Die Nervosität im bürgerlichen Lager, insbesondere bei den Bauern, ist gross. Am 13. Juni kommen die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative zur Abstimmung. Die Annahme einer der beiden Initiativen – oder beider – würde die Schweizer Landwirtschaft umpflügen.
Die Initiativen werden meist im selben Atemzug genannt, weil sie ein ähnliches Ziel verfolgen. Bundesrat und Parlament haben sie darum auch stets gemeinsam beraten. In ihren konkreten Forderungen unterscheiden sich die Volksbegehren aber beträchtlich. BLICK liefert den Überblick.
Worum geht es bei der Trinkwasser-Initiative?
Die Trinkwasser-Initiative hat eine nachhaltigere Landwirtschaft zum Ziel. Dazu soll der Landwirtschafts-Artikel in der Bundesverfassung ergänzt werden. Bauern sollen selbst entscheiden, ob sie weiterhin Pestizide einsetzen wollen oder nicht. Doch diejenigen Landwirte, die weiter Pestizide nutzen, sollen keine Direktzahlungen mehr erhalten. Eine weitere Bedingung für die Subventionen: Landwirte dürfen nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird. Auch der Zukauf von Futter hätte zur Folge, dass es kein Staatsgeld mehr gibt. Drittens würden Direktzahlungen auch gestrichen, wenn ein Betrieb in der Tierhaltung zur Vorbeugung von Krankheiten Antibiotika einsetzt.
Wer steckt hinter der Trinkwasser-Initiative?
Hinter der Initiative steht die Berner Fitnesstrainerin Franziska Herren. Sie wie auch die weiteren Mitglieder des Initiativkomitees sind parteilos. Für die Initianten bedroht die heutige Landwirtschaft die Qualität unseres Wassers. So überschreiten in Landwirtschaftsgebieten Pestizid- und Nitrat-Konzentrationen im Grundwasser die geltenden Grenzwerte zum Teil deutlich.
Worum geht es bei der Pestizid-Initiative?
Wie ihr Name sagt, bekämpft die Pestizid-Initiative die synthetischen Pflanzenschutzmittel – und zwar nicht nur diejenigen, die in der Landwirtschaft versprüht werden. Die Initiative sagt auch dem Einsatz von Pestiziden in der Lebensmittelverarbeitung sowie in der Boden- und Landschaftspflege den Kampf an. Also auch im heimischen Garten dürfte man keine chemischen Unkrautvernichter mehr einsetzen.
Ausserdem verbietet die Initiative den Import von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt wurden. Geändert werden soll dazu Artikel 74 in der Bundesverfassung, in dem es um den Umweltschutz geht.
Wer steckt hinter der Pestizid-Initiative?
Die Initiative ist vom Neuenburger Verein Future 3 lanciert worden, der sich als «apolitische und unabhängige Bewegung» bezeichnet. Mitglieder sind unter anderen ein Winzer, ein Biologie-Professor und ein Lebensmittelhändler.
Was ist der Unterschied zwischen den Initiativen?
Die Initiativen verfolgen zwar ein ähnliches Ziel, doch in ihren konkreten Forderungen unterscheiden sie sich in wesentlichen Punkten. Der wichtigste: Die Pestizid-Initiative betrifft im Gegensatz zur Trinkwasser-Initiative nicht nur die inländische Produktion, sondern auch die Importe.
Die Pestizid-Initiative hätte zudem nicht nur direkte Folgen für die Bauern. Sie wird deshalb oft als extremer bezeichnet.
Allerdings: Die Trinkwasser-Initiative beschränkt sich zwar auf die Landwirtschaft, geht aber innerhalb dieses Bereichs weiter als die Pestizid-Initiative. So reguliert sie nicht nur den Pestizid-Einsatz, sondern schränkt die Bauern auch bei Antibiotika und beim Futter ein.
Die Pestizid-Initiative verbietet Pestizide zwar komplett, allerdings beschränkt sich das Verbot laut Initiativtext ausdrücklich auf «synthetische Pestizide». Diese Einschränkung fehlt im Initiativtext der Trinkwasser-Initiative. Die Initianten sagen allerdings, dass auch sie nur synthetische Pestizide meinen, also im Labor hergestellte. Laut ihnen dürfen Pflanzenschutzmittel, die Biobetriebe einsetzen, weiterhin verwendet werden. Im Falle einer Annahme wäre es Sache des Parlaments, dies genauer festzulegen.
Bis wann müssten die Initiativen umgesetzt werden?
Beide Initiativen sehen lange Umsetzungsfristen vor. Die Trinkwasser-Initiative müsste innerhalb von acht Jahren nach der Annahme realisiert werden, die Pestizid-Initiative innerhalb von zehn Jahren.
