«Es gibt grosse Baustellen im Gesundheitssystem»
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Alain Berset im Interview:«Es gibt grosse Baustellen im Gesundheitssystem»

Alain Berset will auch nach 2023 im Bundesrat bleiben
«Ich bin noch voller Energie und habe Lust, weiterzumachen!»

Alain Berset gilt als einer der Verlierer rund um die Bundesratswahlen. So muss er im Innendepartement bleiben. Und das schlechte Wahlresultat für das Bundespräsidium war ein deutlicher Wink, allmählich zurückzutreten. Berset selber aber zeigt sich keineswegs amtsmüde.
Publiziert: 14.12.2022 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2022 um 08:09 Uhr
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Er hat schwierige Tage hinter sich: Für viele gilt SP-Bundesrat Alain Berset als grosser Verlierer rund um die Bundesratswahl.
Foto: KARL-HEINZ HUG

Alain Berset (50) ist in Eile. Der SP-Gesundheitsminister steckt mitten in der Wintersession, muss gleich weiter in den Ständerat, die Reform der beruflichen Vorsorge steht auf dem Programm. Dennoch nimmt er sich Zeit für ein kurzes Gespräch mit Blick – kurz nach den Bundesratswahlen und vor seinem anstehenden Jahr als Bundespräsident.

Für viele gilt Berset als der Verlierer letzter Woche: Mit der Departementsverteilung im neuen Bundesrat muss er im Innendepartement bleiben, obwohl ihm grosses Interesse am Finanz- oder am Aussendepartement nachgesagt wurde. Und bei der Wahl zum neuen Bundespräsidenten schnitt er ganz schlecht ab. Ein Wink mit dem Zaunpfahl der Bürgerlichen, dass es nach dann zwölf Jahren im Bundesrat bei den Wahlen Ende 2023 Zeit wäre, seinen Platz zu räumen. Berset selbst sieht das anders.

Blick: Herr Berset, Sie haben als Bundespräsident 2023 ein anstrengendes Jahr vor sich. Wie tanken Sie bis dahin auf?
Alain Berset: Mit viel frischer Luft! Ich verbringe die Festtage mit meiner Familie, Neujahr mit Freunden. Dabei sind ein paar Tage in den Bergen und im Schnee geplant. Ein bisschen Sport, Musik und Lesen – für einmal keine Dossiers – gehören auch dazu.

Unter welches Motto stellen Sie Ihr Präsidialjahr?
Ich habe kein Motto. In der Regel kommt es ja sowieso anders. Beschäftigen werden uns internationale Spannungen wie der Ukraine-Krieg und das Zusammenleben in der Schweiz nach drei Jahren Corona-Pandemie. Zusammenhalt und Freude am gesellschaftlichen Leben werden daher ein Schwerpunkt meines Präsidialjahrs sein.

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«Wir sind kein Wohlfühlgremium, sondern haben Freude am Streiten und Argumentieren.»
Alain Berset
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SVP-Bundesrat Ueli Maurer war in der Corona-Politik Ihr Kontrahent. Für Sie wird es als Bundespräsident einfacher, wenn der «Störenfried» abtritt.
Ach, wissen Sie, wir sind sieben Leute und nicht alle gleich. Es war immer spannend mit Kollege Maurer – im positiven Sinn. Die Vielfalt der Erfahrungen, Herkunft und familiären Unterschiede ist eine Bereicherung für eine Konkordanzregierung. Klar ist man nicht mit jedem Entscheid gleich zufrieden. Hätten wir alle die gleiche Meinung, wäre das schlecht. Wir sind kein Wohlfühlgremium, sondern haben Freude am Streiten und Argumentieren. Aber immer mit Respekt.

In Ihrem ersten Präsidialjahr 2018 standen 19 Auslandsreisen auf dem Programm. Haben Sie schon wichtige Reisen auf der Agenda?
Danke für die Statistik (lacht). Die erste Reise führt traditionell nach Österreich, das wird auch bei mir so sein. Nächstes Jahr gibt es mit dem Sitz im Uno-Sicherheitsrat eine neue wichtige Aufgabe für die Schweiz. Ich werde so viel reisen, wie es für das Land notwendig ist. Nach den Pandemiejahren ist es wichtig, wieder stärker direkte Kontakte zu pflegen. Das ist wie im Freundeskreis, ein persönlicher Apéro ist etwas anderes als ein Videoanruf.

