Was geht in Habte A.s* Kopf vor, als er am Montagmorgen einen achtjährigen Jungen und seine Mutter auf die Gleise vor einen einfahrenden ICE-Zug am Bahnhof in Frankfurt am Main (D) stösst? Der 40-jährige Flüchtling aus Eritrea schweigt. Lässt die Fragen zum Motiv seiner Wahnsinnstat unbeantwortet.
BLICK zeichnet nach, wie aus einem als Musterbeispiel der Integration gelobten Flüchtling ein Kindermörder wurde.
2006 reist der Mann illegal in die Schweiz ein, zwei Jahre später wird sein Asylgesuch gutgeheissen. Zunächst scheint alles gut. Nach seiner Flucht aus dem ostafrikanischen Land lernt A. schnell Deutsch und erweist sich als motivierter, vorbildlicher Mitbürger. Im Jahr 2011 erhält er eine Niederlassungsbewilligung. Gemeinsam mit seiner Frau engagiert er sich in der christlich-orthodoxen Kirche. Die einzige Auffälligkeit bis anhin war ein geringfügiges Verkehrsdelikt.
Seehofer bezieht sich auf Hilfswerk-Interview
Habte A. arbeitet zunächst sechs Jahre als Bauschlosser in Aarau, bis er dort seine Arbeit verliert und länger keine Anstellung findet. Seit 2017 ist er bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) angestellt.
In einem Interview für das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) wird er porträtiert und als Vorbild hervorgehoben. Es ist ein Loblied auf die gelungene Integration des Eritreers, auf welches sich sogar der deutsche Innenminister Horst Seehofer an der Pressekonferenz bezog.
Laetitia Hardegger, die damals das Interview führte, erinnert sich: «Er wirkte sehr nett, sympathisch und glücklich. Er hatte sich in der Schweiz erfolgreich ein neues Leben aufgebaut. Deswegen haben wir über ihn einen Artikel geschrieben. Er sollte anderen als Vorbild dienen», sagt Hardegger zu BLICK. Dass er jetzt ein Kind auf dem Gewissen haben soll, kann sie nicht glauben. «Als ich davon erfahren habe, war ich geschockt. Konnte mir nicht vorstellen, dass er zu so etwas fähig ist.»
Im Interview sagte Habte A. damals über seine neue Heimat: «Mir gefällt, dass hier jeder Hilfe bekommt, egal ob er arm oder reich ist. Und jeder kann essen und die Existenz ist gesichert. Und die Schulbildung finde ich auch sehr gut. Hier ist die Erste Welt.»
«Er war ein fleissiger Arbeiter»
Sein Job-Coach beschreibt den dreifachen Familienvater so: «Vom Charakter her ist er zurückhaltend und ein wenig schüchtern.» Besonders seine konstant gute Arbeitsleistung und die Professionalität seien positiv aufgefallen. Wenn er niedergeschlagen sei, unterstütze man ihn mit Gesprächen. «Während dieser schwierigen Zeit hat er seinen Gemütszustand übrigens nie am Arbeitsplatz gezeigt», so der Coach weiter.
Sein damaliger direkter Vorgesetzter erlebte Habte A. als fleissigen Arbeiter. «Er hat mir von Anfang an einen sehr guten Eindruck gemacht. Er ist immer an der Büez und nicht jemand, der rumplaudert oder rumsteht. Er ist wirklich engagiert und zuverlässig. Seine Freude war gross, als wir ihm eine Festanstellung angeboten haben», erinnerte er sich damals. Jetzt schweigen die VBZ über ihren ehemaligen Musterbüezer.
Der erste Bruch in der heilen Welt von Habte A. folgt im Januar 2019: Er wird wegen psychischer Probleme krankgeschrieben und muss sich in psychiatrische Behandlung begeben. Das sagt die Kantonspolizei Zürich an einer am Dienstag eilig einberufenen Medienkonferenz, nachdem bekannt wurde, dass der Täter in der Schweiz wohnt.
Nachbarin mit Messer bedroht
Vergangenen Donnerstag ging Habte A. auf seine Nachbarin los, bedrohte sie mit dem Tod – mit einem Messer. A. sperrte seine Ehefrau, die gemeinsamen drei Kinder (1, 3 und 4 Jahre) und die Nachbarin in ihren Wohnungen beim Restaurant Tanne bei Wädenswil ZH ein. Ein Schock für die beiden Frauen, die A. noch nie so erlebt hatten.
Polizeibeamte konnten die Eingesperrten befreien. Vor Ort fehlte von A. aber jede Spur. Er wurde landesweit zur Verhaftung ausgeschrieben. Der 40-Jährige flüchtete via Basel nach Deutschland. Warum nach Frankfurt, ist bisher unklar. Sein letztes öffentliches Lebenszeichen vor seiner Tat gab Habte A. aber auf seiner Flucht. Er postete am Sonntag um 14.37 Uhr auf Facebook ein Foto seines eigenen Sohnes. Nur Stunden bevor er am Montagmorgen am Bahnhof einer fremden Familie den Buben für immer raubt.
ICE-Mord von Frankfurt
Schwester erhielt auf Rastplatz die schreckliche Nachricht
Die Schwester (12) erfuhr vom Tod ihres jungen Bruders auf einem Rastplatz: Das Mädchen war laut «Bild»-Informationen gemeinsam mit der besten Freundin der Mutter auf dem Weg in die Ferien nach Österreich. Mutter und Bruder wählten den Zug – die Tochter und die Freundin entschieden sich für das Auto, um den alten Hund mitnehmen zu können.
Die Fahrt endete am Montag gegen 14 Uhr: Die Polizei bat die Familie, das Auto an einer Raststätte anzuhalten. Dort überbrachten ein Seelsorger und Beamte die schreckliche Nachricht. Eine Bekannte der Familie sagt zu «Bild»: «Das Mädchen ist zusammengebrochen. Ihre Grosseltern aus Leipzig sind sofort gekommen und kümmern sich um sie.»
Gegen Habte A. wird nun wegen Mordes und zweifachen Mordversuchs ermittelt. Statt einer sicheren Zukunft in der neuen Heimat droht ihm nun eine lebenslange Haftstrafe.
Immer ruhiger und korrekter Typ
Seine Bekannten sind fassungslos. Zwei seiner Kollegen erzählen gegenüber BLICK, dass sie sich nicht vorstellen können, weshalb ihr Landsmann ein solch schreckliches Verbrechen begangen haben könnte. «Habte war an meiner Hochzeit», erinnert sich einer der Männer. Jedoch habe er ihn seit ungefähr einem Jahr nicht mehr gesehen.
«Ich kann es gar nicht glauben, er war immer so ein ruhiger und korrekter Typ», sagt der andere. «Wir haben uns immer am Bahnhof in Wädenswil getroffen, um zusammen etwas zu trinken.»
Wie konnte aus ihrem Freund, dem Integrations-Vorbild und dreifachen Vater, ein Kindermörder werden? Die Antwort kennt nur Habte A.
* Name bekannt