführte, hat sie das Staatssekretariat für Migration (SEM) angewiesen, die Sicherheitsmassnahmen mit zusätzlichem Personal und Patrouillen zu intensivieren. Auch weitere Disziplinarmassnahmen innerhalb des Asylzentrums seien denkbar. Bei konkreten Massnahmen blieb sie aber vage und stellte klar: «Es gibt keine Revolution in dem, was wir tun können.» Aber man könne analysieren, wie man einer Person, die zwei Tage im Untersuchungsgefängnis war und ins Zentrum zurückkehrt, klarmacht, dass sie eine Grenze überschritten hat.
Kritik auch von Seiten Uno-Flüchtlingshilfswerk
Auch über die Verteilung in die Kantone könne man diskutieren. «Aber es ist zu früh, um zu sagen, dass wir das Verteilungssystem überarbeiten werden.»
Kritik an Baume-Schneiders Flüchtlingspolitik kommt nicht nur von der SVP. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sieht zwar Verbesserungen bei der Unterbringung. «Aber dennoch gibt es weiterhin Lücken», heisst es in einer Medienmitteilung. Verbesserungspotenzial macht das UNHCR zum Beispiel bei der Versorgung von Personen mit besonderen Bedürfnissen aus – wie etwa alleinreisende Minderjährige.