Gemeinden haben ein massives Pestizid-Problem
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Wasser plötzlich unbrauchbar:So stark ist die Belastung durch Pestizide

Grundwasser bedroht, Trinkwasser könnte teurer werden
Gemeinden haben ein massives Pestizid-Problem

BLICK-Recherchen zeigen, in welchen Gemeinden das Grundwasser am stärksten mit Pestiziden belastet ist. Einige Wasserversorger haben Sofortmassnahmen ergriffen. Doch nicht überall ist eine Lösung des Pestizid-Problems in Sicht.
Publiziert: 30.08.2020 um 23:01 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 13:09 Uhr
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In diesen Gemeinden wird der Grenzwert für Chlorothalonil-Abbaustoffe um mindestens das Fünffache überschritten.
Lea Hartmann

Es sind Daten, welche die Behörden einiger Kantone und Gemeinden am liebsten unter Verschluss halten würden. Dabei betreffen sie unseren wichtigsten Rohstoff: Wasser.

Vielerorts ist das Grundwasser, die mit Abstand bedeutendste Trinkwasser-Ressource in der Schweiz, stark mit Pestiziden und deren Abbaustoffen belastet. Eines der grössten derzeitigen Probleme ist Chlorothalonil – ein Mittel gegen Pilzbefall, von dem Bauern während Jahrzehnten Dutzende Tonnen pro Jahr auf die Felder sprühten. Seit Anfang Jahr ist das Fungizid in der Schweiz verboten, weil es auch hierzulande – nach der EU – als möglicherweise krebserregend eingestuft wird.

Syngenta verpasst Bundesamt Maulkorb

Sagen darf das der Bund seit vergangenem Freitag allerdings nicht mehr. Pestizidhersteller Syngenta hat erreicht, dass dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) vorübergehend ein Maulkorb verpasst wird. Der Konzern hat vor Bundesverwaltungsgericht gegen das Pestizidverbot geklagt. Ein Urteil steht noch aus. Bis es vorliegt, darf das BLV das Krebsrisiko auf seiner Homepage nicht mehr erwähnen, wie das Gericht jetzt entschieden hat.

Die Klage zeigt: Die Pestizidproduzenten fürchten um das Geschäft mit dem Gift. Besonders nervös sind sie, weil nächstes Jahr zwei wegweisende Volksbegehren zur Abstimmung kommen: die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative. Diese wollen die Verwendung von Pestiziden massiv einschränken oder sogar komplett verbieten.

Grundwasserqualität «erheblich beeinträchtigt»

Aktuelle Untersuchungen geben den Anliegen Auftrieb. Im Mai hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) erstmals Zahlen zur Chlorothalonil-Belastung des Schweizer Grundwassers veröffentlicht. Sie sind besorgniserregend: In 15 Kantonen würden die Chlorothalonil-Abbauprodukte die Grundwasserqualität «erheblich beeinträchtigen», so der Bund. Dabei liegen noch gar nicht für alle Abbaustoffe Daten vor. Betroffen sind vor allem Kantone im landwirtschaftlich intensiv genutzten Mittelland.

Die Daten, die der Bund öffentlich macht, sind allerdings spärlich. BLICK hat deshalb, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, bei den Kantonen, welche Grenzwertüberschreitungen verzeichnen, detaillierte Ergebnisse der Grundwassermessungen angefordert. Denn lediglich zwei haben die Ergebnisse bislang von sich aus veröffentlicht: Wallis und Bern.

Zürich verweigert Herausgabe der Daten

Vielen anderen Kantonen ist das zu heikel. Vorgeschoben wird, dass die Grundwasserdaten nicht aussagekräftig seien, weil von ihnen nicht automatisch auf die Trinkwasserqualität geschlossen werden könne. Der Kanton Aargau hat sich deshalb bislang standhaft geweigert bekannt zu geben, welche Gemeinden betroffen sind.

Nun aber hat der Kanton die Daten auf Insistieren von BLICK hin erstmals herausgerückt. Weiter im Ungewissen gelassen wird die Bevölkerung im Kanton Zürich. Die Baudirektion unter Grünen-Regierungsrat Martin Neukom (34) weigert sich, die Daten herauszugeben, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet wäre.

Grenzwert um ein Vielfaches überschritten

Die vorliegenden Daten zeigen, wie stark das Grundwasser mancherorts mit Pestiziden belastet ist. Durch das Chlorothalonil-Verbot gilt für alle Abbaustoffe des Pestizids ein Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. In Fischbach LU ist der Grenzwert bei einem Chlorothalonil-Abbauprodukt 2019 um das 17-Fache überschritten worden. In Baggwil im Berner Seeland hat man eine 15-fache Überschreitung gemessen. Auch an einzelnen Orten im Aargau, dem Wallis, Freiburg, Solothurn sowie an weiteren Messstellen in Luzern und Bern wurden Werte gemessen, die den Grenzwert mindestens um das Fünffache übersteigen.

Nicht immer wird aus diesem Grundwasser Trinkwasser gewonnen, allerdings in über der Hälfte dieser Fälle. Die Ergebnisse sind deshalb – auch wenn es einige Behörden anders sehen – zweifellos von öffentlichem Interesse.

