Gegen grünere Landwirtschaft
Bürgerlichen-Blockade gibt Pestizid-Initiativen Auftrieb

Die Bürgerlichen schlagen die Warnung von SVP-Bundesrat Guy Parmelin in den Wind. Die Agrarreform wird auf die lange Bank geschoben. Die Grünen ärgerts und freuts zugleich.
Publiziert: 16.03.2021 um 19:22 Uhr
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Aktualisiert: 06.05.2021 um 19:18 Uhr
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Kann einen Etappensieg verbuchen: Bauernverbands-Präsident Markus Ritter.
Foto: Keystone
Lea Hartmann

Für Guy Parmelin (61) ist es eine Niederlage, die schmerzt. Seit seinem Wechsel ins Wirtschaftsdepartement Anfang 2019 hat er an einem mehrheitsfähigen Vorschlag geackert, wie die Landwirtschaft grüner getrimmt werden kann. Nun erteilt das Parlament seinen Plänen aber eine Abfuhr: Nach dem Ständerat hat am Dienstag auch der Nationalrat wesentliche Teile der Vorlage auf Eis gelegt.

Mit 100 zu 95 Stimmen war der Entscheid knapp. Volle Unterstützung bekam der SVP-Bundesrat nur von SP, Grünen und GLP. Und das, obwohl der gelernte Weinbauer warnte: Ein Aufschieben des Agrarpakets 22+ laufe nicht nur dem Interesse der Landwirtschaft, sondern dem ganzen Land zuwider. So dürfte das Massnahmenbündel nicht vor 2025 in Kraft treten.

Auftrieb für Pestizid-Initiativen

Der unter grossem Druck der Agrarlobby zustande gekommene Entscheid könnte sich für die Bauern als Bumerang erweisen: Am 13. Juni kommen die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative an die Urne. Erstere will den Landwirten die Subventionen streichen, wenn sie Pestizide verwenden oder Futtermittel zukaufen. Die Pestizid-Initiative wiederum will Pestizide komplett verbieten. Aus Sicht Parmelins hätte das Parlament mit der Zustimmung zur AP 22+ ein «wichtiges Signal» ausgesandt, mehr auf Ökologie zu setzen. Das hätte den beiden Initiativen Wind aus den Segeln genommen. Jetzt aber geschieht das Gegenteil: Die beiden Initiativen erhalten Rückenwind.

Die Grünen-Nationalrätin Regula Rytz (59) freut das zwar. Ihre Partei setzt sich für die Initiativen ein. Dennoch überwiegt bei ihr die Enttäuschung. Sie wirft der bürgerlichen Bauernlobby «Diskussionsverweigerung» vor. «Klimawandel, schwindende Artenvielfalt, pestizidverseuchtes Trinkwasser: Es gibt einen enormen Handlungsbedarf. Fortschrittliche Bauernfamilien wollen Lösungen statt Blockaden», sagt die Bernerin.

Selbstversorgungsgrad würde sinken

Aus Sicht der Grünen betreibt der Bauernverband Rosinenpickerei. Er wehrt sich gegen höhere Auflagen, um Subventionen zu erhalten. Mithelfen, dem Klimawandel zu begegnen, will der Verband somit nicht. Eine staatliche Ernteausfall-Versicherung, die die Folgen der Klimakrise für die Bauern abfedert, aber schon. Mit dieser kann es den Bauern gar nicht schnell genug gehen.

Bauernverbandspräsident Markus Ritter (53) wehrt sich, Parmelins Massnahmenpaket sei mangelhaft. «Wir können nicht akzeptieren, dass die Einkommen der Bauernfamilien um 265 Millionen Franken zurückgehen.» Zudem will er nicht, dass der Selbstversorgungsgrad bei den Lebensmitteln um sieben Prozent sinkt.

Ist das Klimaziel so noch zu erreichen?

Der Bundesrat hatte mit der Agrarpolitik 22+ die landwirtschaftlichen Treibhausgas-Emissionen bis ins Jahr 2030 um bis zu 25 Prozent reduzieren wollen. Während bei der Industrie, im Verkehr und mit Gebäudesanierungen schon viel unternommen wird, passiert somit bei der Landwirtschaft weiterhin wenig. Laut Parmelins Plan wären Bauern, die weniger Dünger verwenden, beispielsweise belohnt worden. Und sie hätten Kredite für den Kauf ökologischerer Maschinen erhalten. Die Senkung des Treibhausgas-Ausstosses um einen Viertel sei nun nicht mehr erreichbar, kritisiert Rytz.

Mitte-Nationalrat Ritter hingegen verweist auf das CO2-Gesetz, über das wie über die Pestizid-Initiativen Mitte Juni abgestimmt wird. Darin seien ja auch verbindliche Ziele für die Landwirtschaft fixiert, sagt er.

Zudem weist er auf die bereits gefassten Beschlüsse des Parlaments hin, das Pestizid- und Überdüngungs-Problem separat anzugehen. Diese Gesetzesänderung geht allerdings weniger weit, als es die Agrarpolitik 22+ vorgesehen hätte. So will das Parlament zum Beispiel beim Dünger keine konkreten Reduktionsziele festlegen. Ritter begründet das damit, dass die konkreten Zahlen durch den Bundesrat in der Verordnung und nicht im Gesetz festgelegt werden sollen. Den Linken ist das zu wenig verbindlich.

FDP stärkt Bauernlobby den Rücken

Die Bauernlobby kann im Parlament aktuell auf den Support der FDP zählen. Eine Mehrheit der Freisinnigen spricht sich für die Sistierung der Reform aus. Vom Öko-Kurs, auf den die Partei vor Monaten umgeschwenkt ist, scheint sie bereits wieder Abstand zu nehmen – und das, obwohl die Unterstützung für die Trinkwasser-Initiative innerhalb der FDP recht gross ist. Nur knapp haben die Delegierten im Februar die Nein-Parole beschlossen. Auch die Bauern sind keineswegs so geeint gegen die Initiativen, wie der Bauernverband den Anschein erwecken will.

Das Hinausschieben ökologischer Reformen in der Landwirtschaft könnte so am 13. Juni zu einer bitteren Niederlage für den Bauernverband führen.

Darum gehts bei den Pestizid-Initiativen

Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.

Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.

Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.

Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.

Franziska Herren ist der Kopf hinter der Trinkwasser-Initiative.
Peter Mosimann

Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.

Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.

Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.

Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.

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