Die Schweizer Asylpolitik hat ein Problem: Was tun mit Asylsuchenden, die nicht bleiben dürfen, aber auch nicht gehen wollen? Am Mittwoch entscheidet der Nationalrat darüber, ob zumindest Lehrlinge ihre Ausbildung beenden dürfen, wenn sie abgelehnt worden sind. Um ihnen bessere Zukunftschancen zu bieten.
Doch was ist mit all den anderen, die bleiben möchten, aber keine Lehrstelle gefunden haben? Die Schweiz hat in den letzten zehn Jahren mehr als 100'000 Asylsuchende abgelehnt.
Aus Panik Fehler gemacht
Dawit (28) ist einer von ihnen. Der Hobby-Fussballer wurde im Herbst 2014 das erste Mal von Schweizer Behörden erfasst. Hinter ihm eine beschwerliche Flucht, aus dem Militär in Eritrea über das Mittelmeer nach Europa. Vor ihm eine Zukunft, die das erste Mal Freiheit versprach. Und sein Traum vom Job als Maler.
Eineinhalb Jahre später das brutale Erwachen. «Abgewiesen», hiess es beim Amt für Migration (SEM). Ausreisefrist 30 Tage, ansonsten Festnahme und Zwangsausweisung. Seit seiner Ankunft hatte sich Dawit vor diesem Moment gefürchtet.
Erinnerungen kamen auf, an Erlebnisse im Militär und an katastrophale Zustände in libyschen Lagern. Er geriet in Panik. Flüchtete nach Holland. Aber kaum dort angekommen, wurde er von den Behörden aufgegriffen und zurück in die Schweiz geführt, wie es die europäischen Asylgesetze vorschreiben. Bloss: Hier war er nun nicht mehr willkommen.
Rechtlich existierte Dawit nicht mehr
Abschieben konnte man ihn allerdings nicht. Eritrea nimmt keine Landsleute auf, die nicht freiwillig nach Hause gehen. Statt zu arbeiten und Sozialgeld zu beziehen, erhielt Dawit Nothilfe, acht Franken am Tag. Rechtlich existierte er in der Schweiz nicht mehr. Wie insgesamt rund 70'000 bis 100'000 Sans-Papiers, die aus unterschiedlichen Gründen zu Personen ohne Aufenthaltsbewilligung geworden sind.
Die Nothilfe sorgt laut Bund für «Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind». Mit dem Ziel, dass die Leute der Schweiz möglichst kurz zur Last fallen. Bei Dawit hatte die Strategie im Sommer 2018 Erfolg, als er die Schweiz Richtung Norden verliess.
Es folgte ein Jahr der Irrreise. Von den Strassen Belgiens kam er in ein holländisches Flüchtlingscamp, ging nach Deutschland, versuchte es kurz wieder in der Schweiz, ging erneut nach Deutschland. Dort wurde ihm im November 2019 vorläufiges Asyl gewährt. Heute – fünf Jahre nach Ankunft in Europa – ist er endlich glücklich, wie er am Telefon sagt. Er montiert Kühlschränke, geht zur Schule, lernt Deutsch. Und glaubt an seinen Traum. Wände zu streichen, scheint ihm nun realistischer als je zuvor.
* Name geändert