Privileg der Schweiz ist in Gefahr

Die Wasserversorger und Gemeinden sind angesichts der Resultate besorgt. Der grösste Teil des Grundwassers könne heute ohne Aufbereitung direkt als Trinkwasser genutzt werden, sagt Martin Sager, Direktor des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW). «Dieses Privileg ist in Gefahr.»

Der Verein betont, dass der Höchstwert für Pestizidwirkstoffe in der Schweiz vorsorglich tief angesetzt ist. Laut BLV bestehe bei den aktuell gefundenen Konzentrationen darum «kurzfristig keine Gefahr für die Gesundheit». Die langfristige Wirkung aber ist nicht bekannt, weshalb solche Stoffe im Trinkwasser nicht erwünscht seien.

Gemeinden müssen handeln – aber wie?

Die Wasserversorger müssen deshalb handeln. Und viele haben das auch bereits getan. Einige haben betroffene Pumpwerke vorübergehend vom Netz genommen, andere können das verunreinigte Grundwasser mit sauberem Wasser aus einer anderen Quelle mischen. Nicht überall sind solche Sofortmassnahmen allerdings möglich. Zum Beispiel in Fräschels FR: Es sei nicht möglich, aus anderen Gemeinden Wasser zu beziehen, teilte die Gemeinde Anfang Juni mit. «Alle haben das gleiche Problem wie wir.» Die Gemeinde hat nun, wie alle anderen betroffenen Wasserversorger, gemäss Weisung des Bundes maximal zwei Jahre Zeit, eine andere Lösung zu finden.

Viele Gemeinden stehen damit von einem Tag auf den anderen vor einer immensen Herausforderung. Jahrzehntelang waren Chlorothalonil-Abbaustoffe im Wasser kein Problem. Nun gelten sie plötzlich als potenziell gefährlich und müssen weg. Doch sie sind sehr langlebig. Auch wenn Chlorothalonil nun verboten ist, werden dessen Abbaustoffe noch Jahre das Grundwasser belasten – und damit auch das Trinkwasser.

Wasser dürfte teurer werden

Kommt hinzu, dass die Stoffe mit den verbreiteten Aufbereitungsverfahren kaum aus dem Wasser zu bekommen sind. Alternative Methoden sind teuer. Für die Kosten muss am Ende die Bevölkerung aufkommen. Ein Gemeinderat einer betroffenen Gemeinde schätzt, dass das Chlorothalonil-Verbot schliesslich dazu führen könnte, dass pro Haushalt 100 bis 150 Franken pro Jahr mehr fällig werden.

Aus Sicht der Wasserversorger ist die Politik dringend gefordert. Auf nationaler Ebene sind mehrere Vorstösse hängig, die fordern, dass der Bund die Kosten nicht einfach auf die Gemeinden abwälzen kann. Zur Diskussion steht zudem, den Wasserversorgern mehr Zeit einzuräumen, um das Trinkwasser sauber zu bekommen. Ein Entscheid des BLV zu einer möglichen Verlängerung der Frist wird im Herbst erwartet. Denn vielerorts ist es völlig unrealistisch, innerhalb von zwei Jahren eine Lösung zu finden.

Wasserversorger hoffen auf nachhaltige Lösung

Oberstes Ziel der Wasserversorger ist aber, dass die Politik das Pestizidproblem an der Wurzel packt. «Das Problem kann nachhaltig nur mit einem besseren Schutz des Grundwassers als wichtigste Ressource für Trinkwasser gelöst werden», sagt SVGW-Direktor Sager. Die Wasserversorger hegen deshalb Sympathien für die Ziele der Trinkwasser-Initiative.

Denn die Chlorothalonil-Problematik dürfte sich zwar früher oder später entschärfen – sicher weil sich die Abbaustoffe im Wasser langsam verflüchtigen, möglicherweise auch weil Syngenta vor Gericht gewinnt. Sagers Befürchtung ist aber: In den nächsten Jahren könnte der Bund für weitere Abbaustoffe von Pestiziden den strengen Grenzwert festlegen, mit ähnlich gravierenden Konsequenzen für die Wasserversorger wie das Chlorothalonil-Verbot.

Darum gehts bei den Pestizid-Initiativen

Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.

Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.

Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.

Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.

Franziska Herren ist der Kopf hinter der Trinkwasser-Initiative.
Peter Mosimann

Mit der Trinkwasser- und der Pestizid-Initiative stimmt die Schweiz am 13. Juni über zwei Vorlagen ab, die sich thematisch sehr ähnlich sind.

Hinter der Trinkwasser-Initiative steht Fitnesstrainerin Franziska Herren (54). Sie will unter anderem, dass nur noch jene Bauern Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide verwenden. Landwirte dürfen zudem nur so viele Tiere halten, wie sie mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Betrieb produziert wird.

Die Pestizid-Initiative, die von einem Bürgerkomitee aus der Westschweiz eingereicht wurde, ist noch extremer und will ein komplettes Verbot synthetischer Pestizide – nicht nur für die Landwirtschaft. Es sollen auch keine Güter mehr importiert werden dürfen, bei deren Herstellung Pestizide zum Einsatz kamen.

Bundesrat und Parlament lehnen beide Initiativen ab.

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