Also doch: Das Wetter hat einen grossen Einfluss auf den Verlauf der Corona-Pandemie. Zu dieser Erkenntnis kommen zypriotische Forscher. Sie glauben, dass das Wetter bisher eine unterschätzte Rolle innehatte.
Deshalb sollten Wetterdaten stärker in Modelle zur Ausbreitung des Virus einbezogen werden, schreiben Dimitris Drikakis und Talib Dbouk von der Universität Nikosia im Fachmagazin «Physics of Fluids». Denn die Übertragungsraten hängen von der Wetterbedingungen ab.
Wichtig sind Wind und Luftfeuchtigkeit
Konkret heisst das: Faktoren wie Luftfeuchtigkeit und -temperatur sowie die Windgeschwindigkeit würden eine Schlüsselrolle bei der Bestimmung spielen, wann und wo eine zweite Welle der Pandemie zuschlagen wird. Sie bestimmen zum Beispiel, welche Erregerkonzentration winzige Speicheltröpfchen aufweisen, wie lange sie sich in der Luft halten und wie weit sie sich ausbreiten können.
So seien hohe Temperaturen im Sommer für die Übertragung des Virus eher schlecht. Das vermutete auch der ehemalige Mister Corona, Daniel Koch. Er geht davon aus, dass es das Virus mit steigenden Temperaturen wieder schwieriger haben wird. So sei es noch bei jedem Virus, das die Atemwege befällt, gewesen.
Anstieg in Indien erklärt
Auch die Luftfeuchtigkeit, die bei uns im Sommer traditionell tiefer als im Winter ist, spielt eine wichtige Rolle. Die Simulationen von Drikakis und Dbouk zeigten bereits früher, dass Speicheltröpfchen mit potenziellen Erregern bei geringer Luftfeuchte und hohen Temperaturen schnell verdunsten.
Ein Beispiel: Die Temperatur liegt bei 40 Grad und die Luftfeuchtigkeit bei 10 Prozent. Die Tröpfchen sind nach zwei Sekunden verdunstet und ein Abstand von zwei Metern reicht völlig. Steigt die Luftfeuchtigkeit bei gleicher Temperatur auf 90 Prozent, verdoppelt sich die Reichweite der Tröpfchen.
So erklären sich die Wissenschaftler auch den rasanten Anstieg der Neuansteckungen in Indien ab Juli, berichtet das Portal «Welt der Physik».
Zwei Pandemieausbrüche pro Jahr
Im Herbst steigt die Luftfeuchtigkeit aber auch in Mitteleuropa. Wenn nun zu dieser coronabegünstigenden Bedingung auch sinkende Temperaturen hinzukommen, bleiben die Tröpfchen länger als fünf Sekunden noch in der Luft. Hier würde demnach gar bei einem Abstand von sechs Metern noch ein Ansteckungs-Restrisiko bestehen.
Kommt jetzt noch eine heftige Windböe ins Spiel – der dritte Faktor der Forscher – werden die Tröpfchen noch weiter getragen. «Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass zwei Pandemieausbrüche pro Jahr unvermeidlich sind, weil sie direkt mit dem verbunden sind, was wir als Wetter-Saisonalität bezeichnen», schreiben die Forscher in der Studie.
Regierungen sollen Wetter bei Massnahmen berücksichtigen
«Bei Pandemien, bei denen keine massiven und wirksamen Impfungen verfügbar sind, sollte die Regierungsplanung längerfristig so sein, dass Wettereffekte berücksichtigt werden», wird Dbouk in einer Mitteilung des Fachmagazins zitiert. Die Richtlinien für öffentliche Gesundheit und Sicherheit sollten entsprechend ausgestaltet werden.
«Nationale Lockdowns oder gross angelegte Lockdowns sollten nicht auf kurzfristigen Modellen basieren, die die Auswirkungen des jahreszeitlich bedingten Wetters ausschliessen», betont Drikakis. Er und Dbouk sind zuversichtlich, dass ihr Index dazu beitragen könnte, manch strengen Lockdown zu vermeiden.
Werden mit den heissen Temperaturen in der Schweiz denn auch Lockerungen drin liegen? Epidemiologe Marcel Tanner sagt dazu zu BLICK: «Der Sommer, wie wir ihn letztes Jahr hatten, ist durchaus realistisch.» Doch bei Grossveranstaltungen sei er noch skeptisch. «Wenn man Tausende von Menschen zusammennimmt, aber noch keinen grossen Impfschutz hat, dann ist es sicher nicht das erste, das man wieder aufmacht.» Einem gemütlichen Zusammensein draussen sieht er jedoch positiv entgegen. «Man kann zwar nicht die grossen Feste feiern, aber viele schöne Momente erleben.»