«Gehe davon aus, dass noch andere kommen werden»
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Bund aktiviert Rettungsschirm
«Wir wollen einen Flächenbrand verhindern»

Aufgrund der Verwerfungen an den europäischen Energiemärkten und der unvorhersehbaren weiteren Entwicklung hat der Bund der Axpo einen Überbrückungskredit von bis zu vier Milliarden bewilligt. Blick erklärt, was das bedeutet.
Publiziert: 06.09.2022 um 07:09 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2022 um 15:55 Uhr
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Energieministerin Simonetta Sommaruga will mit dem Rettungsschirm einen Flächenbrand verhindern.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Das ist ein Paukenschlag: Der Bundesrat aktiviert notfallmässig den Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmen. 10 Milliarden Franken beträgt der Verpflichtungskredit. Vier Milliarden davon werden nun als Kreditlinie der Axpo zur Verfügung gestellt. Dies, obwohl der Stromkonzern Gewinne schreibt.

Blick beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

Warum braucht Axpo einen Kredit?

Weil die Stromnachfrage grösser ist, als das Angebot, steigen die Preise. 2021 war ein harter Winter, in dem sich die Gaslager leerten. Dann gab es ein schlechtes Windjahr und in Frankreich läuft derzeit nicht einmal die Hälfte der Atomkraftwerke. Und dann kam obendrein noch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Seither spielen die Strompreise auf dem europäischen Markt verrückt. Vor allem, weil uns Wladimir Putin (69) den Gashahn zugedreht hat und die Angst gross ist, dass es im Spätwinter zu wenig Energie gibt. Das ist nun für die Axpo zum akuten Problem geworden, da der Preis für bereits früher günstiger verkaufte Megawattstunden enorm gestiegen ist und sie Sicherheitszahlungen leisten muss. Das ist mit einem enormen Liquiditätsbedarf verbunden. Um sicher zu sein, dass sie die Absicherungszahlungen auch künftig leisten kann, sichert sich die Axpo nun den Milliardenkredit.

Dazu muss man wissen: Strom, der erst noch produziert wird, wurde zu einem Grossteil schon vor drei Jahren verkauft. Zu einem aus heutiger Sicht viel tieferen Preis. Sollte ein Unternehmen den versprochenen Strom nicht liefern können, müsste dieser an der Börse zugekauft werden – zu den heute viel höheren Preisen. Diese Differenz verunsichert die Märkte. Die Börse fordert von der Axpo deshalb eine finanzielle Absicherung, welche die Firma später zurückerhält, wenn der versprochene Strom geliefert wird.

Der Bundesrat will nun mit dem Kreditrahmen von vier Milliarden verhindern, dass die Axpo angesichts der Verwerfungen an den Energiemärkten in Liquiditätsprobleme gerät, welche die Energieversorgung der Schweiz gefährden und allenfalls zu einem Dominoeffekt führen könnten, so dass auch andere Energiekonzerne Schwierigkeiten bekämen.

Derzeit verfügt die Axpo noch über zwei Milliarden Franken an liquiden Mitteln. «Geld ist bislang keines geflossen», sagte Sabine D’Amelio-Favez, Direktorin der Eidgenössischen Finanzverwaltung, an einer Medienkonferenz des Bundes. Die beschlossene Regelung erlaube der Axpo aber, kurzfristig Geld zu beziehen. Ob und wann die Firma Geld beziehe, hänge von der Strompreisentwicklung ab.

Warum braucht es Notrecht?

Eigentlich wollte der Bundesrat das Rettungsschirm-Gesetz schon in der Sommersession dringlich durch das Parlament peitschen. Davon wollten die Bundesparlamentarier aber nichts wissen. Der Ständerat hat dem Gesetz zwar bereits zugestimmt, der Nationalrat beschäftigt sich allerdings erst in der Herbstsession damit.

