Ein kleiner Defekt führt zu einem immensen Schaden: Der im Gotthard-Basistunnel am Donnerstag bei der Multifunktionsstelle Faido TI entgleiste Güterzug ist offenbar wegen eines Radscheibenbruchs verunfallt. Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) hat einige Kilometer vor dem Unfallort Fragmente eines Rads und Entgleisungsspuren gefunden. Die Tessiner Staatsanwaltschaft untersucht derzeit die genauen Ursachen, die zum Unfall geführt haben.
Nun zeigt sich: Das Bundesamt für Verkehr (BAV) warnte bereits 2019 davor, dass es zu einem solchen Szenario kommen könnte. Wie CH Media am Dienstag berichtete, hielt das BAV nämlich vor vier Jahren in einem Bericht fest, dass die Qualität vieler Güterzüge nicht genügend sei. Das Amt verwies unter anderem auf «Mängel an den Rädern».
Anhörung mit SBB und BAV
Der Bahnunfall ruft auch die Politik auf den Plan. Zwar sei es noch zu früh, bereits jetzt Schlussfolgerung aus der Entgleisung zu ziehen, sagt Jon Pult (38), Bündner SP-Nationalrat und Präsident der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF): «Es muss zuerst alles sauber aufgearbeitet werden, damit wir genau wissen, was zum Unfall geführt hat. Erst danach lassen sich Konsequenzen aus dem Ganzen ziehen – allenfalls auch politische.»
Die KVF will die SBB vorladen und im Oktober gemeinsam mit dem BAV eine Anhörung durchführen, zeigen Blick-Recherchen. «Darin werden wir unter anderem auch den Unfall diskutieren und was es daraus für alle Beteiligten zu lernen gibt», sagt Pult.
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Der Schaffhauser SVP-Nationalrat Thomas Hurter (59) stimmt Pult bei, dass erst die Untersuchungsergebnisse abgewartet werden sollten, bevor man politische Konsequenzen fordere. «Der Vorfall zeigt allerdings auf, dass es sich beim Gotthard um ein Nadelöhr handelt», sagt er. Für den Verkehrspolitiker stellt sich darum die Frage, ob die Sicherheitskontrollen des BAV genügen. Das werde man prüfen müssen.
«Güterverkehr an Sicherheitsvorschriften knüpfen»
Für den Berner FDP-Nationalrat und Verkehrspolitiker Christian Wasserfallen (42) ist die Frage nach der Haftbarkeit des Unfalls keine politische. «Es braucht eine Untersuchung und ein Gericht wird klären müssen, wer dafür verantwortlich ist – gerade auch, weil das BAV in der Vergangenheit bereits mehrfach auf Sicherheitsmängel hingewiesen hat.»
In Zukunft müsse man sich fragen, wie viel Güter- und Personenverkehr im Gotthardtunnel überhaupt verkehren sollen. «Wenn wir dem Güterverkehr künftig noch mehr Raum einräumen wollen, müssen die Trasse-Nutzungen entsprechend an Standards und Sicherheitsvorschriften geknüpft werden. Wer diese nicht erfüllt, darf die Gotthard-Strecke nicht mehr befahren», findet Wasserfallen.
Das BAV kündigte bereits 2019 an, die Zusammenarbeit mit den ausländischen Aufsichtsbehörden verstärken zu wollen. Denn: Die Ursachen für viele der festgestellten Mängel lägen bei ungenügenden Abläufen in Verladeterminals im Norden oder Süden der Alpen oder bei Zwischenstationen im Ausland, kritisierte das Amt 2020 erneut.
Mehrere Tausend Güterwagen werden jährlich kontrolliert
Gemäss Artikel 17 des Eisenbahngesetzes sind die Bahnunternehmen für den sicheren Betrieb ihrer Züge verantwortlich. «Entsprechend hat das BAV 2019 in erster Linie die Unternehmen auf den ungenügenden Stand aufmerksam gemacht und bei ihnen Verbesserungen eingefordert», heisst es auf Blick-Anfrage beim BAV. Es überprüfe mittels Stichproben, ob die Unternehmen ihrer gesetzlichen Verantwortung nachkämen.
Weiter habe das BAV seine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsaufsichtsbehörden der Nachbarländer weiter intensiviert. Denn viele Züge fahren grenzüberschreitend durch die Schweiz. 2022 habe das BAV zudem gemeinsam mit SBB Infrastruktur eine Spezialkontrolle zu Laufflächenfehlern an Güterzügen durchgeführt. Daraus resultierte etwa eine Weiterentwicklung im Bereich der Zugkontrolleinrichtungen.
In der Schweiz werden jährlich mehrere Tausend Güterwagen kontrolliert. Im vergangenen Jahr waren es gemäss BAV 7596 – das sind rund 800 mehr, als noch 2018/19. Bei diesen Kontrollen habe das BAV auch festgestellt, dass die sogenannten Fehlersummenwerte seit 2019 zurückgegangen sind.