Er sieht ein bisschen aus wie frisch aus den Ferien, Opernhaus-Intendant Andreas Homoki (60) hat während des Lockdowns aber nicht mit Joggen angefangen. Er ist erleichtert, dass er die Saison fast wie geplant durchführen kann, ohne Plexiglaswand auf der Bühne – nur Cüpli-Pausen müssen vorerst ausfallen.
SonntagsBlick: Sie sehen erholt aus, gibt es Positives aus dem Lockdown?
Andreas Homoki: In letzter Zeit wird viel über Entschleunigung geredet. Damit kann ich nicht so viel anfangen. Klar, wenn es keinen Proben- und Vorstellungsbetrieb gibt, habe ich mehr Zeit zu Hause. Aber dann arbeite ich dort an meinen nächsten Projekten. Wer jetzt sagt, das war so schön daheim mit der Familie, der verschliesst die Augen vor der wahren Dimension des aktuellen Geschehens. In den letzten Monaten hat die Schweiz Unsummen auf Kosten zukünftiger Generationen ausgegeben.
Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?
Die Zeit nach dem Lockdown habe ich schon als Befreiung aus einer Situation erlebt, in der zunächst so vieles unklar war: Was ist mit dieser Saison, was passiert mit der nächsten Spielzeit, wie weit schiebt sich alles nach hinten, was müssen wir alles absagen? Das waren sehr frustrierende Diskussionen mit meinem Direktionsteam. Darum bin ich froh, dass wir jetzt mit dem neuntägigen Musikfestival «Finale» und maximal 400 Gästen wieder starten konnten. Musik lebt vom gemeinsamen Erlebnis, der Nähe zueinander, der Nähe zum Publikum. Oper ohne Publikum ist undenkbar.
Singen soll für die Übertragung von Viren besonders gefährlich sein. Kommt eine grosse Plexiglasscheibe vor die Bühne?
Nein, auch nicht zwischen die Zuschauer. Wer zusammen Karten bucht, der kann auch nebeneinander sitzen, zum nächsten Gast bleibt immer ein Sitz frei. Das Programm des Festivals besteht aus kleinen Formaten wie Liederabenden und Konzerten mit kleinen Besetzungen. Für die kommende Saison, die im September startet, haben wir eine andere Lösung gefunden. Das Orchester und der Chor spielen und singen nicht im Graben oder auf der Bühne, sondern in einem externen Proberaum, wo die Abstandsregeln voll eingehalten werden können. Dank eines neuen Soundsystems wird die Musik und der Gesang ohne Zeitverzögerung zur Aufführung ins Opernhaus übertragen. Auf der Bühne agieren die Solisten, die hier genügend Abstand halten können. So machen wir keine Schrumpfkunst mit kleinen Stücken oder reduzierten Besetzungen, sondern trotz allem grosse Oper.
Stimmt es, dass es keine Pausen mehr gibt?
Pausen gibt es schon, aber keine Gastronomie. Das Cüpli als ein Teil des Gesamterlebnisses wird voraussichtlich fehlen. Champagner im Tetrapak wird es trotzdem nicht geben (lacht). Dennoch freuen wir uns, wenn wir so viele Zuschauer in die Oper bringen können wie möglich, aber eben auch nur so viele, wie wir verantworten können.
Müssen die Zuschauer Masken tragen?
Wir halten uns an die Empfehlungen des Bundesrats, warten die Entwicklung ab und appellieren auch an die Eigenverantwortung der Besucher. Was das Infektionsrisiko deutlich reduziert: Unsere Zuschauer sitzen ruhig, schauen alle in die gleiche Richtung und reden die meiste Zeit nicht miteinander, das ist ganz etwas anderes als im ÖV oder in einem Club.
In Zürich und Bern wurden Partys gefeiert, ohne Rücksicht auf Abstand. Ist das nicht ärgerlich, wenn man sich selber an die Vorschriften hält? Insbesondere, da Sie die beliebte Veranstaltung «Oper für alle» auch absagen mussten?
Klar müssen wir weiterhin vorsichtig sein, und die meisten haben ihr Verhalten ja angepasst, es gibt kein Bussi-Bussi oder Händeschütteln mehr. Aber gerade angesichts wieder steigender Zahlen sehen wir heute, dass 10'000 Leute auf dem Sechseläutenplatz zu eng und unverantwortlich gewesen wären. Wir müssen lernen, mit dem Virus umzugehen, und wissen inzwischen, dass es gern dort aufflammt, wo viele Menschen zusammenkommen. Man möchte nicht zu den Orten gehören, an denen das passiert. Aus diesem Grund treffen wir alle nötigen Massnahmen und haben spezialisierte Schutzkonzepte für sämtliche Mitarbeitenden und Besucher.
Auf der Bühne der Hochkultur gibts wegen Corona Schabernack. Vor kurzem traten Comedians wie Claudio Zuccolini und Beat Schlatter auf der Opernhaus-Bühne auf. Ist das nicht ein Stich ins Herz eines Intendanten?
Im Gegenteil, das ist doch wunderbar. Hintergrund ist, dass wir seit dem 6. Juni zwar wieder spielen dürfen, unser reguläres Programm aber so kurzfristig nicht wiederaufnehmen konnten. Wir durften ja auch nicht proben. Das Bernhard Theater brauchte kurzfristig eine Ersatz-Spielstätte wegen der Baumassnahmen am Haus. Da haben wir gerne mit einer Auftrittsmöglichkeit ausgeholfen. Berührungsängste habe ich da keine, und Comedy können andere besser als wir.
