Die Kantone Schaffhausen, Thurgau und Tessin bessern bei ihren Corona-Schutzmassnahmen nach. Weitere Kantone, wie etwa Solothurn, dürften folgen. Einzig der Kanton Aargau lässt sich vom Ultimatum von Bundesrat Alain Berset (48) nicht beeindrucken und trödelt weiter.
So verzichtete der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati (54, SVP) am Montag darauf, die kantonalen Corona-Massnahmen zu verschärfen. Von einer «dringlichen Notsituation», die Sofortmassnahmen erfordern würde, könne nicht die Rede sein, sagte er mit Verweis auf die Statistiken. Und er betonte, dass es im Kanton noch genügend freie Spitalbetten gäbe.
Genügend Betten, zu wenig Personal
Doch jetzt kommt Widerspruch aus dem eigenen Kanton. Ja, aus den eigenen Spitälern. Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Aarau, schlägt in der «Aargauer Zeitung» Alarm. Die Spitäler hätten keineswegs genügend Kapazitäten, korrigiert er.
Der Regierungsrat lege den Fokus auf die Betten und nicht auf das Personal, kritisiert Fux. Denn: «Beim gesamten Pflegepersonal und den Ärzten auf den Intensivstationen ist die Situation kritisch.» In allen anderen Bereichen sei sie gerade mal ausreichend. «Reserven zur Aufarbeitung der verschobenen Operationen fehlen damit im ganzen Kanton.»
Genügend Betten, aber zu wenig Personal – diese Formel gilt auch bei den Beatmungsplätzen. «Wenn Regierungsrat Gallati sagt, es gebe eine Reserve von 33 Prozent, stimmt das zwar», so Fux. «Aber die Betten sind trotzdem besetzt, weil zumindest bei uns am Kantonsspital Aarau jeder Intensivplatz auch ein Beatmungsplatz ist.» Wenn diese Betten voll seien, spiele es für das Spital keine Rolle, ob eine Person beatmet werde oder nicht. «Fakt ist, das Bett ist besetzt, der Beatmungsplatz entsprechend nicht frei.»
«Der Preis ist hoch»
Noch habe man die Situation an den Spitälern unter Kontrolle, räumt Fux zwar ein. So müsse man keine Patienten abweisen, die eine intensivmedizinische Behandlung oder eine dringliche Operation bräuchten, und auch kaum Patienten in ausserkantonale Spitäler verlegen. Der Kanton könne sich selbst versorgen.
«Aber der Preis dafür ist hoch», sagt Fux. So müssten derzeit zahlreiche nicht-dringliche Operationen verschoben werden. «Jedes Spital hat die Zahl der Eingriffe um zumindest einen Drittel oder gar die Hälfte heruntergefahren.» Diese Operationen müssten irgendwann nachgeholt werden. Und: «Auch das Pflegepersonal ist im Moment maximal belastet, um nicht zu sagen an der Grenze der Belastbarkeit.»
«Tonalität war fatal»
Fux kritisiert den Auftritt von Gallati und Kantonsärztin Yvonne Hummel denn auch massiv: «Für mich war die Tonalität fatal, weil sie keine Verhaltensänderung der Bevölkerung einforderten», sagt er im Interview. Von den Zielsetzungen des Bundes sei der Aargau weit entfernt. Bei durchschnittlich 300 neuen Fällen pro Tag nehme der Kanton täglich drei Todesfälle in Kauf. «Es braucht eine Debatte, ob dieser Preis für Freiheit und Wirtschaft gerechtfertigt ist. Insbesondere, weil wir schon bald impfen können.»
Der Regierungsrat müsse nun zumindest an die Selbstverantwortung der Aargauer appellieren, so Fux. Und: «Wir würden uns auch wünschen, dass sich bis am 23. Dezember nur noch Personen aus maximal zwei Haushalten treffen dürfen.» Und er hofft, dass mehr Menschen in einen freiwilligen «privaten Lockdown» gehen, im Homeoffice arbeiten und bis Weihnachten primär virtuelle Kontakte pflegen. (rus)