True Crime boomt
Die Faszination am Bösen

Egal ob Serienmörder, Psycho-Stalker oder mörderischer Krankenpfleger: Geschichten über wahre Verbrechen boomen wie nie zuvor. Ein Psychologe erklärt, was uns am Bösen fasziniert.
Publiziert: 23.10.2022 um 01:41 Uhr
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Aktualisiert: 20.11.2022 um 13:10 Uhr
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Die Serienkiller-Serie «Dahmer» führte die Netflix-Charts drei Wochen lang an – weltweitl
Foto: Netflix
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Patricia BroderRedaktorin People

True-Crime-Mania: Geschichten über Serienkiller und reale Verbrechen haben Hochkonjunktur. Die Netflix-Serie «Dahmer» über US-Serienmörder Jeffrey Dahmer (1960–1994) führte die Hitparade wochenlang in fast allen Ländern an. Erst «The Watcher» stiess den Hit vor zwei Wochen vom Thron. Doch auch diese Serie, mit Hollywoodstar Naomi Watts (54) in der Hauptrolle, basiert auf einem wahren Verbrechen. Doch nicht nur bei Streaming-Anbietern, sondern auch in den deutschsprachigen Podcast-Charts liegen Kanäle wie «ZEIT Verbrechen» oder «Mordlust», die sich mit wahren Kriminalfällen beschäftigen, ganz weit vorne in den Hitparaden. Und auch diverse Buchhandlungen setzen unterdessen auf True-Crime-Ecken, um die grosse Nachfrage der Leserschaft zu befriedigen.

Doch woher kommt in Zeiten von Pandemie und Krieg diese Lust am Düsteren? «Jeder Mensch verspürt eine gewisse Lust an der Angst – daran, sich zu fürchten, zu gruseln, sich der Illusion von Gefahr hinzugeben», erklärte der deutsche Psychiater Borwin Bandelow (70) den Hype kürzlich im «Geo». Dabei gehe es nicht um real erlebte Furcht. «Niemand will einem Serienkiller von Angesicht zu Angesicht begegnen.» Es betreffe das vorgestellte Grauen, die inszenierte Angst. «Dieser Nervenkitzel zieht uns an. Ihm setzen wir uns freiwillig aus, weil wir darauf vertrauen können, dass die Sache – zumindest für uns – gut ausgeht.»

Angst setzt Endorphine frei

In der Sicherheit unserer gemütlichen Stube können wir uns schaurig schön gruseln. Dass wir diesen Zustand so geniessen, hat damit zu tun, dass unser Gehirn in jeder Angst- oder Stresssituation immer auch Endorphine freisetzt. «Sie sorgen für ein Hochgefühl, für Schmerzfreiheit, dafür, dass wir uns stark und beglückt fühlen», erklärt Bandelow. Je echter die Schilderungen sind, desto effektiver werde unser Angstsystem in Alarm versetzt. «Und es gibt nichts Echteres, als wenn ich genau weiss: Dieses Verbrechen hat tatsächlich so stattgefunden.»

Die Lust an wahren Gewaltverbrechen ist nicht neu: Bereits in der frühen Neuzeit haben sogenannte Bänkelsänger auf Marktplätzen und bei Stadtfesten dramatische Schauergeschichten erzählt und zogen damit Menschen genauso in den Bann, wie es im späten 19. Jahrhundert die Zeitungsberichte über Jack the Ripper taten – Ripper war einer der ersten bekannten Serienmörder, dem die Morde an mindestens fünf Frauen 1888 im Londoner East End zugeschrieben wurden.

Faszination baut auch auf Befriedigung

Weitere Meilensteine des True-Crime-Genres waren auch Truman Capotes 1965 erschienenes Buch «Kaltblütig», in dem der Autor sich mit der Psyche zweier Männer beschäftigt, die vier Menschen umgebracht haben. Oder die Fernsehsendung «Aktenzeichen XY … ungelöst», die seit 1967 mithilfe von Zuschauerinnen und Zuschauer versucht, reale Fälle von Verbrechen zu lösen – und das mit Erfolg. Nach Angaben der Redaktion werden bis heute im Durchschnitt etwa 40 Prozent der ausgestrahlten Fälle aufgeklärt.

Doch die Lust an True Crime basiert nicht allein auf der Aufklärung der Verbrechen, wie der Psychiater weiss. «Natürlich bewerten wir Delikte wie einen brutalen Mord auf der rationalen Ebene als abscheulich. Aber gleichzeitig müssen wir uns eingestehen: Unsere Faszination für das Böse baut immer auch darauf, dass die Befriedigung, die der Verbrecher bei seiner Tat erlebt, auch ein Stück weit unsere Befriedigung als Leser oder Zuschauerin ist.»

Kein Wunder also setzt auch Netflix weiterhin auf das boomende Genre: Am 26. Oktober erscheint beim US-Streaming-Giganten «The Good Nurse». Der Film erzählt die wahre Geschichte einer Krankenschwester, gespielt von Hollywoodstar Jessica Chastain (45), die einem mörderischen Kollegen, verkörpert von Oscarpreisträger Eddie Redmayne (40), auf die Schliche kommt.

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