Haben Sie sich eines der Programme angeschaut und worüber können Sie lachen?
Wegen des reduzierten Platzangebots habe ich mich zurückgehalten und mir nichts angeschaut. Ich persönlich mag Stand-up-Comedians und politisches Kabarett, zum Beispiel Mathias Richling.
Wird die Oper künftig digitalisiert? Sprich: Wird man Aufführungen streamen?
Eine Institution wie das Opernhaus leistet man sich, weil es eine Live-Kunstform ist. Da sitzen normalerweise über 1000 Zuschauer, auf der Bühne agieren oft 60 bis 80 Sänger und noch mal so viele Musiker im Graben. Dieses perfekt aufeinander abgestimmte Zusammenspiel so vieler Menschen an einem Abend in einem spezifischen Moment ist ein absolut überwältigendes Erlebnis. Das kann man nicht mit Streaming ersetzen. Allerdings kann Streaming in Zeiten, in denen Teile des Publikums aus Sorge um ihre Gesundheit vielleicht lieber zu Hause bleiben, eine erweiterte Teilhabe möglich machen. Daher eruieren wir derzeit unsere diesbezüglichen Möglichkeiten in der nächsten Saison. Wie sonst ist auch das eine Frage der Kosten.
Oper gilt als elitär, warum?
Das ist ein überholtes Vorurteil – und wir tun alles dafür, dass Oper nicht elitär ist. «Oper für alle» ist dafür das beste Beispiel. Allerdings muss Oper vor allem als Theatererlebnis glaubwürdig und verständlich sein, sonst wird sie schnell langweilig. Deswegen bemühe ich mich als Regisseur immer um grösstmögliche Klarheit. Das erwarte ich auch von allen anderen Beteiligten. Was gar nicht geht, ist, wenn einem, der sich zu Recht langweilt, dann von selbsternannten «Kennern» mangelnder Kunstverstand vorgeworfen wird. Wie jede Form von
Theater muss mich als Zuschauer auch die Oper fesseln, berühren und unterhalten. Wie gutes Kino.
Über 90 Prozent der Musiksubventionen fliessen in klassische Musik – für Jazz, Pop, Rock und andere Sparten ist wenig übrig. Ist das noch eine zeitgemässe Aufteilung?
Das ist Äpfel mit Birnen vergleichen. Mit den Subventionen wird die Institution finanziert. Oper ist ein sehr personalintensives Genre. Im Opernhaus arbeiten 700 Menschen, die alle an der Entstehung dieser Kunstform mitarbeiten. Die Subventionen dienen zum grössten Teil der Deckung der Personalkosten. Die Rock-, Pop- und auch Jazzbranchen funktionieren ganz anders und sind selten institutionalisiert. Es handelt sich um völlig verschiedene Kulturen, die man ja auch nicht miteinander vergleicht und der einen die Existenzberechtigung zuspricht und der anderen nicht.
Gibt es für Sie nur Oper – oder erwischt man Sie daheim auch mal beim Headbangen?
Ich höre privat keine Musik, ausser wenn ich an einem neuen Stück arbeite. Heute Morgen war das «Madame Butterfly». Das ist aber weit verbreitet unter Musikern. Man dreht nicht einfach das Radio an und hört nebenher irgendwas. Das Nebenbei-Musik-Hören gab es in früheren Zeiten ja gar nicht. Man hat gemeinsam gesungen, es wurde musiziert und getanzt, etwa im Gottesdienst oder auf Tanzfesten. Irgendwann gab es dann Konzertsäle. Dass Musik, zunächst im Radio, dann auf Platte und CD einfach so zur Verfügung steht beim Bügeln oder Autofahren, hat unser Hörverhalten komplett verändert.
Was gibt es sonst über Herrn Homoki zu erfahren, singen Sie unter der Dusche?
Ich singe nicht unter der Dusche. Vor dem Duschen mache ich etwas Sport: mit meinem Rudergerät auf unserer Terrasse, dann muss ich nicht schon um sechs Uhr früh aufstehen, um in den Zürichsee zu stechen. Ansonsten bin ich nicht so der Sportfan, ich mag es gemütlich, schaue gern gute Filme, trinke gerne ein Glas Wein und koche – am liebsten italienisch.
Andreas Homoki wurde 1960 als Sohn einer ungarischen Musikerfamilie in Deutschland geboren und studierte in Berlin Schulmusik und Germanistik. Er war nach verschiedenen Stationen lange Jahre Chefregisseur und Intendant an der Komischen Oper Berlin. Seit Beginn der Opernsaison 2012/13 ist Homoki Intendant des Zürcher Opernhauses. Er ist mit der ehemaligen Mezzosopranistin Aurelia Homoki verheiratet und hat einen Sohn.
Andreas Homoki wurde 1960 als Sohn einer ungarischen Musikerfamilie in Deutschland geboren und studierte in Berlin Schulmusik und Germanistik. Er war nach verschiedenen Stationen lange Jahre Chefregisseur und Intendant an der Komischen Oper Berlin. Seit Beginn der Opernsaison 2012/13 ist Homoki Intendant des Zürcher Opernhauses. Er ist mit der ehemaligen Mezzosopranistin Aurelia Homoki verheiratet und hat einen Sohn.
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