Verteidigungsministerin Viola Amherd (61) hatte von Anfang an abgewunken. Von einem Finanzengpass bei der Armee könne nicht die Rede sein, hatte sie Anfang Februar mehrfach betont. Dass das Militär die Umsetzung geplanter Rüstungsgeschäfte im Umfang von mehreren Hundert Millionen Franken auf später verschieben muss, sei «alles andere als exotisch». Alles gar kein Problem, widersprach sie ihrem Armeechef Thomas Süssli (57). Auch die Finanzkommission des Nationalrats kam zum Schluss: Es bestehe kein Finanz-, aber ein Kommunikationsproblem.
Nun aber berichtet Radio SRF über ein internes Dokument von Armee-Finanzchef Gerhard Jakob, das ein anderes Bild zeichnet. In der dreiseitigen «Aktennotiz» vom Dezember, die an Armeechef Süssli gerichtet ist, spricht Jakob gleich im ersten Satz Klartext: «Bekanntlich bestehen in den nächsten Jahren in der Armee grosse Finanzierungsengpässe.» Und der Finanzchef macht deutlich, dass es dabei nicht um Planzahlen gehe. In Klammern verwendet er den Begriff «Cash».
Deutliche Warnung des Armee-Finanzchefs
Das Problem: Das Verteidigungsdepartement (VBS) habe sich in den Jahren 2020 bis 2024 deutlich höhere Rüstungsprogramme bewilligen lassen als geplant. Die Rede ist von «plus 2,5 Milliarden Franken». Weiter sei der Betriebsaufwand stärker gestiegen als budgetiert. Gleichzeitig habe das VBS Gelder von der Armee abgezweigt und für andere Zwecke eingesetzt. «Die Kumulation dieser verschiedenen Ursachen ist die grosse Herausforderung», bilanziert Armee-Finanzchef Jakob.
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Wie das VBS gegenüber Radio SRF ausführt, habe es rund 90 Millionen Franken von der Gruppe Verteidigung und dem Bundesamt für Rüstung zu anderen Verwaltungseinheiten verschoben, vorab um Personal im Bereich der Cyberabwehr und des Nachrichtendiensts des Bundes zu finanzieren.
Unter dem Strich fehlten der Armee allein in diesem Jahr 600 bis 700 Millionen Franken zur Finanzierung von Rüstungsvorhaben, hält der Finanzchef fest. Und er schlägt die Alarmglocke gleich noch heftiger: Je nachdem, wie viel Geld das Parlament in den nächsten Jahren für die Armee bewillige, werde sich die Finanzsituation «noch verschärfen».
Die Konsequenz: Bereits eingegangene Verpflichtungen könnten dann nicht mehr bezahlt «und Vorhaben müssten frühzeitig abgeschlossen oder abgebrochen werden». Und der Finanzchef stellt unmissverständlich klar, dass sich der Finanzengpass im laufenden Jahr nicht einfach in Luft auflösen werde, «sondern sich in den folgenden Jahren ohne rechtzeitige Gegenmassnahmen unter Umständen noch verstärken und bis gegen Ende der 20er Jahre hinziehen».
Wackelt sogar Rüstungsprogramm 2024?
Zwar habe man bereits erste Massnahmen getroffen und geplante Rüstungsprojekte von etwas mehr als 750 Millionen Franken «on hold» gesetzt und auf später verschoben. Aber das werde «unweigerlich» zu höheren Ausgaben in den kommenden Jahren führen. Je nach Budgetentscheiden des Bundesrats «muss sogar noch einmal über das Rüstungsprogramm 2024 gesprochen werden (zurückziehen ja/nein?)».
Irritiert zeigt sich SVP-Sicherheitspolitiker Mauro Tuena (52). «In der Sicherheitskommission ist offenbar nicht vollständig mit offenen Karten gespielt worden», sagt er. Erst jetzt im Nachhinein sei plötzlich die Rede davon, dass sogar das Rüstungsprogramm betroffen sein könnte. «Es kann nicht sein, dass immer alles schöngeredet wird und wir dann scheibchenweise aus den Medien wieder neue Informationen entnehmen müssen», sagt Tuena. «Das geht einfach nicht!» Immerhin werde derzeit versucht, das Armeebudget doch nochmals rascher zu erhöhen, was mit solchen Schlagzeilen sicher nicht einfacher werde.
Bestätigt von den Warnungen des Armee-Finanzchefs sieht sich Dominik Knill, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft: «Die Armee ist massiv unterfinanziert und braucht rasch mehr Geld», schlussfolgert er. Bundesrat und Parlament seien gefordert aufzuzeigen, wie unter Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen für die Armee rasch mehr finanzielle Mittel gesprochen werden können. «Diese Aufgabe ist dringlich.»
VBS bestätigt Aussagen
Gegenüber Radio SRF bestätigt das VBS, sämtliche Aussagen von Finanzchef Jakob in der «Aktennotiz» seien zutreffend. Alle Rüstungsvorhaben würden aber «normal weiterlaufen». Und das Departement beharrt darauf, «grundsätzlich» sei dies ein «normaler Prozess».
Sorgen bereitet SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (55), dass die Bugwelle an künftigen Investitionen, die die Armee vor sich herschiebt, so immer grösser werde. Es sei klar gewesen, dass die Grossinvestition über 8 Milliarden Franken für neue Kampfjets und Luftverteidigung Konsequenzen aufs Budget habe, sagt die Präsidentin der Sicherheitskommission des Nationalrats. «Das wusste man und hat jetzt doch wieder ein Rüstungsprogramm vorgeschlagen. Die Bugwelle wird zum Tsunami ...»