Es ist eine unerwartete Auferstehung: Nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels fristete die alte Bergstrecke mit dem berühmten Kirchli von Wassen UR ein Schattendasein als Panorama-Route für Eisenbahn-Fans und Bergliebhaber. Jetzt ginge ohne sie nichts mehr, denn seit der Entgleisung eines Güterzugs vergangene Woche ist der Tunnel gesperrt, der Zugverkehr wird über die Bergstrecke geführt.
Wobei diese nur eingeschränkt als Ersatz taugt. Denn weil die Tunnel darauf nicht hoch genug sind, können weder Doppelstöcker noch hohe Güterwaggons eingesetzt werden. «Die gesamte Bergstrecke ist nicht tauglich für Container et cetera mit einer Eckhöhe von vier Metern», bestätigen die SBB. Die Folge: weniger Sitzplätze im Personenverkehr, Einschränkungen im Güterverkehr.
Den Tessinern ist das zu wenig. «Monatelang ohne gute Anbindung in den Norden zu sein, ist eine Katastrophe – für die Tessiner Wirtschaft und den Tourismus, aber auch für ganz Europa», sagt Fabio Regazzi (61), Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes.
«Vernünftig, Geld in die Hand zu nehmen»
Angesichts der Lage fände er es «vernünftig, Geld in die Hand zu nehmen und die Bergstrecke auszubauen», fordert er. Denn eine solche Situation könne immer wieder passieren – dann sei man darauf angewiesen, dass Personen- und Güterverkehr sichergestellt sind.
Selbst die SBB müssen zugeben, dass sie nie gedacht hatten, je in eine Lage wie jetzt zu kommen. «Ich habe in den letzten Jahren immer gesagt, einen Totalunterbruch dieses Zwei-Röhren-Systems wird es nicht geben», sagte Rudolf Büchi, stellvertretender Leiter Infrastruktur, am Mittwoch. «Ich wurde eines Besseren belehrt.»
SBB wollten Strecke zum Nebengleis machen
Für Regazzi ist es «ein Glück, dass es die Bergstrecke noch gibt – und ich rufe gern in Erinnerung, dass die SBB diese nach Eröffnung des Basistunnels ja stilllegen wollten.»
In der Tat kamen 2016, als der Basistunnels in Betrieb genommen wurde, Forderungen auf, die historische Bergstrecke stillzulegen oder zumindest auf eine Spur zurückzubauen. Grund dafür waren die Wartungskosten, die pro Jahr 40 bis 50 Millionen Franken ausmachen. Zum Glück, so Regazzi, habe der Protest dagegen damals gewirkt. «Jetzt können wir – und auch die SBB – froh sein.»
«Andere Bahnstrecken sind dringender»
Doch es gibt auch Kritik an Regazzis Idee. Der Grüne Nationalrat und Verkehrspolitiker Michael Töngi (56) hält wenig davon. «Das würde Hunderte von Millionen kosten, wenn man all die Tunnel auf der Panoramastrecke ausbauen würde.» Es gebe andere Schweizer Bahnstrecken, die dringender ausgebaut werden müssten. Man müsse vielmehr endlich jene Bahnprojekte im Mittelland realisieren, die schon lange Verzögerungen haben.
«Wenn jetzt die Panoramastrecke erweitert würde, ist das eine falsch gesetzte Priorität. Immerhin kann man den Verkehr ins Tessin momentan noch aufrechterhalten», so Töngi weiter. «Andere Verbindungen in der Schweiz müssten bei einem solchen Unfall auf der Schiene monatelang auf Busverbindungen setzen.»