Integer. Nahbar. Fleissig. So beschreiben Weggefährten den neuen Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein (55). Er kennt jede Schraube im Konzern. Ein Typ mit Bodenhaftung. Das Herz schlägt für den FC Zürich. In seiner Jugend spielte er sogar für den Arbeiter-Klub. Eine Saison lang lief er mit dem heutigen Union-Berlin-Trainer Urs Fischer (53) auf. Gottstein als Stürmer, Fischer als Verteidiger.
Mit der Karriere im Fussball wurde es aber nichts. Dafür wäre Gottstein fast Profi-Golfer geworden. Mit zwölf begann er, den Schläger auf dem Green zu schwingen. Vier Jahre später war er bereits im nationalen Nachwuchskader. Gottstein gewann Turnier um Turnier. Er wurde mehrfacher Schweizer Meister. Der talentierte Sportler nahm an fünf Weltmeisterschaften teil. Er spielte auf Spitzenniveau.
Aber auch aus der Golf-Karriere wurde nichts. Gottstein entschied sich stattdessen für die Welt der Haute Finance. Und nun ist er auf dem Höhepunkt angekommen. Er, der Sohn einer Appenzellerin, aufgewachsen in gutbürgerlichem Haus am Zürichsee, wird ab Mitte Februar Chef der Credit Suisse. Nachfolger vom gescheiterten Tidjane Thiam (57).
Eklat im Nachgang zum Spitzel-Skandal
Dabei hat Gottstein das Rampenlicht lange gescheut. Er schlug Beförderungen aus, schätzt seinen Schlaf. Sieben Stunden braucht er, um den Alltag als Bankmanager zu bewältigen. Die Zeit mit der Familie ist ihm heilig. Zwei Söhne hat Gottstein mit seiner Frau, einer Medizinerin. Der an der Goldküste beheimatete Banker schätzt seine Freizeit: um Ski zu fahren in Klosters, wo er eine Ferienloge besitzt. Um auszuspannen zur Musik von Prince oder Bruce Springsteen. Oder um sich dem Sport zu widmen. Neben Golf und Fussball ist Gottstein vom Tennis begeistert. Sein Idol, wie könnte es auch anders sein: Roger Federer, Werbeträger der Credit Suisse.
Der neue Posten bringt Gottstein nun das Gegenteil von Ruhe: Die Scheinwerfer der Weltpresse sind auf ihn gerichtet. Das gilt umso mehr, als die Bank in den letzten Monaten wegen der Spionage-Affäre massiv unter Druck war. Selbst die bankenfreundliche «NZZ» und «Financial Times» zerpflückten die Credit Suisse in einer Reihe von Artikeln. Das von Bankern weltweit gelesene Magazin «The Economist» spielte mit dem Namen des Geldhauses. Die Schweizer Institution wurde zur «Discredit Suisse» – zur Schande des Finanzplatzes.
Der Skandal liess auch Gottstein nicht unberührt. Der designierte CS-Chef, der sonst als Ruhe in Person gilt, verlor die Nerven. Er lieferte sich im Zürcher Nobelrestaurant Kronenhalle eine verbale Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten PR-Manager des Landes. Dieser war Sprecher und Strippenzieher für den ehemaligen CS-Top-Shot Iqbal Khan (43). Khan stand im Zentrum der Beschattungsaffäre. Gottstein musste sich später für den Wutausbruch entschuldigen.
Die Uni-Zürich-Connection
Sonst gibt es keinen Eklat um den bodenständigen Manager. Der Banker hat eine weisse Weste. Die von ihm in den letzten Jahren geleitete Schweizer Universalbank ist der wichtigste Gewinnlieferant der Credit Suisse. In den Jahren davor begleitete er als Investment-Banker die wichtigsten Börsengänge. Gottstein kümmerte sich um die vermögendsten Kunden der Bank. Er ist eine treue Seele, seit 1999 bei der Grossbank unter Vertrag, hat über Jahre in London gelebt und sich einen Namen in der europäischen Finanzhauptstadt gemacht.
Gottstein hat bis zuletzt seinen Chef und Förderer Tidjane Thiam verteidigt. Er lächelte auch noch in die Kamera, als der Franko-Ivorer in dieser Woche ein Bild der Credit-Suisse-Führung auf Instagram publizierte. Seinerzeit war Thiam bereits im offenen Schlagabtausch mit dem Verwaltungsrat der Credit Suisse. Aktionäre machten öffentlich Stimmung gegen den Präsidenten Urs Rohner (60). Ein Vorgang, den man in der Schweiz bei börsenkotierten Firmen selten gesehen hat.
Der an der Universität Zürich ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler liess sich nichts anmerken. Der Verwaltungsrat dankt es ihm. Das Gremium, in dem auch der einstige Studienfreund Alexander Gut (56), Sohn des CS-Ehrenpräsidenten Rainer E. Gut (87), sitzt, ernennt ihn zum Chef der Nummer zwei im Schweizer Banking. Einstimmig. Ohne Interims-Lösung. Gottstein gebietet damit über mehr als 47'000 Angestellte weltweit und über ein Kundenvermögen jenseits der Marke von 1000 Milliarden Franken.