Ist auch ein Trip in die Ukraine vorgesehen?
Im Moment nicht. Aber wenn es notwendig wird, werden wir eine solche Reise organisieren.

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2017 wurden Sie mit 190 Stimmen zum Bundespräsidenten gewählt, diesmal nur noch mit 140. Wie erklären Sie sich das schlechte Resultat?
In jedem anderen Land würde es als hervorragendes Resultat betrachtet (lacht). Aber ich habe nichts anderes erwartet. Dazwischen lag die Pandemie, es gab Spannungen in der Gesellschaft. Nicht alle waren zufrieden mit den Entscheidungen des Bundesrats.

Hört man sich um, war es ein bürgerlicher Wink, dass Sie nach dem Präsidialjahr abtreten sollten.
Dass die anderen Fraktionen so über das Schicksal von Bundesräten entscheiden, wäre nicht im Sinne der Konkordanz. Ich sehe es daher auch nicht als Signal. Man soll so lange bleiben, wie man die Kraft und zentrale Projekte hat – und es dem Land nützt.

Dann bleiben Sie über 2023 hinaus Bundesrat?
Ich habe wichtige Projekte, die bei weitem nicht zu Ende sind.

Bleiben Sie länger als 2023?
Mein Ziel ist klar: Ich will auch danach weiterarbeiten und meine Dossiers vorantreiben. Ich bin ab 2023 der Amtsälteste und gleichzeitig der Jüngste. Ich bin noch voller Energie und habe Lust, weiterzumachen! Man muss aber auch bescheiden bleiben. Das Leben kann sich rasch ändern, das haben wir vor kurzem ja bei Simonetta Sommaruga erlebt.

Sie bleiben im Innendepartement. Im Vorfeld wurde gemunkelt, dass Sie ins Finanz- oder ins Aussendepartement wechseln möchten. Warum hat das nicht geklappt?
Über die Departementsverteilung wird immer wieder spekuliert, dazu sage ich nichts. Unsere Pflicht ist es, das Team so aufzustellen, dass es für das Land am besten ist. Meine Leidenschaft für das EDI ist unverändert gross, ich bin hier sehr glücklich!

Die AHV-Revision ist gelungen, die Corona-Pandemie bewältigt – was wollen Sie noch anpacken?
Noch vieles! Im Gesundheitsbereich gibt es zentrale Baustellen wie die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Das ist ein Generationenprojekt, das viele Fehlanreize beseitigen kann! Zudem sind zwei Volksinitiativen zu den Gesundheitskosten mit Gegenvorschlägen hängig. In der Altersvorsorge geht es um die Reform der zweiten Säule und die Verbesserung der Renten von Frauen und Geringverdienenden. Was nun der Ständerat will, ist weit weg von dem, was der Bundesrat vorschlägt. Das wird kein Spaziergang.

Fürchten Sie, dass Corona in Ihrem Präsidialjahr nochmals zur Herausforderung wird?
Die Corona-Pandemie war ein Jahrhundertereignis und eine unglaubliche Herausforderung, die wir nicht schlecht gemeistert haben. Ich bin überzeugt, dass wir die akute Phase hinter uns haben (Berset berührt Holz). Es wird weiterhin Wellen geben, aber wir sind gut vorbereitet, und die Bevölkerung hat eine gute Immunität, um diese zu bewältigen.

Dann steht Ihnen nach dieser anstrengenden Corona-Zeit mit dem Bundespräsidium fast schon ein Wellness-Jahr bevor.
Das trifft eigentlich eher auf das ablaufende Jahr zu. Das Jahr, in dem wir den Krisenmodus verlassen konnten. Jetzt gilt wieder: Vollgas!