Was ist, wenn die Initiativen abgelehnt werden? Gibt es einen Gegenvorschlag?
Bund und Parlament wollten den Initianten nicht mit einem Gegenvorschlag entgegenkommen, der das Hauptanliegen der beiden Vorlagen aufgenommen hätte, aber weniger weit ginge als die Initiativen. Es gibt aber eine Art inoffiziellen Gegenvorschlag, den die Wirtschaftskommission des Ständerats aufgegleist hat, um den Initiativen Wind aus den Segeln zu nehmen – denn deren Anliegen stossen in der Bevölkerung auf Sympathie.
Konkret hat sich das Parlament auf Folgendes geeinigt: Neu ist gesetzlich festgeschrieben, dass in der Schweiz die Umweltrisiken, die mit dem Einsatz von Pestiziden verbunden sind, reduziert werden müssen – bis 2027 um 50 Prozent im Vergleich zum Mittel der Jahre 2012 bis 2015. Ist absehbar, dass man das nicht schafft, muss der Bundesrat handeln. Wie genau, wird aber offengelassen.
Ausserdem will das Parlament auch etwas gegen die Überdüngung tun. Deren Folge ist, dass Pflanzen gar nicht alle Nährstoffe aufnehmen können und Überreste in der Umwelt landen. Diese Nährstoffverluste sollen ebenfalls reduziert werden – um wie viel genau, steht aber nicht im Gesetz. Diese Gesetzesänderungen treten so oder so in Kraft, egal wie es am 13. Juni ausgeht. Wann genau, steht allerdings noch nicht fest.
Wie stehen die Bauern zu den Initiativen?
Der Bauernverband wehrt sich heftig gegen die beiden Volksbegehren und warnt, sie hätten gravierende Auswirkungen. Und dies nicht nur für Bauernfamilien, sondern auch für die Konsumenten. Allerdings ist es nicht so, dass die Bäuerinnen und Bauern geschlossen gegen beide Initiativen kämpfen.
Besonders die Pestizid-Initiative stösst durchaus auf Unterstützung, weil sie nicht nur die Schweizer Bauern, sondern auch die Importe betrifft. Der Dachverband der Schweizer Ökoproduzenten Bio Suisse, die Kleinbauern-Vereinigung und die Westschweizer Bauerngewerkschaft Uniterre unterstützen die Pestizid-Initiative.
Bei der Trinkwasser-Initiative ist der Widerstand deutlich grösser. Grund dafür ist nicht nur, dass sie bei den Pestiziden nur die Schweizer Landwirte ins Visier nimmt, sondern auch, weil sie auch Futtermittelimporte verbieten würde. Nebst dem Bauernverband ist auch Uniterre gegen die Initiative. Die Kleinbauern-Vereinigung hat Stimmfreigabe beschlossen, Bio Suisse entscheidet erst im April. Dessen Vorstand hat aber ein Nein empfohlen.
Abgesehen von den Bauern: Wer ist sonst noch dagegen – und warum?
SVP, Die Mitte und FDP stellen sich klar gegen beide Initiativen. Wobei die Freisinnigen die Nein-Parole zur Trinkwasser-Initiative nur knapp gefasst haben. Auch der Bundesrat ist gegen beide Vorlagen. Aus Sicht der Gegner gehen beide Volksinitiativen zu weit. Damit schränke man die Landwirtschaft in der Schweiz so stark ein, dass sie nichts mehr produzieren könne, sagt beispielsweise Mitte-Präsident Gerhard Pfister (58). Die Folge der Trinkwasser-Initiative wären mehr Importe, warnt SVP-Präsident Marco Chiesa (46). Das sei für die Umwelt kein Gewinn. Die Pestizid-Initiative würde derweil zu erheblich höheren Lebensmittelpreisen führen, ist er überzeugt.
Wer sind die Befürworter und was sind ihre Argumente?
SP, Grüne und EVP unterstützen beide Initiativen. Die Grünliberalen sind für die Trinkwasser-Initiative, haben aber bei der Pestizid-Initiative Stimmfreigabe beschlossen. Aus der Sicht der Befürworter ist es höchste Zeit zu handeln. Zum Beispiel, um die Artenvielfalt zu erhalten und das Trinkwasser zu schützen. Den inoffiziellen Gegenvorschlag des Parlaments finden sie zu wenig verbindlich. Eine Trendwende in der Pestizidpolitik sei überfällig, argumentieren die Grünen. Denn Pestizide und Überdüngung würden die Umwelt zu stark belasten. Auch die EVP findet eine «Ökologisierung der Landwirtschaft» dringend notwendig.