Axpo-Chef Christoph Brand im grossen Interview
«Ich bin den Steuerzahlern sehr dankbar»

Christoph Brand musste den Bund um die Aktivierung eines Milliardenkredits bitten. Es hagelte Kritik. Jetzt reagiert der Axpo-CEO. Er will keinen Bonus – und sagt dem Volk: Merci für den Rettungsschirm!
Publiziert: 10.09.2022 um 15:20 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2022 um 14:13 Uhr
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Axpo-CEO Christoph Brand muss beim Bund die hohle Hand machen.
Foto: Thomas Meier
Interview: Danny Schlumpf und Sven Zaugg

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Am Dienstag verkündete Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62): Axpo ruft um Hilfe! Das Problem: Die Strompreise explodieren, dem Energielieferant gehen die flüssigen Mittel aus. Darum öffnet der Staat den Rettungsschirm und stellt einen Notkredit in der Höhe von vier Milliarden Franken bereit.

Noch hat der Konzern den gigantischen Kredit nicht gezogen, doch die Lage ist ernst. Im Auge des Sturms und im Kreuzfeuer der Kritik: Axpo-Chef Christoph Brand. Im Interview mit SonntagsBlick zeigt sich der 52-Jährige Berner, der seit Mai 2020 die Geschicke des Konzerns leitet, dankbar für die Staatshilfe. Doch Fehler zugeben will er nicht.

Herr Brand, wann wurde Ihnen klar, dass es ohne Bundeshilfe eng werden könnte?
Christoph Brand:
Als die Preise Ende August explodierten, wurde uns schmerzlich bewusst, dass uns ein weiteres derartiges Beben wohl in ernste Schwierigkeiten bringen könnte. Deshalb griffen wir am Freitag vor einer Woche zum Hörer und baten Bundesrätin Simonetta Sommaruga, den Rettungsschirm für die Axpo vorsorglich zu aktivieren.

Wie fühlt es sich als Manager an, den Staat um Finanzhilfe zu bitten?
Schlecht! Wirklich sehr schlecht. Es ist für mich als Unternehmer überhaupt nicht vereinbar mit meinen Überzeugungen.

Dennoch haben Sie es getan.
Wir wollten kein Risiko eingehen, auch nicht für die Schweiz.

Noch im Mai hat Axpo den Rettungsschirm abgelehnt. Jetzt machen Sie beim Bund die hohle Hand. Können Sie verstehen, dass das zu sehr grossen Irritationen geführt hat?
Nach anfänglicher Kritik haben wir den Rettungsschirm im Grundsatz unterstützt. Sehen Sie sich diese Preisexplosion an! Das ist doch nicht mehr normal. Niemand in der Branche hat es für möglich gehalten, dass die Preise in diesem atemberaubenden Tempo und auf diese Höhen steigen.

Persönlich

Der Berner Christoph Brand (52) ist studierter Ökonom. Er bekleidete diverse Führungspositionen bei den Telekommunikationsunternehmen Sunrise, Bluewin und Swisscom, bevor er 2012 in die Medienbranche wechselte. Beim Pressehaus Tamedia leitete er den digitalen Geschäftsbereich. Seit Mai 2020 ist Brand CEO von Axpo, des grössten Energiekonzerns der Schweiz. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Der Berner Christoph Brand (52) ist studierter Ökonom. Er bekleidete diverse Führungspositionen bei den Telekommunikationsunternehmen Sunrise, Bluewin und Swisscom, bevor er 2012 in die Medienbranche wechselte. Beim Pressehaus Tamedia leitete er den digitalen Geschäftsbereich. Seit Mai 2020 ist Brand CEO von Axpo, des grössten Energiekonzerns der Schweiz. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Und trotzdem ist es passiert.
Hätten Sie mir vor einem Jahr gesagt, dass es auf europäischen Boden einen Krieg mit Panzern und Haubizen geben wird und dass es im Zuge dessen zusätzlich zu einem Energiekrieg kommt, ich hätte Sie für verrückt erklärt.

Haben Sie sich nichts vorzuwerfen?
Wenn ich jetzt behaupten würde, wir hätten keine Fehler gemacht, wirkt das unsäglich arrogant.

Genau das würden Sie aber am liebsten sagen…
Hätten wir mehr Szenarien mit derartigen Schocks entwickeln sollen? Ja, vielleicht. Natürlich haut man uns nun um die Ohren, wir hätten mehr Liquidität bereitstellen müssen. Aber unsere Strategie war wohlüberlegt, hat zehn Jahre einwandfrei funktioniert. Der Verwaltungsrat stand zu jeder Zeit geschlossen hinter der Geschäftsleitung.

