Biobauer gegen Biobauer
2:15
Knatsch um Trinkwasser-Vorlage:Biobauer gegen Biobauer

Fundis und Realos sind sich nicht grün
Trinkwasser-Initiative spaltet die Bio-Bauern

Der Verband der Biobauern sagt Nein zur Trinkwasser-Initiative – obwohl diese mehr Bio fordert. Das zerreisst die Branche, wie der Besuch bei zwei Landwirten zeigt.
Publiziert: 23.04.2021 um 01:54 Uhr
|
Aktualisiert: 09.05.2021 um 17:52 Uhr
1/20
Bio-Bauer Bernhard Hänni hat keinen Bock mehr auf Biosuisse.
Foto: Thomas Meier
Noa Dibbasey

Mit 73 zu 20 Stimmen sagte Biosuisse am Mittwoch vor einer Woche Nein zur Trinkwasser-Initiative. Noch gleichentags machte sich Bernhard Hänni (43) auf den Weg zur Post. In seiner Hand: die Kündigung seiner Mitgliedschaft beim Verband der Bio-Bauern. Dass ausgerechnet dieser sich gegen mehr Bio stellt, macht den sonst so gmögigen Bio-Landwirt stinksauer.

Auf Hännis Hof in Nofeln BE wird Bio grossgeschrieben. Dabei geht er weiter, als es die Vorschriften verlangen. Pflanzenschutzmittel braucht er gar nicht – einzig Mikrobenpräparate setzt er ein. Diese würden ein gesundes Bodenmilieu schaffen, sodass Schadorganismen gar nicht erst entstehen, wie er versichert.

Hänni denkt um und rettet Leben

Und das ohne Ertragsverluste? «Ja», beteuert er, «und sogar mit weniger Aufwand!» Hänni muss sich weder um Dünger noch um biologische Pflanzenschutzmittel kümmern, um seine über 140 Gemüsesorten zu pflegen: «Ich muss nur früher zu denken beginnen und ausgeklügeltere Prozesse anwenden.» Dazu gehöre, ausgetretene Pfade zu verlassen und die Lehrmeinung zu hinterfragen.

So funktioniert das ökologische System auf Hännis Hof im Berner Oberland ganzheitlich – er achtet penibel darauf, kein Leben abzutöten. «Bio heisst schliesslich fürs Leben», erklärt er, während ihm ein Bienchen um den Kopf fliegt. Er mache nur genau das, was Biosuisse in der Werbung erzählt: «Mensch, Tier und Natur sind im Gleichgewicht!»

«Biosuisse gaukelt eine heile Welt vor!»

Auf vielen Bio-Höfen sehe es ganz anders aus. Die Biosuisse-Richtlinien seien mittlerweile von Ausnahmen nur so gespickt, stänkert Hänni. Durfte ein Bauer in den 90er-Jahren nur 2000 Hühner halten, so sind es heute 4000. Ausserdem erlaubt der Verband Bio-Spritzmittel, die laut Hänni alles andere als harmlos seien und Ökosysteme zerstören könnten. «Und der Kundin wird eine heile Welt vorgegaukelt!» Die Nein-Parole zur Trinkwasser-Initiative war insofern nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – Hänni konnte nicht länger Mitglied bleiben.

Darum gehts bei den Pestizid-Initiativen

Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.

Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.

Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.

Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.

Franziska Herren ist der Kopf hinter der Trinkwasser-Initiative.
Peter Mosimann

Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.

Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.

Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.

Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.

Auch vielen seiner Kollegen ginge es ähnlich. Ausgetreten aus dem Verband ist er jedoch als Einziger – die Angst, im Dorf geschnitten zu werden, sei bei vielen Bio-Bauern gross. Unterstützen wollen sie die Initiative aber trotzdem: Zusammen mit über 40 anderen enttäuschten Bio-Bäuerinnen und -Bauern sitzt Hänni in einem bäuerlichen Komitee, das sich für das Anliegen einsetzt.

«Frau Herren legt keine klaren Fakten auf den Tisch!»

Darin kämpfen sie gegen Bio-Bauern wie Heinz Höneisen (62), die Nein sagen zur umstrittenen Initiative. «Natürlich müssten wir alle Ja stimmen», gibt Höneisen zu – Biosuisse befürworte ja schliesslich auch die Pestizid-Initiative. «Frau Herren aber legt einfach keine klaren Fakten auf den Tisch!» Damit meint er den Kopf hinter der Trinkwasser-Initiative, die Berner Fitnesstrainerin Franziska Herren (51).

Auch für Höneisen ist der Kampf gegen die Vorlage «mit dem perfekten Titel» eine ideologische Auseinandersetzung. «Für mich würde sich bei einem Ja nichts ändern», sagt der Gemüsebauer aus Andelfingen ZH. Doch Bio-Eier-Produzenten zum Beispiel müssen oft Futter zukaufen, weil sie selbst keine Getreideäcker besitzen. Im Initiativtext aber steht, dass man nur Futter vom eigenen Hof verwerten darf.

Höneisen ist sicher: Bei einem Ja kämen viele unter die Räder. «Die Chips- und Pommes-frites-Industrie wird zusammenfallen – Bio-Produktionen haben keine Chance, so viele Kartoffeln zu produzieren, wie verlangt werden», warnt er. Das müsse dann alles importiert werden. «Mit Bio ist nicht alles möglich – da müssen erst noch Lösungen entwickelt werden.»