Sie betonen Ihre Zufriedenheit mit dem Verbleib im EDI. Ihre Partei ist mit der Departementsverteilung weit weniger glücklich. Die SP befürchtet, Albert Rösti könnte die Energiewende ausbremsen.
Als Departementschef hat man einen gewissen Einfluss. Doch dann folgt in der Regierung, aber auch im Parlament, immer eine offene Debatte. Um den eingeschlagenen Weg der Energiewende zu verlassen, müsste die gesamte Regierung ihre Meinung ändern. Das halte ich nicht für realistisch. Die Schweiz ist ein Land mit grosser Kontinuität, seit bald 175 Jahren. Dazu zählt auch die Politik des Bundesrats.

Viele sehen die Kontinuität in Gefahr, weil neu vier Lateiner im Bundesrat sitzen werden. Müssen sich die Deutschschweizer fürchten?
Das Parlament hat sich für diese Zusammensetzung des Bundesrats entschieden – in Kenntnis aller Faktoren. Diese Regierung hat sich immer wieder verändert, ohne die Kontinuität zu gefährden. Unsere Institutionen sind sehr beständig. Das ist auch unsere Stärke. Zudem sind wir heute alle derart stark vernetzt, dass die regionale Herkunft kaum mehr eine Rolle spielt. Dasselbe gilt für den Stadt-Land-Faktor. Ich wohne ja selber in einem kleinen Dorf, mit einer Käserei direkt gegenüber – gleichzeitig zählt es zur Agglomeration Freiburg mit seinen rund 100'000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Zudem habe ich fast mein ganzes Berufsleben in Städten verbracht. Wir passen heute nicht mehr in solche Schablonen, alles ist offen und bewegt sich. Ich kann hier wirklich kein Problem erkennen.

Der Corona-Minister

Als Gesundheitsminister war Alain Berset (50) in den Corona-Jahren omnipräsent. Obwohl er für die Massnahmen des Bundesrats immer wieder heftig kritisiert wurde, zählt er in der Bevölkerung nach wie zu den beliebtesten Regierungsmitgliedern. Im Parlament hingegen steigt der Druck auf ihn. Der frühere SP-Ständerat wurde 2012 in den Bundesrat gewählt und leitet seither das Innendepartement. Er lebt im Kanton Freiburg, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Als Gesundheitsminister war Alain Berset (50) in den Corona-Jahren omnipräsent. Obwohl er für die Massnahmen des Bundesrats immer wieder heftig kritisiert wurde, zählt er in der Bevölkerung nach wie zu den beliebtesten Regierungsmitgliedern. Im Parlament hingegen steigt der Druck auf ihn. Der frühere SP-Ständerat wurde 2012 in den Bundesrat gewählt und leitet seither das Innendepartement. Er lebt im Kanton Freiburg, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Dennoch wird gerade von bürgerlicher Seite betont, dass eine Lateiner-Mehrheit im Bundesrat nur für eine Übergangszeit bestehen dürfe. Damit wird auf Sie Druck ausgeübt, Ihren Platz in absehbarer Zeit zu räumen.
Nochmals: Das Parlament hat sich für diese Zusammensetzung entschieden. Das war ein bewusster Entscheid, den es zu respektieren gilt. Die Institutionen in der Schweiz sind deshalb so akzeptiert, weil sie grosse Ruhe und Stabilität geben. Man muss dieser Regierung nun die Chance geben, sich zu entwickeln.

Apropos Chance: Sie sind Stellvertreter von Bundesratskollege Ignazio Cassis im Aussendepartement, wo das Verhältnis zur EU das grosse Thema bleibt. Sehen Sie hier ebenfalls die Chance auf einen baldigen Durchbruch?
Stabile Beziehungen zur EU sind für uns von zentraler Bedeutung. Das ist nicht immer einfach. Mit dem bilateralen Weg sind wir aber stark integriert. Man kann es drehen und wenden wie man will: Geografisch liegen wir mitten auf dem europäischen Kontinent. Die laufenden Sondierungsgespräche haben tatsächlich zu Entwicklungen geführt.

Letzte Frage: Sie haben in diesem Jahr mit Ihrer Fliegerei für Schlagzeilen gesorgt. Haben Sie noch andere geheime Hobbys?
Nicht ganz so spektakuläre. Ich segle auch sehr gerne. Ich hatte schon immer ein Interesse an Verkehrsmitteln. Als Kind hatte ich eine Modelleisenbahn, und mein Ziel war es, Lokführer zu werden. Das habe ich aber verpasst.

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