Auf einen Blick
- Andreas Homoki eröffnet als Intendant seine letzte Spielzeit am Opernhaus Zürich
- Covid-Massnahmen schockten und liessen innovative Lösungen entstehen
- 15-Franken-Tickets für junge Leute mit geringerem Budget
Noch einmal öffnet sich der Vorhang für Andreas Homoki (64) am Sonntag mit der Eröffnung der neuen und letzten Spielzeit als Intendant des Opernhauses Zürich. Auf seinen Wunsch inszeniert er «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss (1846–1949). Die Oper besteht aus einem Vorspiel und einem Akt. Homokis persönliches Resümee aus 12 Jahren am renommierten Opernhaus hat sechs Akte, die er für Blick erläutert.
Akt 1: Highlights
Als ich die Intendanz übernahm, war mein Versprechen, das Opernhaus zu öffnen. Das ist uns in vielen Bereichen gelungen. Die Kinderoper wurde durch uns eingeführt, die Education-Abteilung ausgebaut, die eng mit Schulen zusammenarbeitet, und die kostenlose «Oper für alle» haben wir ins Leben gerufen. Wir sind das erste Opernhaus Europas, das eine eigene App mit Ticketing und Saalplan lanciert hat. Und wir bieten Menschen mit geringerem Budget Karten für 15 Franken an und konnten so die junge Zielgruppe ausbauen. Wir setzen bewusst auf Inszenierungen, die nachvollziehbar und emotional packend sind. Es bringt nichts, wenn jemand mit dem Gefühl nach Hause geht, es sei ein komplizierter Quatsch gewesen. Rückblickend gibt es unzählig viele grosse Momente. Ein Highlight war Richard Wagners «Ring des Nibelungen», den wir im Frühjahr zweimal als Zyklus aufgeführt haben.
Akt 2: Schock
Die Covid-Massnahmen waren für mich ein Schock, auch wenn mit der Pandemie in der Schweiz gemässigter umgegangen wurde als in unseren Nachbarländern. Unser Betrieb beschäftigt 800 Leute, die selbstverständlich gefragt haben, was sie denn jetzt machen. Wir sind ein staatlich subventionierter Betrieb, haben Kurzarbeit eingeführt. Alle, auch die Chefetage, haben auf Geld verzichtet. Wir haben dennoch gespielt, einfach ohne Publikum. Das Orchester und den Chor haben wir per Glasfaser von einer Nebenbühne live übertragen. Durch diese Technologie hatten wir die Möglichkeit, Aufführungen über unsere Website oder in Zusammenarbeit mit Arte live zu streamen. Wenn die Situation nicht so schlimm gewesen wäre, wäre das einer unserer grössten Erfolge im Umgang mit schwierigen Situationen gewesen.
Akt 3: Sexismus
Einem Mitarbeiter in unserem Leitungsteam wurde sexuelle Belästigung vorgeworfen. Wir haben eine externe Fachstelle eingeschaltet, die den Fall untersucht hat, was zur Entlassung des Betroffenen führte. In der Presse wurde dann aber von einem allgemeinen Klima der Angst am Opernhaus geschrieben. Daraufhin haben wir eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, die das nicht bestätigt hat. Viele der Angestellten wollten unter anderem mehr Feedback und stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Als Resultat dieser Befragung haben wir einen umfassenden partizipativen Prozess ins Leben gerufen, der Problemfelder erkennt und behebt.
Akt 4: Absage
Ende März 2023 sollte Opernstar Anna Netrebko (53) bei uns die Lady Macbeth singen. Ihr Auftritt sorgte angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für grosse Empörung. Die Presse und die Öffentlichkeit wollten wissen: Was macht ihr mit Netrebko? Es entstand ein Druck, die Künstlerin, die in einem totalitären Regime aufgewachsen ist und dort Familie hat, aufzufordern, Stellung zu beziehen. Ich kann mich hinstellen und Putin als Kriegsverbrecher bezeichnen, und mir passiert nichts. Aber eine russische Staatsbürgerin, die das macht, auch wenn sie im Ausland lebt, weiss, dass das erhebliche Konsequenzen nicht nur für sie haben wird. Das haben wir von ihr nicht verlangt. Als Schweizer Kulturinstitution haben wir aber auch eine Haltung, die zu diesem Zeitpunkt mit der Situation von Anna Netrebko nicht mehr vereinbar war. Wir haben den Vertrag einvernehmlich aufgelöst.
Akt 5: Kulturelle Aneignung
Das Thema kulturelle Aneignung fing in den Vereinigten Staaten mit «Blackfacing» an, wo sich Weisse schwarz schminkten und sich über Schwarze lustig machten. Dass das nicht geht, ist klar und ist zu verurteilen. Vor zwei Jahren inszenierte ich als Regisseur in Bregenz die Oper «Madame Butterfly». Da geht es um den kulturellen Gegensatz zwischen der traditionellen japanischen Gesellschaft und der amerikanischen. Da gab es Leute, die sagten, dies könne man heutzutage nicht mehr machen. Ich sage: Doch, das kann man. Es geht um die Kunst und die besten Künstler. Egal welcher Herkunft und Hautfarbe. Natürlich habe ich keine japanische Sängerin und lasse auch niemanden asiatisch schminken, das wäre Blödsinn. Da muss man eine andere Chiffre finden. Gute Kunst ist nie rassistisch und muss nicht immer dem Zeitgeist entsprechen. Mir geht es um die Freiheit der Kunst. Wenn es künstlerisch richtig ist, haben ideologische Kriterien, die Selbstzensur zur Folge haben, keinen Platz.
Akt 6: Zukunft
Ein Opernhaus-Intendanz-Vertrag läuft normalerweise fünf Jahre, meiner wurde zweimal verlängert, das letzte Mal wollte ich nur drei Jahre. Ich gehe im Juli 2025 vom besten Opernhaus der Welt, bevor mir die Leidenschaft abhandenkommt. Ich werde meine Standbeine in Zürich und Berlin beibehalten, weiterhin als Regisseur arbeiten und mehr Freizeit geniessen. Ich hoffe, dass man mich am Opernhaus und in dessen Umfeld in Erinnerung behält als einen Intendanten, mit dem man Klartext reden konnte. Der eine Vision hatte, diese vertrat und doch mit beiden Beinen auf dem Boden stand.