Wenn die Strategie die richtige war und Sie keine Fehler gemacht haben, muss der Markt schuld sein. Sie selbst aber haben am Dienstag gesagt, der Markt funktioniere. Was stimmt denn nun?
Angebot und Nachfrage setzen den Preis. Wenn praktisch alle Marktteilnehmer Angst haben, dass es zu wenig Gas und Strom gibt, dann steigt der Preis. Der Markt weiss es immer besser. Unsere Absicherungsstrategie haben wir immer den prognostizierten Preisen für die kommenden Jahre angepasst. Hätten wir hingegen vor zwei Jahren gesagt, der Preis für eine Megawattstunde Strom werde heute bis zu 1000 Franken kosten, man hätte uns ausgelacht.

Wer Termingeschäfte macht, muss Preisentwicklung und Schocks mindestens abschätzen können. Das ist Ihr Kerngeschäft.
Natürlich haben wir viele Szenarien für Preisschocks entwickelt. Zum Beispiel, dass der Strompreis in sehr kurzer Zeit sehr stark steigt oder sinkt. Wir konnten ja bisher sogar Preise, die innerhalb von zehn Monaten von 60 Franken für die Megawattstunde auf über 1000 explodiert sind, bewältigen. Das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Aber irgendwann ist Schluss.

Das mussten andere Unternehmen auch. Konkurrentin Alpiq hat es offenbar geschafft, dass sich die Zu- und Abflüsse ihrer Liquidität die Waage halten. Warum gelingt das der Axpo nicht?
Das haben wir auch gemacht und unser Portfolio entsprechend kalibriert, sonst wären wir nicht mehr hier.

Warum aktivieren dann nur Sie den Rettungsschirm?
Wir wissen noch nicht, ob wir den Kredit überhaupt brauchen, und werden alles dafür tun, dass es nicht soweit kommt. Wir gehorchen dem Vorsichtsprinzip. Ausserdem sind wir um einiges grösser als Alpiq, müssen also mehr Strom absichern. Und sehen Sie unsere Kunden an! Die Netzbetreiber und Industriebetriebe, die sich bei uns abgesichert haben, schauen sehr entspannt auf die Verwerfungen am Markt. Wir können unsere Kunden kommendes Jahr mit Strom versorgen, der um ein Vielfaches günstiger ist als heute.

Und was hat die Schweizer Bevölkerung davon?
Die Endkunden, die indirekt bei uns den Strom beziehen, sind vor den extremen Preisen schon mal geschützt. Und wenn wir einen Kredit ziehen müssen, wird er für die extrem gestiegenen Sicherheitsleistungen eingesetzt. Sie fliessen automatisch bei der Lieferung wieder zurück. Doch sie sind nötig, um weiterhin Strom kaufen und verkaufen zu können. Das sichert unseren Beitrag an die inländische Stromversorgung.

Die derzeit sehr hohen Strompreise werden schon bald zu hohen Gewinnen führen – Übergewinne, die die Politik abschöpfen will. Mit ihrem Hilferuf erweisen sie der Strombranche einen Bärendienst.
Diese Diskussionen wurden bereits vor unserem Hilferuf geführt und politisch ausgeschlachtet. Nochmals: Dass wir den Staat vorsorglich um Hilfe gebeten haben, macht uns nicht stolz. Diese Kröte müssen wir schlucken.

Axpo ist der grösste Schweizer Energielieferant und mitverantwortlich für die Sicherstellung der Energieversorgung des Landes. Aber Sie produzieren nicht nur Energie. Den grösseren Teil des Umsatzes machen Sie mit Handel. Wie passt das zusammen?
Da kommen wir schnell in eine Grundsatzdiskussion, wie der Strommarkt überhaupt ausgestaltet sein soll. Der Markt wurde aus guten Gründen teilliberalisiert. Die Axpo ist die grösste Schweizer Stromproduzentin – ohne gebundene Endkunden. Wir sind dem Markt deshalb komplett ausgesetzt. Irgendwo müssen wir ja unsere 24 Terawattstunden Strom, die wir jährlich produzieren, handeln können. Zudem bauen wir die Stromproduktion massiv aus.