Heile Welt versus Fabrik-Bauernhof

Bernhard Hänni hat genau diese Lösungen für sich entwickelt. Doch Höneisens Realität ist eine andere. Er beliefert Grosskunden wie Coop, Migros und Lidl – Hänni hingegen produziert auf seinem sieben Hektar grossen Hof für Einzelkunden und seinen Bio-Stadthofladen in Thun BE.

«Er lebt in einer anderen Welt», mutmasst Höneisen. Nicht, dass diese schlechter sei – die Schweiz könne man so aber nicht ernähren. «Wir hingegen sind eine kleine Fabrik!», sagt er mit Blick auf seine 70 Hektaren.

Bio-Bauer trotz allen «Achs und Abers»

Auch er hänge an seinem Boden, möchte, dass die Natur intakt bleibt. Deswegen ist er vor zehn Jahren auf Bio umgestiegen – mit allen «Ach und Abers». «Es ist nicht nur heile Welt, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.»

Sein Aufwand jedoch sei seit der Umstellung auf Bio massiv gestiegen, die Lohnkosten explodiert. «Der konventionelle Bauer kann einmal ein 200 Franken teures Mitteli sprühen, das Unkraut vernichtet und Rüebli schont.» In Bio-Betrieben jäte man alles von Hand. Das daure bei 12 Hektaren reiner Rüebli-Fläche ewig. 400 Arbeitsstunden brauche es, einen Hektar zu bearbeiten. «Und ich zahle meine Arbeiter anständig», versichert er.

«Ich möchte mich aber nicht nur beschweren», relativiert Höneisen, der im Zürcher Biosuisse-Vorstand sitzt. Seit dem 13. Jahrhundert bauert sein Geschlecht im Zürcher Weinland. Höneisen ist Bauer aus Leidenschaft, freut sich an der Natur, am Fischreiher, der am Morgen über sein Feld fliegt. «Das ist mehr als ein Beruf – das ist eine Lebenserfüllung!»

Zank um die Bio-Preise

Doch Höneisen ist nicht nur Bio-Bauer, sondern auch Geschäftsmann. «Ihr müsstet mal bei einer Verhandlung mit einem Grossverteiler dabei sein», sagt er. Für faire Preise müsse man kämpfen wie ein Löwe. Die Angst vieler Bio-Bauern: Bei einem Ja zur Trinkwasser-Initiative fluten noch mehr Bio-Produkte den Markt und die Preise sinken weiter.

Genau diese Angst kritisiert Hänni – der Markt sollte endlich geöffnet werden, findet er. «Wir müssen aufhören, die Bio-Preise künstlich hochzuhalten!» Dann nämlich entstünde automatisch ein grösserer Markt für die Produkte.

Auch Hänni ist bewusst, dass die Händler in die Pflicht genommen werden müssten – die Margen von Grossverteilern wie Coop oder Migros seien riesig. Dennoch müssten die Landwirte auch bei sich selbst ansetzen.

«Herr Ritters Bande braucht ein Schutt i Arsch»

Das gesunde Trinkwasser, welches die Initiative fordert, sei schon seit Jahrzehnten Ziel der Landwirtschaftspolitik – doch man erreiche es einfach nicht. «Die Leute glauben Bauernpräsident Ritter seine Versprechen langsam nicht mehr – die Schweizer wollen ihre Steuergelder nicht mehr in ein System geben, das unsere Ökosysteme zerstört.»

Die Initiative zwinge die Landwirte, sich endlich anzupassen, ist sich Hänni sicher. «Dann müssen sie sich endlich mal in eine nachhaltige Richtung weiterentwickeln!» Die Trinkwasser-Initiative gebe ihnen den lang ersehnten «Schutt i Arsch» dafür. Und: Die Initiative verbiete ja nichts – sondern lenke die Steuergelder in eine gewünschte nachhaltige Entwicklung der Produktion.

Höneisen nimmt Konsumenten in die Pflicht

Nicht die Schweizer Landwirtschaft hat es verpasst, ökologisch zu produzieren – die Konsumenten seien schuld, kontert Höneisen. «Jetzt subito auf Bio umstellen, obwohl alle wissen, dass man die Produkte nicht loswird – das ist Blödsinn!» Denn: Von 100 Leuten im Laden kauften nur 15 Bio-Produkte. «Die Bio-Gestelle sind immer bumsvoll.»

Wer Ja stimmen wolle, solle besser auf den eigenen Konsum achten, appelliert Höneisen. «Bio-Käufer verschmutzen das Trinkwasser nämlich schon jetzt nicht!» Da müsse der Wandel anfangen – denn würden die Regale leergekauft, würde sich der Markt auch automatisch regulieren und «Bio-Bauern wie Pilze aus dem Boden schiessen».

Mehr Bio: Das wollen sie beide. Nur die Frage, wie sich das in der Schweiz noch stärker etablieren soll, zerreisst die Gemüsebauern. Der eine will das über den Konsumenten erreichen, der andere über die Landwirte selbst. Welchen Pfad die Schweiz wählt, entscheidet sich am 13. Juni.


Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?