Angesichts der heiklen Situation dauert das zu lange. Deshalb hat der Bundesrat am Montag an einer ausserordentlichen Sitzung eine Notverordnung verabschiedet, welche sich am hängigen Gesetz orientiert.

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Die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte hat zudem den Verpflichtungskredit für subsidiäre Finanzhilfen zur Rettung systemkritischer Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft von 10 Milliarden Franken und einen Nachtrag zum Voranschlag 2022 von vier Milliarden Franken bewilligt.

Warum springt der Bund überhaupt ein?

Wenn die Axpo einen Kredit braucht, bekommt sie diesen normalerweise auf dem Kapitalmarkt. Das heisst bei den Banken. Doch diesen ist scheinbar das Risiko zu gross. Da die Energieunternehmen den Kantonen gehören, wären diese eigentlich die nächste Anlaufstelle. Aber das Geld müsste innert maximal 48 Stunden verfügbar sein. So schnell können die Kantone nicht mehrere Milliarden Franken zur Verfügung stellen. Übrig bleibt nur noch der Bund.

Die Axpo gilt als systemkritisches Stromunternehmen. Mit deren Unterstützung will der Bundesrat verhindern, «dass die Axpo in Liquiditätsprobleme gerät, die im schlimmsten Fall die Energieversorgung der Schweiz gefährden könnten», heisst es in einer Mitteilung.

«Wir müssen einen Flächenbrand mit allen Mitteln verhindern», sagte SP-Energieministerin Simonetta Sommaruga (62) an der Medienkonferenz. Es könnten nämlich weitere Unternehmen in den Strudel gerissen werden, das müsse man verhindern. Es gehe darum vorzubeugen, damit nicht Schlimmeres passiere, so Sommaruga.

Bekommt Axpo das Geld einfach so?

Nein. Der Überbrückungskredit ist an strenge Bedingungen geknüpft. Zum einen falle eine marktübliche Verzinsung von 1 Prozent im Monat bis 2 Prozent im Jahr an, erklärte Sabine D’Amelio-Favez. Zum anderen werde ein Risikozuschlag von 4 bis 8 Prozent erhoben und 1 Prozent für die Nachrangigkeit. Insgesamt muss die Axpo für ein allfällige Darlehen gegen 10 Prozent draufzahlen.

Hinzu kommt ein Dividendenverbot, solange Darlehen oder Zinszahlungen ausstehend sind. Ein Bonusverbot hingegen ist nicht vorgesehen. Die Axpo und die mit ihr verbundenen Konzerngesellschaften dürfen während dieser Zeit zudem keine Aktiven veräussern und keine Umstrukturierungen vornehmen, die die Rückzahlung der Darlehen oder allfällige Sicherheiten gefährden könnten. Im Nationalrat wird nun aber versucht, noch ein Boni-Verbot zu erlassen.

Die Darlehen des Bundes sollen zudem subsidiär sein und so rasch wie möglich durch andere Finanzierungen der Eigentümer und anderer Fremdkapitalgeber abgelöst werden. Auch Transparenzvorgaben sind mit dem Kredit verbunden.

Weiter müssen alle drei systemkritischen Unternehmen Axpo, Alpiq und BKW für die Aktivierung des Rettungsschirms eine Pauschale von je bis zu 19 Millionen Franken erbringen.

Sommaruga zeigte sich überzeugt, dass angesichts der strengen Bedingungen ein Unternehmen nur dann einen Kredit beanspruche, wenn dies nicht anders möglich sei. «Kein Management klopft gerne beim Staat an», so die Bundesrätin.

Brauchen auch Alpiq und BKW den Rettungsschirm?

Mit der Aktivierung des Rettungsschirms sind auch die anderen beiden systemkritischen Unternehmen Alpiq und BKW automatisch und mit sofortiger Wirkung dem Schutzschirm unterstellt. Das heisst aber nicht, dass sie ebenfalls Unterstützung brauchen. Bisher liege jedenfalls kein weiteres Gesuch vor, heisst es beim Bund.