Ja, vorrangig mit Investments im Ausland.
Moment! Es gibt nur ein Netz, und das ist das europäische. Wenn die Axpo wo auch immer Strom produziert und ins Netz einspeist, haben alle etwas davon – auch die Schweiz. Einfach gesagt: Wenn Europa genug Strom hat, haben auch wir genug. Eine energieautarke Schweiz ist eine Illusion. Aber klar, wenn wir hierzulande in die Stromproduktion investieren können, tun wir das auch. Doch man lässt uns nicht.

Das müssen Sie erklären.
Alles wird verhindert. Wir dürfen keine Photovoltaik-Anlagen auf Freiflächen oder entlang von Autobahnböschungen bauen. Windkraftanlagen oder Wasserkraftwerke werden über Jahre oder Jahrzehnte hinweg von Umweltverbänden und Privaten blockiert. Das ist himmeltraurig.

Sie sind im Rechtfertigungsmodus. Die Steuerzahler, die den Rettungsschirm finanzieren, würden sich einfach mal über ein Dankeschön von Ihnen freuen. Liegt das drin?
Selbstverständlich bin ich sehr dankbar und demütig. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass diese Sicherheitsleistungen nichts mit Spekulation zu tun haben. Was wir machen, ist ganz klar im Interesse der Versorgungssicherheit des Landes. Ich gebe Ihnen ein Beispiel.

Bitte.
Die transadriatische Gas-Pipeline von Aserbaidschan nach Europa war eine Initiative der Axpo. Heute sind wir sehr froh, dass es noch eine Pipeline gibt, die nicht durch Russland führt. Jetzt haben wir Gasspeicher in Italien für die Schweiz organisiert. Dieses Gas kommt nicht aus der Schweiz. Das ist Handelsgeschäft! Und dieses Geschäft generiert Geld, das wir anschliessend investieren können. In den letzten Jahren haben wir 70 Prozent aller Investitionen in der Schweiz getätigt.

Warum holen Sie die Kredite nicht einfach bei den Banken? Die müssten sich doch die Hände reiben!
Wir haben in den letzten Monaten Milliarden bei den Banken und am Kapitalmarkt aufgenommen und sind laufend dran. Aber wenn man innert 48 Stunden im Extremfall mehrere Milliarden auf den Tisch legen muss, geht es selbst für die Banken zu schnell.

Offenbar geht es auch den Eigner-Kantonen zu schnell. Die sagen, sie könnten nichts tun – obwohl sich die Strompreise schon 2021 verdoppelt hatten und Alpiq am Ende des Jahres nur knapp am Kollaps vorbei schrammte.
Die Höhe der Beträge, von denen wir hier sprechen, würde die meisten Aktionäre überfordern. Für einen Kanton wie Glarus beispielsweise gibt es klare finanzielle Grenzen.

Nun ist Glarus aber nicht der reichste Ihrer Aktionäre. Zürich oder der Aargau sind weissgott keine Kirchenmäuse…
Es gibt aber noch eine andere Frage: Gibt es eine Rechtsgrundlage? Der Bund hat erst jetzt eine geschaffen.

Aber das entlastet die Kantone nicht. Sie wissen seit neun Monaten um den Ernst der Lage.
Es gab Bestrebungen, auf Kantonsebene eine Lösung zu finden. Doch es war offenbar zu viel in zu kurzer Zeit.

Stattdessen müssen nun alle 26 Kantone das Risiko mittragen. Wenn etwas schief läuft, müssen sie nämlich die Hälfte des Kredits zahlen.
Man kann aber auch sagen, dass der Strom, den wir produzieren, in alle 26 Kantone fliesst – und nicht nur in diejenigen, die Anteile an der Axpo halten.

Sie haben im letzten Geschäftsjahr 1,5 Millionen Franken verdient – fast die Hälfte als Bonus. Werden Sie auf den Bonus verzichten, sollte der Schutzschirm beansprucht werden?
Falls wir diese Kreditlinie anzapfen müssen, verzichten wir in der Geschäftsleitung auf Bonuszahlungen, bis das Geld zurückgezahlt ist. Darüber haben wir den Verwaltungsrat am Freitag informiert.

Was kommt in den nächsten Monaten auf die Schweiz zu? Der grosse Blackout? Oder wird doch noch alles gut?
Wenn Sie mir sagen, wie in diesem Winter das Wetter aussieht und wann die französischen AKW wieder laufen, sage ich Ihnen, wie hoch das Risiko einer Strommangellage ist. Panik ist sicher fehl am Platz. Aber ich finde es sehr gut, dass wir uns nun ernsthaft mit dem Energiesparen befassen.

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