Aus Angst vor Kundenansturm
Fordern Krankenkassen gezielt zu hohe Prämien?

SP-Nationalrätin Sarah Wyss hat einen Verdacht: Weil allzu viele Anbieterwechsel für Versicherer teuer sind, erhöhen sie künstlich ihre Preise.
Publiziert: 22.10.2023 um 01:23 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2023 um 11:25 Uhr
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SP-Nationalrätin Sarah Wyss zweifelt an der Nachhaltigkeit des aktuellen Systems: «Das Krankenversicherungswesen wird im Kern erschüttert.»
Foto: Keystone
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Peter AeschlimannRedaktor

Bevor SP-Gesundheitsminister Alain Berset (51) vor kurzem den jüngsten Prämienschock verkündete, projizierte einer seiner Mitarbeiter ein Diagramm an die Wand, das die ganze Misere erklären soll: Eine Säule zeigt die Einnahmen, eine andere die Kosten der Krankenkassen.

Die sind höher – und da liegt der Hund begraben. Weil die Versicherer mehr ausgeben als verdienen, müssen die Prämien rauf.

Ein Grund für die hohen Kosten ist die Abwanderung von Versicherten zu günstigeren Kassen. Da 2022 weit mehr den Anbieter wechselten als bei den Berechnungen der Prämien einkalkuliert, war der nächste Anstieg unausweichlich. Dennoch empfahl Gesundheitsminister Berset denen, die es besonders hart trifft, zu einer billigeren Kasse zu wechseln – weshalb sein Nachfolger nächstes Jahr wohl wieder am gleichen Punkt stehen wird.

Die Basler Nationalrätin Sarah Wyss (35) will dieses Spiel nicht länger mitmachen. Die vielen Kassenwechsler belasten das Gesundheitswesen mit jährlich mindestens 130 Millionen Franken, schreibt sie in einem Vorstoss. Für die Kassen sei das fatal: Der Personalaufwand steigt, höhere Reserven werden nötig.

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60 zusätzliche Stellen bei der KPT

So ging es auch der Berner Krankenkasse KPT. Weil sie bei der Grundversicherung das mit Abstand günstigste Angebot machte, wurde sie von Neukundinnen und Neukunden geradezu überrannt – und hatte auf einen Schlag Anfang des Jahres 195'000 Versicherte, also 55 Prozent mehr.

Um den Ansturm zu bewältigen, wurden 60 zusätzliche Stellen geschaffen und Briefe an die Kunden verschickt, die um Verständnis baten, falls es bei einer Rückzahlung mal etwas länger dauern sollte.

Die Sozialdemokratin Wyss bezweifelt die Nachhaltigkeit dieses Systems, spricht sogar von einem «KPT-Effekt», von Fehlanreizen. Und sie hat einen Verdacht: Dass Versicherer, um einen Ansturm neuer Kunden zu vermeiden, ihre Prämien künstlich etwas zu hoch ansetzen: «Das Krankenversicherungswesen wird im Kern erschüttert, der Wettbewerb spielt nicht mehr, wenn es gar keinen Anreiz mehr gibt, möglichst günstige Prämien anzubieten.»

Wyss will bis zur Wintersession vom Bundesrat wissen, ob auch er glaubt, dass die Kassen höhere Prämien verlangen, um weniger Interessenten für kurzfristige Wechsel anzuziehen.

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Keine Genehmigung mit zu hohen Gewinnen

Beim Bundesamt für Gesundheit will man von einem «KPT-Effekt» nichts wissen. Es gebe Mechanismen, die verhindern, dass ein Versicherer Prämien zu hoch ansetzt, so BAG-Sprecher Andrea Arcidiacono zu SonntagsBlick. «Da keine Gewinne gemacht werden dürfen, würden bei systematisch zu hohen Prämien die Reserven immer weiter ansteigen.» Wenn diese Rückstellungen übermässig anzusteigen drohten, verweigere man dafür die Genehmigung.

Der Krankenversicherungsverband Santésuisse spricht der These von Sarah Wyss den Realitätsgehalt ab. Sprecher Matthias Müller: «Zusätzliche Kundinnen und Kunden zu gewinnen, ist immer das Ziel.» Die Versicherer stünden in starker Konkurrenz. Vor allem aus diesem Grund seien die Verwaltungskosten mit 5 Prozent vergleichsweise tief: «Die Prämien werden so knapp wie möglich berechnet. Wäre es anders, wären die Reserven nicht so stark geschrumpft und die Prämien letztes Jahr deutlich stärker gestiegen.» Mittelgrosse und grosse Krankenversicherer haben laut Müller keine Probleme, Kundinnen und Kunden zu gewinnen, weil sie das mit der bestehenden Infrastruktur gut auffangen könnten.

Wyss bleibt dabei: Der «KPT-Effekt» pulverisiere das Argument der Krankenkassen, Wettbewerb lasse die Kosten sinken und die Qualität steigen: «Die Krankenkassen haben kein Interesse mehr daran, der günstigste Anbieter zu sein.»

Eine Lösung für dieses Dilemma hält die SP-Gesundheitspolitikerin schon parat: die öffentliche Krankenkasse.

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