Alpiq unternehme weiterhin alles, um keine Bundeshilfe beanspruchen zu müssen, hielt das Unternehmen am Dienstag in einer Mitteilung fest. Mit umfassenden operativen Massnahmen im Energiegeschäft sowie zusätzlichen Finanzierungen am Kredit- und Kapitalmarkt sei der finanzielle Handlungsspielraum des Unternehmens gestärkt worden. Alpiq setze alles daran, um sich den nötigen Handlungsspielraum aus eigener Kraft zu erhalten, erklärte die Gruppe weiter.

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Die BKW sieht den Rettungsschirm für systemrelevante Energieunternehmen kritisch. «Wir halten den Rettungsschirm nicht für das richtige Mittel», sagte Finanzchef Ronald Trächsel am Dienstag an einer Medienkonferenz. Wenn ein Unternehmen unterstützt werden müsse, sei man nicht dagegen, sagte er weiter. Man sollte aber nicht andere mit in Haft nehmen. Die BKW selbst wird laut Trächsel keine Staatshilfe in Anspruch nehmen müssen. Per Ende Juni 2022 lag die Liquidität der Gesellschaft bei fast einer Milliarde Franken. Angesichts der Verwerfungen an den Energiemärkten seien die Risiken im Handelsgeschäft zurückgefahren worden, sagte Trächsel. «Wir passen unser Verhalten dem Risiko an.»

Was passiert mit späteren Übergewinnen?

Angesichts der hohen Strompreise dürften die Stromkonzerne in den kommenden Jahren auf der Gewinnerseite stehen. Da stellt sich auch die Frage von Übergewinnen. Sommaruga will die Frage nach ausserordentlichen Gewinnen, die bloss wegen der Energiekrise entstehen, aber erst später klären. Sie betont, dass man die Problematik von Liquiditätsengpässen nicht mit der Thematik von Rentabilität und mit Übergewinnen vermischen dürfe. Das müsse man gesondert betrachten.

Primär gehe es nun um die Sicherstellung der Stromversorgung, hielt Sommaruga fest. Was später mit allfälligen Gewinnen der Stromkonzerne passiere, sei eine andere Frage. Es gebe verschiedene Vorschläge – etwa, das Geld für Investitionen in einheimische Energien zu verwenden.

Auch wenn Liquidität und Rentabilität nicht dasselbe sind, würden das Abzahlen eines solchen Kredits und die darauf fälligen Zinsen die Gewinne der Unternehmen für die nächsten Jahre verringern. So würden allfällige Gewinne der nächsten Jahre zumindest teilweise direkt in die Bundeskasse fliessen.

Wie reagieren die Parteien?

Die SP begrüsst in einer Mitteilung die Aktivierung des Rettungsschirms. «Der Bund sichert so die Stromversorgung in der Schweiz und in Europa.» Der Fall Axpo zeige aber, «dass Stromkonzerne im liberalisierten Markt aus kurzfristigen Profitinteressen auf Strom-Hedging und Trading setzen anstatt in Versorgungssicherheit und Klimaschutz zu investieren». Die SP will sich dafür einsetzen, dass sich die Stromunternehmen wieder um ihre Hauptaufgabe kümmern würden, «nämlich die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft zuverlässig bezahlbaren und erneuerbaren Strom zu liefern». Und eben, die SP will ein Boni-Verbot.

Es sei tragisch, dass ein Stromunternehmen im Kantonseigentum Liquiditätshilfe des Bundes benötige, twitterte FDP-Präsident Thierry Burkart (47). Aufgrund der Stromversorgungssicherheit der Schweiz sei es aber richtig, dass ein Kreditrahmen unter strengen Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werde. Und: «Langfristig müssen allfällige Gewinne aufgrund hoher Strompreise an die Stromkonsumenten weitergegeben werden.»

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